# taz.de -- Der Bau der Rail Baltica hat begonnen: Schnelle Bahn ins Baltikum | |
> Die Rail Baltica galt als vorrangiges Bahnprojekt der EU. Doch jahrelang | |
> passierte nichts. Nun wird Megaprojekt in Angriff genommen. | |
Bild: Mit vier Jahren Verzögerung hat der Bau der Rail Baltica endlich begonnen | |
Eine Baustelle 15 Kilometer südlich von Estlands Hauptstadt Tallinn ist das | |
sichtbare Zeichen dafür, dass es wirklich losgeht. In der Nähe des Ortes | |
Saku haben die Erdarbeiten für den Bau einer Bahnunterführung begonnen. In | |
ein paar Jahren werden hier Züge verkehren, die ihre Fahrgäste mit 240 km/h | |
in die lettische Hauptstadt Riga und ins litauische Kaunas, aber auch nach | |
Warschau und Berlin transportieren sollen. Die Realisierung der Rail | |
Baltica ist endlich in Gang gekommen. | |
Aus Deutschland mit der Bahn in die baltischen Staaten zu fahren, ist heute | |
noch ein kleines Abenteuer. Kann man beispielsweise von Riga aus Moskau | |
bequem über Nacht mit dem Zug erreichen, muss man für die etwa gleich lange | |
Strecke nach Berlin zwei Tage einplanen. Man muss mehrfach umsteigen und | |
schleicht teilweise auf Gleisen dahin, die nicht mehr als 30 km/h zulassen. | |
Kein Wunder, dass die meisten Reisenden das Flugzeug oder den Bus wählen. | |
Eigentlich sollte das längst anders sein. Bereits vor 25 Jahren gab es | |
erste Pläne, wie Litauen, Lettland und Estland besser mit dem | |
mitteleuropäischen Schienennetz verknüpft werden könnten. Nachdem diese | |
Länder 2004 EU-Mitglieder geworden waren, präsentierte Brüssel eine als | |
„vorrangiges Projekt Nr. 27“ gelistete Eisenbahnstrecke, die Tallinn und | |
Riga mit Litauen und Polen verbinden sollte. 2014 wurde eine Neubautrasse | |
mit europäischer Normalspur beschlossen, wodurch das an der Grenze zu Polen | |
erforderliche Umspuren von der russischen Breitspur überflüssig werden | |
würde. Doch bislang ist noch nicht viel passiert. | |
Die EU versprach 85 Prozent der auf rund 6 Milliarden Euro geschätzten | |
Investitionskosten für die 870 Kilometer lange Strecke von Tallinn bis zur | |
litauisch-polnischen Grenze zu finanzieren, bei der Europäischen | |
Investitionsbank liegen auch Abschlagszahlungen bereit. Doch das Geld wurde | |
von den baltischen Regierungen bislang gar nicht oder nur teilweise | |
abgerufen. Bahninfrastruktur genießt keine hohe Priorität. Zwei der drei | |
Parteien der estnischen Koalitionsregierung sind nicht von dem Projekt | |
überzeugt: Es werde sich weder vom Personen- noch vom | |
Güterverkehrsaufkommen her rechnen. | |
Auch die Planungen der genauen Trassenführung zogen sich hin. Jedes Land | |
hatte eigene Vorstellungen. Die drei nationalen Projektgesellschaften | |
arbeiteten oft nicht mit-, sondern gegeneinander. Mehrere Manager der für | |
die Koordination zuständigen multinationalen Rail-Baltica-Dachgesellschaft | |
warfen entnervt das Handtuch. Zuletzt der Finne Timo Riihimäki, der im | |
Herbst nach nur acht Monaten im Amt aufgab mit der Vorhersage: „Geht es so | |
weiter, wird es diese Bahn nie geben.“ | |
Mittlerweile scheint man sich zumindest grundsätzlich einig zu sein. | |
Allerdings opponieren nach wie vor einige Naturschutz- und | |
Nichtregierungsorganisationen gegen Teile der Neubaustrecke, darunter auch | |
eine – wie es der Zufall so will – gesponsert von einem großen | |
Lkw-Transportunternehmen. | |
Der Straßengüter- und Busverkehr muss die Bahnkonkurrenz fürchten. Die | |
Verfahren zu Kauf oder Enteignung der für den Bau benötigten mehr als 3.000 | |
Grundstücke dauern vielerorts an. Nur das litauische Parlament | |
verabschiedete ein Gesetz, mit dem die Verfahren beschleunigt und | |
Zwangsenteignungen erleichtert wurden. Dort klagen allerdings nun Landwirte | |
über viel zu niedrige Ausgleichszahlungen. | |
In Litauen begann man auch schon 2014 mit dem Bau einer 123 Kilometer | |
langen Normalspurtrasse von Kaunas an die polnische Grenze. Doch diese | |
bereits befahrene Strecke entspricht nicht den von der EU vorgegebenen | |
Normen. Statt für Geschwindigkeiten von 240 km/h ist sie nur für höchstens | |
120 km/h ausgelegt. Entweder muss sie nun teilweise aufwendig um- oder | |
gleich neugebaut werden. Modernisiert werden müssen auch Teile der | |
Anschlussstrecke in Polen zwischen Warschau und der Grenze zu Litauen. | |
## Güterverkehr auf die Straße | |
Vor einigen Wochen sicherten die Regierungschefs von Litauen, Lettland und | |
Estland zu, bis zum ersten Halbjahr 2021 alle ausstehenden Detailplanungen | |
abgeschlossen zu haben und anschließend umgehend Aufträge für die | |
Bauarbeiten zu vergeben. Ansonsten drohen EU-Gelder zu verfallen. | |
Trotz drei- bis vierjähriger Verspätung bei der Designphase wird offiziell | |
immer noch das Jahr 2026 für eine Fertigstellung des gesamten Projekts | |
angepeilt. Alle zwei Stunden soll es dann eine schnelle Verbindung zwischen | |
den baltischen Hauptstädten und den größeren Orten an der Strecke geben, | |
viermal täglich bis nach Warschau. Und man hofft einen großen Teil des | |
Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene verlagern zu können. | |
Ob man tatsächlich 2027 am Berliner Hauptbahnhof in den Nachtzug steigen | |
und 12 Stunden später in Tallinn frühstücken kann? Estlands | |
Ministerpräsident Jüri Ratas dämpft allzu großen Optimismus: Es werde eher | |
Ende der 20er Jahre so weit sein. Dann könnte womöglich schon ein 100 | |
Kilometer langer Ostseetunnel zwischen den Hauptstädten Estlands und | |
Finnlands fertig sein, den ein finnisches Konsortium mit Hilfe chinesischer | |
Partner bauen will. Endstation der Rail Baltica wäre dann Helsinki. | |
5 Mar 2020 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
## TAGS | |
Eisenbahn | |
Baltikum | |
Güterverkehr | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |