# taz.de -- Ein Supermarkt in Zeiten von Corona: Der Gegner ist unsichtbar | |
> Wie lange soll das noch dauern, fragt sich Soran Ahmed, Inhaber eines | |
> Supermarkts in Schöneberg, nach einem Monat Hamsterkäufen. Ein Protokoll. | |
Bild: Hat so was auch noch nicht erlebt: Soran Ahmed in seinem Supermarkt | |
„Wir haben das alle unterschätzt. Das Bewusstsein muss sich aber auch erst | |
mal durchsetzen, wie gefährlich dieser Virus ist. Und dann diese | |
Hamsterkäufe. Ich bin seit 18 Jahren Einzelhandelskaufmann. So einen | |
Ansturm wie im März habe ich noch nie erlebt. Toilettenpapier, Nudeln, | |
Hygieneartikel – sämtliche Regale leer. | |
Klopapier! Ich kann dieses Wort nicht mehr hören. Warum horten Leute das? | |
Inzwischen ist es mit dem Nachschub ein bisschen besser geworden, aber wir | |
haben gelernt: Wir packen nicht mehr alles auf einmal in die Regale. Eine | |
Palette morgens, eine nachmittags. Kunden, die erst später einkaufen gehen | |
können, sollen auch noch was vorfinden. Es sind ja nicht alle im | |
Homeoffice. Von Normalisierung kann trotzdem keine Rede sein. Jetzt ist die | |
Palette nicht mehr nach fünf Minuten, sondern erst nach 30 Minuten | |
verkauft. | |
Die Frage ist: Wie lange soll das noch dauern? Ein, zwei Wochen wären in | |
Ordnung, aber dann? Der Gegner ist unsichtbar, er ist nicht zu fassen. Na | |
klar, vielleicht bekommen 80 Prozent der Menschen nur eine Erkältung, aber | |
was ist mit den anderen? Ich habe selbst einen Vater, der über 80 ist. | |
Für die Alten ist es ganz schlimm. Sie haben ohnehin nicht mehr so viele | |
Kontakte, und jetzt sitzen sie den ganzen Tag zu Hause und hören diese | |
schrecklichen Nachrichten. | |
## Da gibt es große Ängste | |
Auch um die Geschäfte und Kneipen, die zumachen mussten, mache ich mir | |
Sorgen. Um meine Nachbarn oder meinen Kumpel, der eine Cocktailbar hat. Da | |
werden vom Staat jetzt zwar große Summen reingepumpt. Aber wer kriegt am | |
Ende was? Viele gehen trotzdem pleite? Da gibt es große Ängste. | |
Letzte Woche habe ich fünf neue Mitarbeiter eingestellt. Die kommen alle | |
aus der Gastronomie. Der Mann einer Mitarbeiterin, ein Koch, hat jetzt auch | |
die Kündigung bekommen. Ich hatte noch zehn weitere Bewerbungen, aber ich | |
kann nicht alle einstellen. So viel Ware bekomme ich zurzeit gar nicht. | |
Finanziell, vom Umsatz her, profitiere ich natürlich. Andererseits sind wir | |
einem deutlich höheren Risiko ausgesetzt, bei über 2.000 Kunden am Tag. | |
Noch ist nichts passiert, aber lass mal einen von meinen Beschäftigten | |
krank werden oder, nicht auszudenken, dass jemand stirbt. | |
Inzwischen haben wir Plexiglasscheiben vor den Kassen. Wir waren mit die | |
Ersten, die das gemacht haben. Es gibt immer noch Supermärkte, die das | |
behelfsmäßig machen. Plexiglas kriegt man aber auch nicht so schnell auf | |
dem Markt. | |
## In seiner Freiheit eingeschränkt | |
Auf dem Fußboden gibt es jetzt auch Abstandsmarkierungen. Das sei ja wie im | |
Hitler-Staat, hat neulich ein Kunde gemeckert. Er fühlte sich in seiner | |
Freiheit eingeschränkt. Oder die Kunden machen sich gegenseitig an, weil | |
ihnen angeblich jemand zu nahe gekommen ist. Einer hat deshalb sogar die | |
Polizei gerufen. | |
Die Leute werden empfindsamer, zum Teil auch aggressiver. Oder es kommen | |
vier junge Männer zusammen rein. Auf der Straße sind ja keine Vierergruppen | |
mehr erlaubt. Als ich ihnen nachgegangen bin, haben sie sich schnell im | |
Laden verteilt. Sie hätten ja schlecht behaupten können, dass sie vier | |
Brüder sind. | |
Das sind viele neue Anforderungen. Mein Bruder und ich haben noch einen | |
zweiten Supermarkt. Am Mittwoch haben wir unseren Beschäftigten 25.000 Euro | |
in Form von Gutscheinen ausgezahlt. Als Dankeschön und aus Respekt, dass | |
sie das alles mitmachen.“ Protokoll: Plutonia Plarre | |
## | |
## „Potenzial für soziale Verwerfungen“ | |
Gabriele Halder setzt sich für einen selbstbestimmten | |
Schwangerschaftsabbruch ein. Die Gynäkologin über den Notdienst in ihrer | |
Praxis und ungewöhnlich viele Früh-Schwangerschaften in Zeiten der | |
Coronakrise. Ein Protokoll. | |
„Die Liebe hat in Zeiten von Corona bisher noch keine Einbrüche gezeigt. Im | |
Gegenteil. In unserer Frauenärztinnenpraxis haben wir ungewöhnliche viele | |
Früh-Schwangerschaften, die alle in der Corona-Anfangszeit entstanden sind. | |
Wenn Menschen „paniken“, nehmen sie eher Abstand voneinander, das scheint | |
noch nicht der Fall zu sein. | |
Ich höre immer den Christian Drosten – den täglichen Podcast des | |
Charité-Virologen von NDR-Info. Anfangs haben ihm Leute vorgeworfen, Panik | |
zu schüren. Die Zahlen geben ihm recht; sie sind sogar noch schneller | |
hochgegangen als erwartet. | |
Wir müssen gegensteuern. Für mein Empfinden gehen die Leute immer noch viel | |
zu unbefangen miteinander um. Es ist überhaupt keine Vorstellung von | |
exponentiellem Wachstum vorhanden. Wenn ich sie anspreche, bekomme ich zur | |
Antwort: Hab dich nicht so! Das betrifft Mitarbeiterinnen unserer | |
Frauenärztinnenpraxis genauso wie Leute in meiner Wohngemeinschaft. Da | |
herrscht ganz offenbar die Denke vor: Mir passiert doch nichts. | |
## Meine eigene Quarantäne | |
In meiner WG habe ich mich jetzt in mein Zimmer zurückgezogen. Ich gehe nur | |
noch raus, wenn ich zur Arbeit muss. Ich begebe mich sozusagen in meine | |
eigene Quarantäne. | |
In der Praxis bieten wir weiterhin einen Notdienst an: Um unsere | |
Schwangeren zu versorgen und um Spiralen zur Empfängnisverhütung zu legen. | |
Das gehört zur Daseinsvorsorge. | |
Sofern wir in Berlin eine richtige Ausgangssperre bekommen, ist davon | |
auszugehen, dass die häusliche Gewalt um das Dreifache steigt. China hat | |
das gezeigt. Die häusliche Nähe, die wir durch die | |
Aufenthaltsbeschränkungen haben, wird auch dazu führen, dass jetzt mehr | |
Frauen unerwünscht schwanger werden. Die | |
Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen haben aber teilweise dichtgemacht. | |
Für die Frauen könnte das zu einem großen Problem werden. | |
Wie in anderen Bereichen in Zeiten von Corona wäre es auch hier wichtig, zu | |
einem vereinfachten Verfahren für den Schwangerschaftsabbruch zu kommen. | |
Das heißt, dass die betroffenen Frauen ohne persönliche Vorstellung zu | |
einem Beratungsgespräch die gesetzlich erforderliche Bescheinigung für | |
einen Abbruch bekommen. Wie Studien gezeigt haben, ist die Beratungspflicht | |
ohnehin überflüssig. Frankreich und Belgien haben sie deshalb ersatzlos | |
abgeschafft. | |
## Bisher nur einmal in meinem Leben erlebt | |
Im Zentrum für sexuelle Gesundheit, in dem ich auch mitarbeite, sind | |
Desinfektionsmittel und Klopapier geklaut worden. Corona hat offenbar das | |
Potenzial für soziale Verwerfungen. Dass gesellschaftliche Spielregeln | |
außer Kraft gesetzt werden, das habe ich bisher nur einmal in meinem Leben | |
erlebt: nach der Maueröffnung. | |
Bei den ersten Nachrichten und Bildern aus China habe ich noch gedacht, | |
unglaublich, aber ganz weit weg. Und nun müssen sich ganz nahe Verwandte | |
wie die Italiener auf einmal mit der Triage auseinandersetzen. Zwischen | |
lohnendem und nicht mehr lohnendem Leben unterscheiden zu müssen ist das | |
Schlimmste, was einer Ärztin oder einem Arzt passieren kann. | |
Deshalb ist meine Sorge, bloß funktionsfähig zu bleiben, für den Fall, dass | |
ich in einem der Krankenhäuser gebraucht werde. Dafür opfere ich gern meine | |
sozialen Kontakte und bleibe auf Distanz.“ Protokoll: Plutonia Plarre | |
Zur Person: Gabriele Halder arbeitetet seit 1981 als Gynäkologin. Sie setzt | |
sich für einen selbstbestimmten, hürdenfreien und krankenkassenbezahlten | |
Schwangerschaftsabbruch ein. Ihre Praxis befindet sich in Wilmersdorf. Sie | |
hat drei Kinder. | |
Die beiden Protokolle erschienen in der Printausgabe der taz.berlin am | |
wochenende vom 28./29. März 2020. | |
28 Mar 2020 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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