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# taz.de -- Wunderheiler in Russland: Beschwörer des Virus
> Der Telemagier Anatoli Kaschpirowski heilte zu Sowjetzeiten Menschen in
> ihren Wohnzimmern. Jetzt ist er wieder da – dank Corona.
Bild: 1988 in Aktion: Anatoli Kaschpirowski (rechts)
Moskau taz | Er war ein Guru, der alle um sich herum in den Schatten
stellte. Riesige Hallen und Säle füllte er. Im sowjetischen Fernsehen
folgten ihm Millionen. 60 PKWs hätte er sich von einem einzigen Honorar
kaufen können, sagte er damals. Anatoli Kaschpirowski war Psychotherapeut,
Arzt und Zeitgeist.
1989 erhielt er im sowjetischen TV eine eigene Show. Menschen lagen ihm zu
Füssen, buchstäblich. Kaschpirowski war nicht nur Wunderdoktor und
Psychoheiler. Der Therapeut mit 25 Jahren Berufserfahrung, der aus aus der
Ukraine stammt, war eine Antwort auf die Wünsche von Millionen. Am Ende der
Sowjetunion hatten viele Glauben, Sicherheit und Hoffnung in die Zukunft
verloren.
Jetzt ist er wieder zurück: Mit 80 Jahren taucht Anatoli Kaschpirowski als
YouTuber wieder auf und beschwört das Coronavirus. Pünktlich Ende März, als
sich die Covid-19-Krise nicht mehr leugnen ließ, kehrte er mit
hunderttausend Zuschauern im Schlepptau zurück.
Dennoch, seine Hochzeit war die Umbruchphase 1989. Kurz zuvor wäre der
Telemagier noch wegen Scharlatanerie angeklagt worden und in der
Psychiatrie verschwunden. Stattdessen war Anatoli bis in die Mitte der
1990erJahre neben dem späteren russischen Präsidenten Boris Jelzin die
populärste Figur im bröckelnden Riesenreich.
## Vor dem Rubin TV-Gerät
Wer die UdSSR noch erlebt hat, kennt ihn. Manch Jüngerer erinnert sich, wie
sich die Familie vor dem Rubin TV-Gerät versammelte, bevor die „Seans“
begann. Kaschpirowski war nicht der einzige Übersinnliche – der
„Ekstrasens“.
Daneben gab es auch andere. Am frühen Morgen ging Allan Tschumak auf
Sendung. Der Redakteur von der Agentur APN heilte mit rudernden
Armbewegungen und lud die vorm Fernseher platzierten Kleinode mit Energie
auf: Wasserflaschen, Creme-Dosen und allerlei Tuben, die gegen alles
Mögliche helfen sollten.
Tschumak eilte der Ruf voraus, ein weißer [1][Magie]r zu sein. Selbstlos
und ohne Hintergedanken.
Kaschpiroswki hingegen galt als schwarzer Magier, der auch negative
Energien versprühte. Vor allem der Sinn fürs Kommerzielle wurde ihm
angelastet. Wenn er Salz noch zu Rubeln machte. Nähte platzten, Warzen
verschwanden, neue Zähne wuchsen und graue Haare erhielten die alte Pracht
zurück. Massenpsychose?
## Fürchterliche Schmerzen
Sein berühmtester Auftritt fand 1989 statt. Über Video aus der Ukraine
leitete er eine Frau in Georgien an, die Narkosen nicht vertragen konnte.
Auch vor einer Bauchoperation lehnte sie Schmerzbehandlung ab. Sie
vertraute auf die Magie Kaschpirowskis: „Wer mir zugeschaut hat, kann sich
jetzt beim Zahnarzt schmerzlos einen Zahn ziehen lassen“, triumphierte er
nach dem Eingriff.
Lesja Jerschowa hatte während der Operation jedoch „fürchterliche
Schmerzen“, gestand sie später. Ein vierzig Zentimeter langer Schnitt war
nötig. Sie hielt durch, denn sie erhoffte sich, mit Hilfe des Wunderheilers
abzunehmen und als Beispiel von Kaschpirowskis Heilkunst um die Welt zu
reisen. Das Versprechen hielt er jedoch nicht.
Kaschpirowski ist auch als 80jähriger noch in guter Form. Vor der Karriere
als „ekstrasens“ soll er die Gewichtheber der UdSSR trainiert haben.
Ökonomische Krisen lässt der Magier jedoch nicht aus. In der Finanzkrise
2009 versuchte er erneut eine TV-Show zu lancieren, die an „paranormalen“
Nachforschungen orientiert war. Das klappte jedoch nicht. An übersinnlichen
Themen herrscht kein Mangel in Russland, wo selbst „Psychos in die
Schlacht“ geschickt werden.
## Videos mit Akuthilfe
Seit 2010 betreibt er auch einen YouTube-Kanal, allerdings mit
bescheideneren Zuschauerzahlen. „Rettung vor den Schmerzen und sofortige
Hilfe bei Bandscheibenvorfall“ lauten Videos mit Akuthilfe. Über den Kanal
gelingt es ihm auch, Emigranten und Russischsprachige in der GUS
anzusprechen.
Wenn er nicht selbst unterwegs ist wie neulich in Kasachstan: Dort schlich
ein älterer Mann mit krummem Rücken langsam und vorsichtig über die Bühne.
Bevor er dahinter verschwand, suchte er noch Kontakt zu Kaschpirowski.
Minuten später kehrte der Alte aufrecht und lachend zurück und winkte den
Zuschauern zu. Tosender Beifall, tatsächlich scheint er genesen zu sein.
„Plus und Minus des Coronavirus“ hieß eine der letzten Sitzungen, zu der
sich fast eine halbe Million Zuschauer zuschalteten.
„Unsere Sitzung wird eine Explosion des Immunsystems bewirken Sie wird Sie
beschützen“, versichert der Wunderdoktor nach 53 Minuten am Ende ruhig.
25 Apr 2020
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## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
## TAGS
Russland
Magie
Schwerpunkt Coronavirus
Schamanismus
Russland
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