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# taz.de -- Repressionen gegen Grup Yorum: Ein Konzert als Terrorpropaganda
> Inhaftierte Mitglieder der türkischen politischen Musikgruppe Grup Yorum
> sind seit Mai im Hungerstreik. Nun wurde ein Solikonzert in Köln
> verboten.
Bild: Zu Grup-Yorum-Konzerten wie diesem im Jahr 2012 kamen zehntausende Fans
Am 24. November sollte in Köln ein Solidaritätskonzert für die in der
Türkei inhaftierten Mitglieder der Band Grup Yorum stattfinden. Im Ezgi
Center in Köln-Braunsfeld war die Bühne bereits aufgebaut, die Redner*innen
und Musiker*innen waren bereit, als fünf Minuten vor Beginn des Konzerts
die Polizei eintraf, mit einer Verbotsverfügung in den Händen. Aus dieser
ging hervor, dass das Konzert aufgrund von „illegaler Propaganda für eine
terroristische Vereinigung“ verboten worden war und von der
Staatsanwaltschaft Untersuchungen eingeleitet worden waren.
Die Kölner Polizei teilte später mit, dass sie Propagandamaterialien einer
in Deutschland verbotenen, linksextremen türkischen Vereinigung
beschlagnahmt, deren Konzert verboten, den Saal geräumt und die
Zuschauer*innen weggeschickt habe. Bei den Propagandamaterialien handelte
es sich unter anderem um politische Karikaturen von İsmail Doğan, die im
Konzertsaal ausgestellt waren. Trotz des Verbots fand das Konzert statt,
wenn auch nicht im Saal, sondern auf der Straße. In einer offiziellen
Stellungnahme von Grup Yorum heißt es: „Der deutsche Imperialismus hat
seine Zusammenarbeit mit dem türkischen Faschismus deutlich gemacht!“
Als die Polizei kam, befand sich auch die Anwältin Berrak Çağlar vom
türkischen Juristenverein ÇHD im Saal, die sich wegen eines internationalen
Juristenkongresses in Deutschland aufhielt. Laut Çağlar gab es bei
Grup-Yorum-Konzerten in Deutschland bereits in der Vergangenheit Drohungen
und Schwierigkeiten, einen Konzertsaal zu finden. Doch ein Verbot sei zum
ersten Mal verhängt worden. „Zudem sollte Grup Yorum gar nicht auftreten,
sondern die anderen anwesenden 17 Bands aus der Türkei, Deutschland, Chile,
Frankreich und Griechenland“, sagt Çağlar.
Der Grund für das Verbot ist Çağlar zufolge ein einvernehmliches Abkommen
zwischen den türkischen und deutschen Geheim- und Sicherheitsdiensten: „Die
Türkei verstärkt den gesellschaftlichen Druck in Bezug auf Sicherheit und
Terror. Von der deutschen Regierung fordert sie eine stärkere Durchsetzung
von Sanktionen gegen Türkeistämmige, die sie als ‚Terroristen‘ bezeichnet
und als verdächtig ansieht.“
## Bekannt für ihre politischen Songtexte
Grup Yorum wird als Teil der in der Türkei als Terrororganisation
eingestuften DHKP-C (dt.: Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front)
gesehen und kriminalisiert. Die DHKP-C befindet sich auf der Liste der
verbotenen Vereinigungen des deutschen Verfassungsschutzes. Bereits im Mai
2017 hatte das deutsche Innenministerium in einer Mitteilung an die
Bundesländer Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen
gefordert, Konzerten von Grup Yorum keine Genehmigung zu erteilen.
Seit ihrer Gründung im Jahr 1985 ist Grup Yorum immer wieder Ziel von
staatlicher Kontrolle geworden. Die Band ist für ihre politischen Songtexte
bekannt: Grup Yorum singt über das Massaker von Sivas 1993, über die
verunglückten Bergbauarbeiter in den 2000er Jahren und über die
Gezi-Proteste von 2013. Insgesamt hat die Band 25 Alben herausgebracht und
über zwei Millionen Hörer*innen erreicht.
In den fast 35 Jahren ihres Bestehens wechselten die Bandmitglieder immer
wieder. So haben sich drei Generationen herausgebildet, die erste Mitte der
1980er Jahre, die zweite in den 1990ern und schließlich die dritte, die in
ihren Liedern die politische Situation in den 2000ern und danach
thematisiert. Zum 25-jährigen Jubiläum gab Grup Yorum 2010 vor 50.000
Menschen ein Konzert im Istanbuler İnönü Stadion. Die Musiker*innen traten
in Deutschland, Frankreich und England auf. Und genau wie sie überall
Sympathisant*innen haben, verfolgen die Verbote sie auch überall hin.
Am 27. März 2015 wurde im türkischen Parlament ein neues Sicherheitsgesetz
verabschiedet, das das Recht auf Versammlungsfreiheit weiter einschränkte.
Das neue Gesetz traf Grup Yorum als Erstes. Das Konzert, das sie am 12.
April 2015 veranstalten wollten, wurde verboten. Seitdem wurde nie wieder
einer größeren Veranstaltung von Grup Yorum eine Erlaubnis erteilt. Die
Band versuchte daraufhin, ihre Musik auf die Straße zu tragen. Doch auch
dort ging die Polizei massiv gegen die Musiker*innen und deren hartnäckigen
Zuhörer*innen vor. Zuerst spielten sie auf Lkw-Anhängern, als die Polizei
sie von dort verjagt hatte, zogen sie auf die Hausdächer oder versuchten,
per Livestream im Internet Konzerte zu geben.
## Sie gilt als eine der meistgesuchten Terroristinnen
Mit der Ausrufung des Ausnahmezustands nach dem Putschversuch vom 15. Juli
2016 stiegen die politischen Repressionen weiter. Das Kulturzentrum “İdil
Kültür Merkezi“, in dem die Band seit 2016 aktiv ist, wurde seitdem
unzählige Male durchsucht, Musikinstrumente wurden zerstört, Dutzende
Vereinsmitglieder festgenommen.
Aus Protest gegen die Repressionen traten fünf von sechs inhaftierten
Bandmitgliedern im Mai in einen Hungerstreik. Der Hungerstreik, der
inzwischen fast 200 Tage andauert, habe einen gesundheitlich kritischen
Punkt erreicht, sagt die Anwältin Çağlar. Auch die beiden
Grup-Yorum-Mitglieder Helin Bölek und Bahar Kurt, die vergangene Woche aus
der Haft entlassen wurden, führen ihren Hungerstreik fort. İbrahim Gökçek,
Barış Yüksel und Ali Aracı befinden sich hingegen weiterhin im
Hochsicherheitsgefängnis von Silivri im Hungerstreik. Sie fordern die
Einstellung der Strafverfahren, die Aufhebung des Auftrittsverbots, die
Freilassung der Bandmitglieder und ein Ende der Durchsuchungen im
İdil-Kulturzentrum.
Das Grup-Yorum-Mitglied Selma Altın, die in der Türkei als eine der
meistgesuchten Terroristinnen gilt und Asyl in Frankreich beantragt hat,
fordert außerdem „die Streichung der Namen der Musiker*innen von der
Terrorliste“. Das türkische Innenministerium hat 300.000 türkische Lira
Belohnung für die Ergreifung Altıns und ihres Manns İnan ausgesetzt. Doch
Kunst könne man nicht verbieten, sagt Selma Altın. Ganz im Gegenteil sogar:
„Wenn die Repressionen steigen, wächst Grup Yorum. Und wenn Grup Yorum
wächst, steigen auch die Repressionen.“
In Frankreich wurde am 9. November eine Unterschriftenkampagne zur
Unterstützung von Grup Yorum gestartet. Eine Gruppe französischer
Musiker*innen hat ihre Soldarität mit den inhaftierten Bandmitgliedern zum
Ausdruck gebracht, indem sie die Lieder von Grup Yorum auf die Bühne
brachten. Selma Altın erzählt, dass die Repressionen, denen Intellektuelle,
Schriftsteller*innen und Künstler*innen in der Türkei ausgeliefert sind,
ihre französischen Kolleg*innen überraschen. „Erst wenn wir ihnen konkrete
Beispiele zeigen, verstehen sie, was los ist. Zum Beispiel müssen wir ihnen
die Terrorlisten zeigen, auf denen unsere Namen stehen. Aber wenn sie die
Ernsthaftigkeit erkannt haben, engagieren sie sich mit ganzem Herzen.“
Aus dem Türkischen von Julia Lauenstein
28 Nov 2019
## AUTOREN
Erk Acarer
## TAGS
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Kommunisten
Kunst Türkei
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