# taz.de -- Online-Schach so beliebt wie nie: Boom am Brett | |
> Denksport in Coronazeiten: Wie SchachspielerInnen weltweit die Krise | |
> nutzen und Onlineangebote neue Rekordzahlen vermelden. | |
Bild: Derzeit beliebt: das Nachspielen der besten Partien von Bobby Fischer, hi… | |
Die Wettkämpfe ruhen, es gibt keine Trainingsabende mehr – das gilt für die | |
Randsportart Schach natürlich auch. Doch im Gegensatz zu den 65 anderen | |
Spitzenverbänden innerhalb des Deutschen Olympischen Sportbunds kommt der | |
Schachbund mit den Folgen der virusbedingten Pause gut klar. Das | |
altehrwürdige Spiel erlebt online goldene Zeiten. Im Web werden täglich zig | |
Millionen Partien gespielt. „Unfassbar, was da gerade abgeht“, meint | |
Georgios Souleidis. | |
Der 47-Jährige würde ohne Pandemie derzeit die Duelle von Weltmeister | |
Magnus Carlsen und anderen in Baden-Baden beleuchten und als Pressechef des | |
Turniers deren Kommentare in aller Welt verbreiten. Dass dem | |
freiberuflichen Journalisten ein weiterer Auftrag wegbrach, bekümmert den | |
Bundesliga-Mediensprecher nach anfänglicher Sorge jedoch nicht mehr. | |
Genauso wie das abgebrochene WM-Kandidatenturnier in Russland, über das er | |
für die Deutsche Presse-Agentur (dpa) berichtet hatte. Statt Trübsal zu | |
blasen, mutierte der Schreiber selbst zum Star der Denkerszene. Souleidis | |
setzt auf seinen [1][YouTube-Kanal] und streamt jetzt jeden Tag ein neues | |
Video. | |
Binnen kürzester Zeit explodierten die Klickzahlen. Seine „Goldenen | |
Schachregeln“ für Hobbyspieler haben vor Ostern bereits mehr als 400.000 | |
Interessierte angeschaut. Hinter „The Big Greek“, wie sich der kleine | |
Grieche selbstironisch nennt, scharte sich mittlerweile ein Heer von über | |
16.000 Abonnenten. Die Entwicklung seit Corona erstaunt Souleidis noch | |
immer. | |
## Brilliante Opferpartien wie die „Immergrüne“ | |
„Das Erfreuliche ist, dass viele das königliche Spiel neu beziehungsweise | |
nach langer Pause wieder entdecken“, erzählt der Hamburger. Deshalb gibt er | |
blutigen Anfängern genauso Tipps wie Experten. Letztere lassen sich aber | |
lieber von dem Internationalen Meister – dem höchsten Titel auf Lebenszeit | |
hinter dem des Großmeisters – die Feinheiten der Sizilianischen | |
Verteidigung erläutern. | |
Beliebt sind im Web auch brillante Opferpartien wie [2][„Die Unsterbliche“] | |
oder „Die Immergrüne“ vom ersten deutschen Ass Adolf Anderssen (1818–187… | |
oder die berühmtesten Siege von US-Legende Bobby Fischer. Auf Wunsch seiner | |
Fans analysiert Souleidis aber auch kuriose Meisterwerke. Emil Joseph | |
Diemer, der etwas versponnene [3][„Prophet von Muggensturm“], hatte einmal | |
in einer Gewinnpartie in den ersten 17 Zügen nur Bauern bewegt. | |
Die Webseite des deutschen Schach-Software-Riesen ChessBase landete vor | |
Ostern ebenfalls einen Coup: Angesichts all der ausgefallenen Turniere rund | |
um den Globus begeisterten die Hamburger die Fans mit einer | |
„Liveschaltung“: Sie taten einfach so, als fände das vor exakt 50 Jahren in | |
Belgrad ausgetragene Match zwischen der [4][UdSSR und dem „Rest der Welt“] | |
jetzt statt. Das hatte Charme, die 40 Partien beim knappen 20,5:19,5 für | |
die Sowjets kamen noch einmal zur Aufführung. Der Kölner Vlastimil Hort, | |
der 1970 die CSSR im „Welt“-Team vertrat, und der Ungar Lajos Portisch | |
lieferten als Zeitzeugen neue Einordnungen. | |
## 14.000 Dollar im „Banter Blitz“ | |
Aber nicht nur Souleidis und ChessBase profitieren. Jeder engagierte | |
Schachverein trifft sich nun virtuell und lädt zu Trainingssessions oder | |
Turnieren ein. Der Deutsche Schachbund nutzt die Gelegenheit ebenso, | |
nachdem die deutschen Meisterschaften Anfang Mai in Magdeburg abgesagt | |
werden mussten. „Es boomt dank der weltweiten Quarantänemaßnahmen. Die | |
Schachwebseiten erleben einen nie gekannten Ansturm“, freut sich Souleidis. | |
Die globalen Platzhirsche platzen aus allen Nähten: Die 3,67 Millionen | |
Mitglieder von Chess.com trugen allein am Ostersonntag 5,015 Millionen | |
Partien aus. 667 internationale Titelträger tummelten sich zeitgleich bei | |
den Kaliforniern. | |
Am Ostersamstag brachten wohl an die 100.000 eingeloggte Schachspieler | |
LiChess.org an den Rand des Zusammenbruchs. Stundenlang hieß es bei dem | |
beliebtesten kostenlosen Anbieter auf Englisch: „Wir haben zu viele | |
Anfragen. Versuchen Sie es später noch einmal.“ | |
Bei Chess.com oder LiChess.org lenken sich zu jeder Tages- und Nachtzeit | |
40.000 bis 90.000 Gäste im virtuellen Stadion von der Coronakrise ab. | |
Blitzpartien mit ein paar Minuten Bedenkzeit sind am beliebtesten. Manche | |
Gäste lösen aber auch Taktik-Trainingsaufgaben oder verfolgen die | |
Blitzduelle der Stars live. | |
Bei Chess24.com spielten am Mittwoch der Norweger Carlsen und sein | |
Kronprinz, der aus dem Iran geflüchtete 16-jährige Alireza Firouzja, das | |
Finale im „Banter Blitz“ um 14.000 Dollar aus. Diese Summen sind für | |
Durchschnittsgroßmeister unerreichbar. Die ohnehin finanziell nicht | |
verwöhnten Profis freuen sich schon, wenn sie im Web mal ein paar Hunderter | |
gewinnen. | |
15 Apr 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=bZn0ibLtcx8&t= | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=EEgBIkat080&t= | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=MyKBXON7NmU | |
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/UdSSR_gegen_den_Rest_der_Welt | |
## AUTOREN | |
Hartmut Metz | |
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