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# taz.de -- Nachruf auf Georg Ratzinger: Gnade ihm Gott
> Der umstrittene Papst-Bruder Georg Ratzinger ist gestorben. 30 Jahre lang
> war er Chef der Regensburger Domspatzen – und duldete ein System der
> Gewalt.
Bild: Priester Georg Ratzinger im Jahr 2005
Berlin taz | Es gibt ein mittlerweile fast zeitgeschichtlich relevantes
Foto von Georg Ratzinger. Es zeigt den späteren Leiter der weltberühmten
Regensburger Domspatzen am 29. Juni 1951 im Freisinger Dom bei der
gemeinsamen Priesterweihe mit seinem drei Jahre jüngeren Bruder Joseph, dem
späteren Papst Benedikt XVI.
Die beiden schwarzhaarigen bayerischen Männer sind festlich in noch barock
anmutende Chorhemden gekleidet und haben die Arme zum Segen ausgestreckt.
Der 27-jährige Georg, der als Wehrmachtssoldat den Krieg überlebte,
strahlt. Sein jüngerer Bruder war nur Flakhelfer, er ist konzentriert und
ernst – und es ist, als deute sich in diesem Schwarz-Weiß-Foto schon die
Zukunft der beiden Ratzingers an.
Während Georg Ratzinger sein Leben der heiteren Muse widmete und eine
musikalische Karriere anstrebte (im Priesterseminar hatte er den Spitznamen
„Orgel-Ratz“), wurde Joseph Ratzinger so etwas wie das tiefernste
Wunderkind der Theologie in Deutschland. Georg Ratzinger fand nach dem
Studium der Kirchenmusik an der Musikhochschule München 1964 seine
Lebensaufgabe: Er wurde „Domkapellmeister“ und damit de facto für 30 Jahre
Chef der Regensburger Domspatzen, die in einer 1.000-jährigen Tradition
stehen.
Der Weg seines Bruders führte über mehrere Lehrstühle für Theologie, den
Erzbischofssitz in München und die Aufgabe des Präfekten der
Glaubenskongregation in Rom schließlich ins höchste Amt der katholischen
Weltkirche. Die ehrgeizigen Geschwister blieben ihr Leben lang eng
verbunden – bis zum Besuch des greisen ehemaligen Papstes Joseph Ratzinger
am Sterbebett Georgs vor wenigen Tagen in Regensburg.
Da flogen schon mal die Notenständer
Das wäre ein schönes Ende der Geschichte der frommen Brüder aus der
bayerischen Provinz, hätte sich nicht über beide in den vergangenen zehn
Jahren der [1][Schatten des Missbrauchsskandals] gelegt. Joseph Ratzinger
darf man als früherem Erzbischof von München, als Chef der
Glaubenskongregation (einst: Heilige Inquisition) und als Papst mit
ziemlicher Sicherheit vorwerfen, dass er stets einiges über die
sexualisierte Gewalt von Priestern an Kindern und Jugendlichen wusste – und
[2][dagegen zu wenig tat], diese womöglich gar vertuschte.
Dem verstorbenen Georg Ratzinger konnten trotz mehrerer Untersuchungen über
den hundertfachen Missbrauch bei den Domspatzen in der Nachkriegszeit weder
solche Taten noch ihr Vertuschen nachgewiesen werden. Klar aber ist: Georg
Ratzinger duldete als Chef der Domspatzen über viele Jahre ein System der
Angst, zum Teil des Sadismus, jedenfalls der Gewalt gegenüber den Knaben
mit den goldenen Stimmen.
Er räumte ein, selbst viele Ohrfeigen verteilt zu haben, wenn ihm die
Jungen nicht folgsam genug waren. Berühmt-berüchtigt waren die cholerischen
Anfälle des Perfektionisten bei Proben – da flogen schon einmal
Notenständer in Richtung Chor. In einem seiner letzten Interviews sagte
Georg Ratzinger, er hoffe auf die Gnade Gottes, wenn er bald sterben werde.
Er wird gewusst haben, warum er sie nötig hat.
1 Jul 2020
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## AUTOREN
Philipp Gessler
## TAGS
Joseph Ratzinger
Sexualisierte Gewalt
Regensburg
Kindesmissbrauch
Katholische Kirche
EKD
sexueller Missbrauch
sexueller Übergriff
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