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# taz.de -- Krisenmanagement global: Über den Balkonrand gucken
> Im Ausnahmezustand fällt schwer zu sehen: Selbst jetzt ist so ziemlich
> jeder andere Ort der Welt übler als der hier. Die Woche in
> Schlaglichtern.
Bild: Solosöder und Dr. Spahn heben mit Engel Angela die Union auf 32 Prozent
taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?
Friedrich Küppersbusch: Wachstumsprognose verfehlt.
Und was wird besser in dieser?
Klimaziele erreicht.
Am Mittwoch wendete sich Angela Merkel live an ihre Mitbürger:innen, das
macht sie sonst nur in ihrer Neujahrsansprache. Sie als TV-Profi, wie
fanden Sie den Auftritt der Kanzlerin?
Fällig. Wo andere Regierungschefs „Krieg“ erklären, [1][haut Deutschlands
ewig junge Lieblingsinfluencerin guten Rat raus]: Oma und Opa mal einen
Podcast machen! Die Inszenierung aus Solosöder, Dr. Spahn und Engel Angela
führt die Union prompt auf 32 Prozent hoch. Merkels mütterlich-strenge
Pflegedienstleitung vorweg macht das kleine Krankenhaus am Rande der Krise
offenbar sympathisch. Hinten aus dem Büro winkt Verwaltungsdirektor Scholz
mit ordentlich Geld, 1 Prozent rauf auch die SPD.
Die AfD verpeilt die Großchance, sich den grassierenden Corona-Leugnern
anzuschließen, und bettelt noch panischer nach „Durchgreifen“. Das stützt
die These, hier habe man es mit einer vor allem autoritären Partei zu tun.
Dabei wäre es – denkt man sich Corona eine Sekunde weg – ein Putsch. Für
deutsche Erinnerung vergleichsweise milde, doch was wir derzeit an Bruch
von Freiheitsrechten und mitwirkungslosem Umbau durchwinken, lässt staunen.
Merkels Traditionslinie „Macht euer Ding, ich kümmer mich ums Große“
erfährt in der „größten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg“
tatsächlich eine Eskalation: „Zieht mit, oder ich kann auch anders.“
[2][Im Flüchtlingscamp Moria brach ein Feuer aus, ein Kind starb]. Die
Situation auf Lesbos ist eine humanitäre Katastrophe, doch die EU macht
nichts. Was muss Deutschland jetzt tun?
Mal vom Außenbalkon singen. In diesem Ausnahmezustand fällt es schwer zu
sehen: Selbst jetzt ist so ziemlich jeder andere Ort der Welt übler als der
hier.
Von Quarantäne und Social Distancing haben vor allem profitiert: die
Streamingdienste. [3][Weil die enorme Datenmenge des Streaming zu
Netzüberlastungen führen könnte, behält sich die EU jedoch vor, Netflix und
Co. zu blockieren]. Folgt die große Rückkehr des linearen Fernsehens?
Es ist Physical Distancing. Bitte. Bei Körperkrampf sind wir Deutsche eh
Weltmeister. Bitte nicht anfassen. Aber sehr lieb haben. Bis auf Weiteres.
– Der Datenverkehr beim deutschen Internetknotenpunkt DE-CIX ist vorige
Woche um 10 Prozent gestiegen, weit innert der Reserven (schreibt der
Spiegel, wenn man ihn online erreicht).
Vergangene Woche gab das Magazin Playboy bekannt, seine Print-Edition in
den Vereinigten Staaten einzustampfen. Stimmt Sie das ein bisschen
nostalgisch?
Wenn ich das Heft schätzen würde, hätte ich ja nicht extra das Internet
erfunden. Dabei sind deutsche Pornofreunde mit 12,5 Prozent aller
Webseitenaufrufe die fleißigsten Einhandsegler der Welt – noch vor USA,
Brasilien und Indien. Trotzdem überlebt nun der deutsche Playboy das
Mutterblatt; allerdings mit erstaunlicher Statistik: 122.000 verkaufte
Auflage laut Verlag – 750.000 Leser laut MediaAnalyse. Bitte sorgfältig
desinfizieren.
Israel hat Handyüberwachung, Frankreich die Ausgangssperre und Deutschland
geschlossene Grenzen. Auf welche Regelungen müssen wir uns einstellen? Und
macht das alles überhaupt Sinn?
Okay, [4][Wodarg] und alle Zweifler, nehmt dies: Wenn wir irgendwann
feststellen, dass eine übliche Influenza auch viele Tote fordert – dann
wäre das am Ende nur ein Argument, auch bei dieser Krankheit wesentlich
strenger zu agieren. Die vielen Sinnfragen oder Verschwörungstheorien kann
man sich auf den Grabstein meißeln lassen, lieber einmal zu vorsichtig. Das
Wunder von Corona scheint: Bei jedem Blödsinn, der in dieser Gesellschaft
passiert, landet man mit der Jokerfrage „Wem nutzt es?“ beim: Geld.
Irgendwer verdient schon dran. Diesmal – sorry an alle, die die
Weltherrschaft von Klorollenherstellern dahinter ahnen – diesmal ist das
anders. Wem nützt es? Uns. Wobei ich bei [5][„Erhebung von Mobilfunkdaten
Infizierter und ihrer Kontaktpersonen“] ebenso kotze wie beim
Altersrassismus Sorgloser. Oma ist ne Umweltsau, Enkel sabbert Corona. Sind
wir quitt. Der Wirtschaftsstillstand zugunsten der Gesundheit stellt ein
paar gängige Thesen über die Allgewalt des Kapitals infrage. Hey, und er
könnte Klimaaktivisten echt neidisch machen.
Und was machen die Borussen?
Nichts. Das kostet 70 Mio pro ausgefallenem Spieltag.
Fragen: Matej Snethlage, Patrick Wagner
22 Mar 2020
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## AUTOREN
Friedrich Küppersbusch
## TAGS
Kolumne Die Woche
Handydaten
Lesbos
Schwerpunkt Angela Merkel
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