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# taz.de -- Corona verbessert die Umgangsformen: Plötzlich zivilisiert
> Geht doch: Im Zuge der Pandemie haben die BerlinerInen ganz plötzlich
> gelernt, Rücksicht zu nehmen.
Bild: So eine schöne Schlange: Drängeln ist plötzlich out
Die Pandemie hat die Stadt ins Chaos gestürzt. Es herrscht Anomie, jeder
sieht zu, wo er bleibt. KundInnen zerfleischen sich am Lidl-Regal im Kampf
um die letzte Klopapierrolle. Auf geheimen Partys stößt das Jungvolk aufs
vorzeitige Ableben der Alten an. PolizistInnen werden mit infiziertem
Sputum attackiert, rächen sich mit brutalen Einsätzen und holen den
eisernen Besen raus. Das Ende ist nah.
Nicht.
Natürlich, es gibt diese Erzählungen, wie im Angesicht der Krise alles
immer schlimmer wird, manches davon wird wahr sein, und unter dem
Vergrößerungsglas von Twitter und Co. sieht es noch mal besonders heftig
aus. Aber die Erfahrung, die sehr viele gerade in ihrem Corona-Alltag
machen, ist eine andere: Das Virus hat die BerlinInnen in ungeahntem Maße
zivilisiert.
Man muss gar nicht die vielen solidarischen Gesten und Hilfsangebote
bemühen, die fast genauso exponentiell wachsen wie die
Infiziertenmeldungen: die [1][Netzwerke zur Unterstützung von
Lieblingskneipen und -läden], die [2][Gabenzäune, an die Hilfswillige Tüten
mit Lebensmitteln für Obdachlose hängen], Telegram-Kiezgruppen und die
unzähligen Zettel in den Treppenhäusern, auf denen sich NachbarInnen für
Einkäufe und sonstige Erledigungen anbieten.
Es reicht schon ein Gang auf die Straße. Wann hat man in dieser
Nahkampfzone zum letzten Mal so viel Rücksichtnahme erlebt? Hätte vor der
Krise irgendjemand eine Flasche Bier darauf verwettet, dass die gemeine
BerlinerIn vorbildlich Schlange steht, anderen abstandsbedingt den Vortritt
lässt und dabei auch noch halbwegs freundlich schaut? Sogar über
komplizenhaftes Lächeln wird berichtet.
## Milde Zurückhaltung
Corona-Partys? Wann gab’s wo die letzte? Ignorante Zusammenrottungen in
Parks? Wirklich oder nur gefühlt? Umgekehrt fallen auch die meisten
Begegnungen mit der Polizei, die zurzeit eigentlich vor Kraft kaum gehen
können dürfte, erstaunlich milde aus. Irgendwie nehmen sich gerade alle ein
bisschen zurück, ein völlig unbekanntes Berlingefühl.
Vielleicht ist das nur eine Momentaufnahme. Vielleicht reißen die
schlechten Sitten dann doch wieder ein, wenn’s irgendwann für viele
ökonomisch und emotional ans Eingemachte geht. Eine andere Erklärung
scheint naheliegender: Corona entschleunigt uns dermaßen, dass wir alle
gerade ein bisschen entspannen. Die leeren Straßen, das Fehlen von Staus,
der Wegfall der ständigen Mikroaggressionen im Verkehr und des Gerempels
auf dem Gehweg – man sollte das nicht unterschätzen.
Leider heißt das auch: Kommt alles wieder. Genießen wir’s, solange es
anhält.
3 Apr 2020
## LINKS
[1] https://helfen-shop.berlin/
[2] https://www.berliner-obdachlosenhilfe.de/helfen/hilfe-wahrend-der-corona-pa…
## AUTOREN
Claudius Prößer
## TAGS
Anti-Aggressions-Maßnahme
taz.gazete
Schwerpunkt Coronavirus
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