# taz.de -- Europasportpark Landsberger Allee: Dornröschenschlaf in Beton | |
> Der Europasportpark wurde nach der gescheiterten Bewerbung um Olympia | |
> 2000 nie fertig gebaut. Jetzt will der Senat das Projekt neu beleben. | |
Bild: Nach der gescheiterten Olympiabewerbung 2000 nie zu Ende gebaut: Der Euro… | |
Dunkelheit liegt hinter der unscheinbaren Tür im Obergeschoss des gut | |
besuchten Schwimmbads an der Landsberger Allee. Das schummrige | |
Taschenlampenlicht von Badleiter Martin Jähnes Smartphone wirft graue | |
Schatten auf den rohen Beton des weitläufigen Raums. Gut zwei | |
Volleyballfelder fänden ohne Weiteres Platz unter der kahlen Decke. | |
Zwischen dem meterdicken Stahlbeton der Schwimm- und Sprunghalle im | |
Europasportpark (SSE) schlafen Berlins geplatzte Träume. | |
Einzelne Kabelstränge hängen von der 5 Meter hohen Decke wie Lianen in | |
einem Indiana-Jones-Film. „In diesem Bereich war eine Saunalandschaft | |
geplant“, erzählt Jähne mit dem leuchtenden Smartphone in der Hand. Er | |
weist in Richtung einer Reihe schwarzer Durchgänge. „Dort war sogar eine | |
Schneekammer zum Abkühlen vorgesehen – mit richtigen Schneekanonen.“ | |
Nur wenige Meter trennen das belebte öffentliche Schwimmbad und die | |
Wettkampfhalle im unterirdischen Europasportpark von den bunkerartigen | |
Gewölben. An der Grenze zu Friedrichshain und Lichtenberg gelegen befindet | |
sich die riesige Schwimmanlage gerade noch in Stadtteil Prenzlauer Berg. | |
Inmitten von Bezirken mit akutem Platz- und Wohnungsmangel liegen also | |
circa 6.000 Quadratmeter brach. Seit über zwanzig Jahren. | |
„Das Schwimmbad und das Velodrom wurden 1992 für Berlins Bewerbung auf | |
Olympia 2000 geplant“, so die Senatsverwaltung für Inneres und Sport von | |
Senator Andreas Geisel (SPD) auf Anfrage der taz. Als die Wahl 1993 | |
überraschend auf Sydney fiel, hielt der damalige Senat dennoch am Bau des | |
Europasportparks fest. Daraufhin wurde die auf dem Gelände befindliche | |
Seelenbinder-Halle abgerissen und die neue Sportstätte erbaut. Die Kosten: | |
satte 246 Millionen D-Mark. | |
Gegenüber den ursprünglichen Planungen wurden allerdings einige Teile des | |
Gesamtkomplexes aus Kostengründen nicht fertiggestellt. So kostete der Bau | |
am Ende 12 Millionen weniger als geplant. „Es wurde damals nur das | |
ausgebaut, was für den Betrieb der Schwimmhalle notwendig war“, erinnert | |
sich der heutige Badleiter. Nach Fertigstellung übernahmen die Berliner | |
Bäder im Auftrag des Senats den Betrieb des Sportparks. | |
## Das Geld zum Ausbau fehlte | |
Seitdem stehen die nicht entwickelten Flächen, allesamt Landeseigentum, | |
leer. Es fehlte schlicht an Geld zum Ausbau, so der Senat. Geschichte wurde | |
Legende, Legende wurde Mythos – bis der Sportausschuss 2018 bei einer | |
Besichtigung des Europasportparks zum wiederholten Mal auf den enormen | |
Leerstand hingewiesen wurde. So erklärt zumindest Philipp Bertram, | |
sportpolitischer Sprecher der Linksfraktion, das späte Erwachen der | |
Politik. „In dieser Gegend ist es schlicht nicht hinnehmbar, Tausende | |
Quadratmeter liegen zu lassen“, so Bertram. | |
Auch der Bezirk Pankow war Ende 2018 hinsichtlich der Freiflächen an den | |
Senat herangetreten. In diesem Sinne stellten die Regierungsfraktionen von | |
SPD, Linken und Grünen im April 2019 einen Antrag im Abgeordnetenhaus, um | |
Machbarkeitsstudien zu möglichen Nutzungsvarianten für die Räume zu | |
erstellen. Voraussichtlich noch Ende des Monats soll der Antrag beschlossen | |
werden. Die nächste Plenarsitzung des Abgeordnetenhauses ist am 16. Januar. | |
Doch einstweilen herrscht Stille in den Gewölben. Die Idee, den | |
Sportkomplex unter eine Grünfläche zu verbannen, stammt vom französischen | |
Architekten Dominique Perrault und entspringt historischen Motiven: Hitler | |
hatte die Olympischen Spiele 1936 massiv für faschistische Propaganda | |
instrumentalisiert. Mit dem Versenken der Konstruktion wollte man bei der | |
Bewerbung um die Spiele im Jahr 2000 auf „vordergründige Selbstdarstellung“ | |
verzichten und eine „angemessene Zurückhaltung“ ausdrücken, heißt es im | |
Architekturführer zum Bau. Die „unsichtbaren Hallen“ des Europasportparks: | |
ein praktischer Gegenentwurf zum bombastischen Olympiastadion. | |
Durch einen nackten Treppenschacht steigt Badleiter Jähne weiter hinab, wie | |
Gandalf in die Minen von Moria. „Jetzt kommt mein persönliches Highlight“, | |
sagt er stolz. Die Treppe mündet in einen Raum mit schräger Decke. Wie ein | |
halbes Kirchenschiff türmt sich der Beton über einem steinernen Becken auf. | |
„Hier sollten zwei Gegenstromkanäle eingebaut werden“, sagt Jähne. | |
Hochinteressant für die Videoanalyse im Profi-Schwimmsport. Das sei jedoch | |
vom Tisch, seit in den Nullerjahren eine solche Anlage im Sportforum | |
Hohenschönhausen gebaut wurde. | |
Der Leiter der Sportparks schlägt deswegen die Einrichtung eines | |
25-Meter-Beckens für die Deckung des gestiegenen Wasserflächenbedarfs in | |
Berlin vor. „Hier hätten fünf Bahnen Platz. Das wäre um einiges billiger | |
und nachhaltiger als Traglufthallen oder Ähnliches“, sagt Jähne. | |
## Angebote für Vereine und Kitas | |
Was die künftige Nutzung angeht, wünscht sich Philipp Bertram von der | |
Linken einen Dreiklang aus Flächen für eine Kita und Sportvereine sowie den | |
sogenannten „unorganisierten Sport“. Gemeint sind Angebote außerhalb von | |
Vereinen, etwa fest installierte öffentliche Fitnessgeräte. „Laut der | |
Sportstudie Berlin 2017 organisieren die Berliner:innen drei Viertel ihrer | |
sportlichen Aktivitäten ohne Vereine oder Unternehmen“, so Bertram. Im | |
neuen Landeshaushalt sind erstmals 50.000 Euro für Konzepte zu | |
entsprechenden Angeboten vorgesehen. | |
Auch der baupolitische Sprecher der Grünen, Andreas Otto, wünscht sich eine | |
Mischnutzung. „Wir sollten Sport und Kindergarten übergreifend denken“, so | |
Otto. Außerdem seien in den letzten Jahren rund um den Sportkomplex mehrere | |
neue Schulen eingerichtet worden, mit denen man nun zusammenarbeiten könne. | |
Das Bezirksamt Pankow beteuerte auf Nachfrage der taz zunächst die | |
Zuständigkeit des Senats. Man befürworte allerdings die Prüfung möglicher | |
Nutzungen durch „umliegende Schulen und Sportvereine sowie für bezirkliche | |
Infrastruktur“. | |
Badleiter Jähne erzählt, er habe schon früh eine Sport-Kita vorgeschlagen: | |
„Es gibt ja schließlich auch Musik-Kitas.“ Für eine nötige Auslauffläche | |
könne man beispielsweise über einen Durchstoß zum Park nachdenken, der auf | |
dem Dach des Europasportparks liegt. | |
Der Verband der kleinen und mittelgroßen Kitaträger (VKMK) zeigt sich | |
skeptisch: „Kitas müssen naturbeleuchtet sein“, so Geschäftsführer Bék�… | |
Bedarf bestehe allerdings im betroffenen Gebiet durchaus. „Wenn man vor Ort | |
geeignete Räumlichkeiten findet befürworten wir das Konzept einer | |
Sport-Kita sehr.“ Allerdings sei das Genehmigungsverfahren ohnehin | |
langwierig. „Eventuell wäre eine Holzkonstruktion oben auf dem Dach des | |
Sportparks sinnvoller“, so Békési. | |
## Ein Fitnessstudio untertage | |
Der Ortskundige Jähne schreitet untertage durch eine weitere Halle – in der | |
ursprünglichen Planung ein Fitnessstudio. „Wenn man hier ausbaut, dann | |
sollte man es nachhaltig tun.“ Allerdings mahnt er an: „Eine Aufwertung des | |
Standortes würde auch zu mehr Verschleiß führen.“ Entsprechend wäre für … | |
Betrieb des Schwimmbades mehr Geld nötig. | |
Die Finanzierung etwaiger zukünftiger Nutzungen ist derweil ohnehin noch | |
ungeklärt. Bereits bei vergangenen Gesprächen der Berliner Bäder mit | |
möglichen Nutzern war fehlendes Geld das Todesurteil für Verhandlungen | |
gewesen. Außerdem habe Interessenten gestört, dass die Schwimm- und | |
Sprunghalle im Europasportpark als Wettkampfstätte mehrere Wochen im Jahr | |
nicht öffentlich zugänglich ist. | |
Zwar gab nach Aussagen des Senats die Baufirma die Kosten für einen Ausbau | |
im Jahr 2000 mit 3,5 Millionen D-Mark an – umgerechnet und | |
inflationsbereinigt rund 2,4 Millionen Euro. Allerdings dürfte diese Summe | |
für einen heutigen Ausbau kaum ausreichen, so Christian Müller, | |
Vorstandsmitglied der Berliner Baukammer: „Bei 6.000 Quadratmetern wären | |
nach heute gängigen Rechnungen eher zwischen 3 und 6 Millionen Euro | |
realistisch.“ | |
So oder so, eine Nutzung der Flächen fände Badleiter Jähne gut, sagt er, | |
als er die Tür zur Unterwelt wieder schließt. „Was nicht schön ist, das ist | |
tote Fläche“, so der Badleiter. „Denn tote Fläche ist totes Kapital.“ | |
6 Jan 2020 | |
## AUTOREN | |
Björn Brinkmann | |
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