| # taz.de -- Black Metal in Saudi-Arabien: Laut, aber heimlich | |
| > Die Band AlNamrood spielt regierungskritischen Black Metal in | |
| > Saudi-Arabien und wird im Netz gefeiert. In der Monarchie droht ihnen die | |
| > Todesstrafe. | |
| Bild: Sie können sich nicht offen zeigen: die saudische Black-Metal-Band AlNam… | |
| Sie könnten Stars sein. Vorreiter ihrer Zunft, gerühmt für ihre Musik, | |
| ihren Mut, ihre Mission. Sie könnten dreckige Bars und große Hallen füllen, | |
| in denen ihr Publikum in Walls of Death ekstatisch aufeinander zustürmt. | |
| AlNamrood ist die erste Black-Metal-Band in Saudi-Arabien, vielleicht die | |
| berühmteste, aber sicher die provokanteste. Das Problem an der Sache: Auf | |
| ihre Musik steht im Königreich die Todesstrafe. | |
| „Was uns antreibt? Die Unterdrückung der Menschen durch die Religion“, sagt | |
| Mephisto, Gitarrist und Bassist der Band. „Wir kritisieren Politik, | |
| Nationalismus, Klassizismus, Ideologiehörigkeit, soziale Ungerechtigkeit. | |
| Aber das Hauptproblem in Saudi-Arabien ist ein Islam, der uns als | |
| politisches System verkauft wird und uns von Beginn an in den Rachen | |
| gepresst wird.“ Den Musikern ist vollkommen bewusst, dass sie mit dieser | |
| Haltung in Saudi-Arabien kein einziges Konzert spielen können, niemals. Im | |
| Internet werden sie dafür gefeiert: Mehr Black Metal zu sein als sie gehe | |
| gar nicht. | |
| Nicht nur durch diese Konsequenz sticht AlNamrood unter den wenigen | |
| Metal-Bands im Land noch heraus. Ihr grundsolider, stark von | |
| skandinavischen Bands beeinflusster Metal klingt aggressiv, roh und | |
| unbehauen – und wird in seiner ganzen Knarzigkeit zusätzlich gebrochen von | |
| arabischer Perkussion und klassischen Saiten-Instrumenten wie Oud und | |
| Kanun. | |
| Auch als Nicht-Metaller drückt einen die dumpfe Wucht beim Zuhören ganz | |
| schön in den Sessel. Gern würde man die Texte entschlüsseln, doch die sind | |
| zum einen Metal-typisch schwer zu verstehen – und auf Arabisch, was im | |
| arabischen Metal eine Seltenheit ist. Zum anderen veröffentlichen AlNamrood | |
| aus Sicherheitsgründen ihre Texte nicht getrennt vom Sound. | |
| ## Ein gut isoliertes Heimstudio | |
| Ihr jüngst erschienenes Album „Wala’at“ hat die Band, wie die sechs Alben | |
| zuvor, in ihrem gut isolierten Heimstudio eingespielt. Laut, aber heimlich. | |
| Veröffentlicht wird auf dem kanadischen Label Shaytan Productions, so heißt | |
| im Arabischen der Teufel. Wala’at wiederum, der Titel ihres Albums, | |
| bedeutet „Loyalitäten“ – für Mephisto ein Schlüsselinstrument der | |
| Unterdrückung: „Das Album ist denen gewidmet, die Loyalität zu Ideologien, | |
| Konzepten oder Symbolen, so wie wir, als Grund für das unselige | |
| Herdenverhalten sehen.“ | |
| AlNamrood sind wütend. Sie sind die wohl provokanteste Band im Königreich | |
| überhaupt, und sie sind nicht immer sehr wohlgelitten unter ihren | |
| Musikerkolleg*innen. Ihre Unerbittlichkeit, ihre Kritik am Staat, ihre | |
| Aggressionen erwiesen der Szene einen Bärendienst. So heißt es. Gitarrist | |
| Mephisto kontert: „Andere Bands singen nie über Politik und Religion, | |
| lassen sich ihre Auftritte von der Regierung abnicken und richten ihre | |
| Musik an den Regeln der Scharia aus. Das ist pure Heuchelei.“ | |
| Dass es überhaupt Metal-Auftritte in Saudi-Arabien gibt, ist ein neues | |
| Phänomen. Erst am 25. Oktober 2019 spielte die Grindcore-Band Creative | |
| Waste ein öffentliches Konzert im Bohemia Art Café in Khobar, einer Stadt | |
| ganz im Osten des Landes, an der Grenzbrücke zu Bahrain. Zwar haben | |
| engagierte Metalheads schon seit Mitte der 2000er zu privat organisierten | |
| kleinen Konzerten eingeladen, sagte Creative-Waste-Frontmann Fawaz | |
| al-Shawaf in einem Interview mit einem Hardcore-Magazin. | |
| Doch als ab etwa 2009 die Gigs zu groß wurden und das Publikum Eintritt | |
| bezahlen musste, schritten die Behörden ein. Ein Organisator musste ins | |
| Gefängnis, ein anderer wurde des Landes verwiesen. Ähnliche | |
| Repressionswellen gab es in fast allen arabischen Staaten, fast immer | |
| schwang der Vorwurf des Satanismus mit. In Saudi-Arabien dauerte es bis zum | |
| geschichtsträchtigen 25. Oktober 2019, dass eine Metalband legal auftreten | |
| konnte. | |
| ## Viele junge Saudis begrüßen den Kurs der Regierung | |
| Viele bejubelten das Konzert. Nicht so AlNamrood. „Das geschah mit | |
| Billigung der Regierung und ist ein Versuch, ihr Image aufzupolieren“, sagt | |
| Mephisto. „Wenn es wirklich um Freiheit und Öffnung ginge, warum braucht | |
| eine Band dann die Genehmigung der Behörden?“ | |
| Das Konzert in Khobar ist nur ein Beispiel von tatsächlich sehr vielen, mit | |
| denen das Land unter der De-facto-Führung von Mohammed bin Salman seinen | |
| Modernisierungswillen unter Beweis stellen will. MbS, so der Kurzname des | |
| Kronprinzen, ließ „Saudi Seasons“ für Kunst und Kultur veranstalten, das | |
| „Red Sea International Film Festival“ planen und internationale Techno-DJs | |
| zum dreitägigen Festival „MDL Beast“ einfliegen – jüngst fortgeführt d… | |
| den zwölfstündigen Techno-Stream „MDL Freqways“. | |
| Viele junge Saudis scheinen den Kurs der Regierung zu befürworten. Da er | |
| sich viele Maßnahmen und Neuerungen im Königreich ganz persönlich auf die | |
| Fahnen geschrieben hat, gilt MbS als potenter Macher. Dass sich im Land | |
| vieles ändern muss, dass es für die Diversifizierung weg vom Öl eine | |
| motiviertere Gesellschaft und den stärkeren Einbezug von Frauen braucht, | |
| wird kaum noch bestritten. | |
| Manche der Modernisierungstendenzen im Königreich sind also durchaus ernst | |
| zu nehmen. Aber: Von gesellschaftlicher Teilhabe, politischer Öffnung oder | |
| Schutz von Andersdenkenden und Minderheiten kann weiter keine Rede sein. | |
| „Es ist alles eine große Täuschung“, kommentiert AlNamrood-Musiker | |
| Mephisto. „Du weißt, was im Konsulat passiert ist?“ Er spielt auf die | |
| brutale Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi an, der am 2. Oktober | |
| 2018 im saudischen Konsulat in Istanbul getötet wurde. Der Kronprinz selbst | |
| soll in den Mord verstrickt sein. | |
| ## Keine direkte Kritik an der Herrscherfamilie | |
| In Saudi-Arabien dieser Tage herrschen viele Tabus. Religion, Staat, | |
| Politik – AlNamrood bricht sie alle. Nur direkte Kritik an der | |
| Herrscherfamilie hört man nicht. „Wenn auf Apostasie die Todesstrafe steht, | |
| ist Kritik am Königshaus noch schlimmer.“ | |
| Doch wenn AlNamrood in ihrer Musik Religion und Nationalismus angreifen, | |
| zielen sie genau auf den Kern der saudischen Herrschaft, auf die | |
| Legitimation der Könige. Die reicht ins 18. Jahrhundert zurück, als der | |
| Dynastie-Begründer Mohammed ibn Saud einen Pakt mit Mohammed ibn Abd | |
| al-Wahhab schloss, dem geistigen Vater und Namensgeber des Wahhabismus. | |
| Öffentliche Äußerungen in diesem Umfeld sind höchst sensibel. In | |
| Saudi-Arabien sind Kritiker*innen schon für sehr milde Formen der Kritik | |
| ins Gefängnis geraten oder sogar zum Tode verurteilt worden. Seit ihrer | |
| Gründung im Jahr 2008 leben die AlNamrood-Musiker mit diesem Risiko. | |
| Man kann mit Mephisto nur schriftlich kommunizieren, er antwortet locker, | |
| verwendet Smileys. „Klar würde ich gerne mal nach Wacken! Aber was wir | |
| machen, ist gefährlich für uns, das wissen wir. Vor allem, weil AlNamrood | |
| nicht nur ein Metal-Projekt ist, sondern eine Bewegung gegen Unterdrückung. | |
| Und genau deswegen kämpfen wir weiter.“ | |
| ## Instrumente aus dem Musikhaus Thomann | |
| Der Kampf ist nicht immer heroisch, aber dafür oft kleinteilig. Ihre | |
| Instrumente etwa importieren sie aus Deutschland – vom Musikhaus Thomann im | |
| bayerischen Burgebrach, um genau zu sein. Dann gehen die Gitarren, | |
| Verstärker und anderes Equipment über einen Mittelsmann nach Saudi-Arabien. | |
| Seit das Königreich im Januar 2018 eine Mehrwertsteuer eingeführt hat, ist | |
| der ganze Prozess nicht nur aufwendig, sondern auch teuer. Aber wenigstens | |
| müssen sie nicht mehr schmuggeln wie früher, als Kassetten und CDs illegal | |
| ins Land gebracht wurden. | |
| Nicht nur einmal haben Mephisto und seine Bandkollegen mit dem Gedanken | |
| gespielt, ins Exil zu gehen. Das Land zu verlassen, das ihnen verbietet, | |
| ihrem Herzenswunsch nachzugehen, ihrer Liebe zur Musik. „Aber hast du dir | |
| mal die Einwanderungsgesetze angeschaut?“ Weil sie weder reich seien noch | |
| irgendwelche akademischen Nachweise liefern könnten, sei das keine Option. | |
| Sich um einen Status als Geflüchteter zu bemühen, lehnt Mephisto ab. | |
| „Fliehen, nur um von einer Sklaverei in eine andere, die moderne Sklaverei | |
| der Geflüchteten zu kommen? Nein danke. Da bleiben wir lieber im | |
| Untergrund.“ | |
| 30 Jun 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Christopher Resch | |
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