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# taz.de -- Fehlende Impfungen wegen Corona: Wenn Masern töten
> Im März empfahl die Weltgesundheitsorganisation, wichtige Impfprogramme
> wegen Covid-19 zu unterbrechen – ein möglicherweise fataler Fehler.
Bild: Kurz tapfer sein: pakistanischer Junge bei der Masernimpfung
Die Maßnahmen gegen die Coronapandemie könnte in vielen armen Ländern
Hundertausende Todesopfer fordern. Eine Gruppe von Expert*innen wandte sich
deshalb jetzt in einem im Magazin Science [1][veröffentlichten Brief] an
die Weltgesundheitsorganisation, ihre Maßnahmen gegen die Pandemie zu
überdenken. „Wir müssen die Prioritäten zur Eindämmung von Covid-19 in
Einklang bringen mit Bemühungen, andere hoch ansteckende Krankheiten in
armen Ländern zu bekämpfen“, schrieben die Expert*innen, darunter ein
Fachmann der WHO selbst.
Als drängendstes Beispiel nennen die Autor*innen Masern. Erkranke in
Europa ein Kind daran, habe es Zugang zu Ärzten, Medizin und sei in der
Regeln gut ernährt – werde also wieder gesund, sagte Debarati Guha-Sapir
der taz, Hauptautorin des Briefes und Epidemiologin an der Katholischen
Universität Louvain in Belgien. „Unterernährte und geschwächte Kinder
sterben dagegen binnen 48 Stunden, wenn sie Masern bekommen“, sagte
Guha-Sapir, die in Ostafrika an der Bekämpfung von Epidemien gearbeitet
hat.
Kern des Problems ist, dass selbst ein moderater Rückgang von Impfungen von
15 Prozent in armen Ländern bedeutet, dass 120 Millionen Menschen temporär
nicht vor Masern geschützt sind. Das kann zu Ausbrüchen der Krankheit
führen, mit mindestens 250.000 toten Kindern allein wegen Masern, wie
[2][eine Studie] im Fachmagazin The Lancet vom Mai zeigte.
Eine vergangene Woche veröffentlichte Umfrage der
Weltgesundheitsorganisation in 67 Entwicklungsländern zeigt, dass der
befürchtete Rückgang an Impfungen Realität ist: 85 Prozent der Länder gaben
an, sie würden wegen Covid-19 ihre Impfprogramme unterbrechen oder derzeit
komplett aufgeben. Und das übrigens auf Anraten der
Weltgesundheitsorganisation, die genau das [3][im März diese Jahrs
forderte], um Corona einzudämmen.
## 6.000 Masernopfer im Kongo
Das Impfproblem besteht auch für eine Reihe anderer Krankheiten, sei aber
bei den hoch anstecken Masern in armen Ländern besonders gravierend, sagt
Guha-Sapir: Die Menschen lebten dort nicht nur auf engstem Raum, sie sind
auch im Schnitt deutlich jünger als in den Industrieländern. Sie sind also
für Krankheiten wie Masern deutlich anfälliger wie für Covid-19, das bei
jungen Menschen oft eher glimpflich verläuft.
Im vergangenen Jahr kam es beispielsweise in der Demokratische Republik
Kongo zu einem Masern-Ausbruch, weil die Impfraten wegen der Konflikte dort
nach unten gingen. Binnen weniger Wochen starben 6.000 Kinder. Guha-Sapir
fordert deshalb, die Impfprogramme für Masern und andere Krankheiten so
schnell wie möglich wieder aufzunehmen.
Das müssten zwar die Länder vor Ort selbst entscheiden. Und tatsächlich
zeigt die WHO-Umfrage, dass viele Staaten mittlerweile Richtlinien dazu
entwickelt haben. Sie versuchen, die wegen der Pandemie zum Teil
verunsicherte Bevölkerung über Schutzmaßnahmen gegen Covid-19 aufzuklären.
Immerhin drei Viertel der Länder wollen versuchen, die Impflücke wieder zu
schließen. Das am häufigsten genannte Hindernis ist aber eines, das direkt
mit den Industrieländern zu tun hat: Es fehlt in armen Ländern an
Schutzkleidung für das medizinische Personal und für die Menschen, die bei
Immunisierungskampagnen von Haus zu Haus gehen.
Guha-Sapir fordert deshalb, dass die reichen Länder nicht nur die
Impfstoffe, sondern auch genug Masken und Handschuhe liefern sollen. Es
koste auch nur rund einen Dollar, um ein Kind gegen Masern zu schützen.
Wenn Covid-19 etwas zeige, dann, dass Gesundheit ein globales Problem sei.
„Wenn Impfprogramme abgesagt werden, dann wird das ein Problem für uns
alle“, sagte Guha-Sapir. Corona habe schließlich in China begonnen und sich
dann auf der ganzen Welt verbreitet: „Auch Europa kann von Masern getroffen
werden, schließlich gibt es hier eine starke Bewegung von Impfgegnern.“
21 Jul 2020
## LINKS
[1] https://science.sciencemag.org/content/369/6501/261?utm_campaign=SciMag&amp…
[2] https://www.thelancet.com/journals/langlo/article/PIIS2214-109X(20)30229-1/…
[3] https://apps.who.int/iris/handle/10665/331590
## AUTOREN
Ingo Arzt
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