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# taz.de -- Regierungsproteste zum '89-Jahrestag: Tschechien in Revolutionslaune
> Während sich Tschechien auf den Jahrestag der Samtrevolution vorbereitet,
> mischt ein 26-Jähriger das Land auf. Er fordert die Regierung heraus.
Bild: Mikuláš Minař bei Protesten in Prag
Prag taz | Emsiges Treiben herrscht dieser Tage auf dem tschechischen
Regierungsamt am Edvard-Beneš-Kai in Prag: Seit Tagen kleben Mitarbeiter
kleine tschechische Papierfähnchen, die oben links mit einer schwarzen '89
bedruckt sind, auf kleine Holzstäbchen. Die putzigen Winkelelemente werden
gebraucht, um die Häppchen zu schmücken, die an den Feierlichkeiten zum 17.
November gereicht werden.
Welche Laune dann am Sonntag im frisch renovierten Prager Nationalmuseum
unter der politischen und wirtschaftlichen Elite Tschechiens herrschen
wird, die – geladen von Ministerpräsident Andrej Babiš – den 30. Jahrestag
der Samtrevolution begehen soll, hängt allerdings weder von den Häppchen
noch von den Fähnchen ab. Sondern eher von einem 26-jährigen Aktivisten aus
dem südböhmischen Vodňany: Mikuláš Minař.
Mit dem Look von Prinz Harry ist Minař Posterboy der tschechischen
Zivilgesellschaft und Gallionsfigur der Bewegung „Eine Million Weilchen für
die Demokratie“. Die Initiative, die vor allem über Facebook mit ihren
knapp 358.000 Anhängern agiert, lädt am Vortag des 17. November zu einer
weiteren Anti-Regierungsdemonstration auf die Prager Letná-Ebene.
Es glaubt zwar niemand daran, dass sich an diesem Samstag bei Temperaturen
von fünf bis elf Grad das Wunder vom 23. Juni wiederholen wird, [1][als
250.000 Demonstranten auf der Letná ein fröhliches Happening als Protest
gegen die Regierung und vor allem gegen Andrej Babiš feierten].
Selbst Minař zweifelt. „Da ist die Messlatte so hoch, dass ich gar nicht
weiß, ob man sie übertreffen kann“, räumt er in einem Gespräch mit dem
Webportal Forum 24 ein. Allerdings, so Minář, müsse man ja nicht mit jeder
Demo gleich Rekorde brechen: „Uns geht es darum, gewisse Probleme
kategorisch zu benennen und aufzupassen, dass Regeln eingehalten werden“.
## Ultimatum für den Regierungschef
Ministerpräsident Babiš, so Minář, halte sich nicht an die Regeln. Deshalb
hat Minař schon 2017, gleich nachdem Babiš' ANO-Bewegung in der
Parlamentswahl knapp 30 Prozent der Stimmen und 78 von 200 Sitzen bekam,
sein Studium der Philosophie und evangelischen Theologie auf Eis gelegt.
Babiš habe im Wahlkampf versprochen, die Demokratie zu fördern und zu
schützen, erklärt Minář sein Engagement. Das sei eine „Frechheit“. Der
Regierungschef, kritisiert Minář, konzentriere zu viel Macht in seinen
Händen, wirtschaftlich wie politisch. Und das inklusive aller
Nebenwirkungen wie Beeinflussung von Justiz und Sicherheitsapparat.
Anlässlich des 17. November, in Tschechien als „Tag des Kampfes für
Freiheit und Demokratie“ ein Staatsfeiertag, haben Minář und die „Million
Weilchen“ Babiš nun ein Ultimatum gestellt: Sie fordern, dass der
Regierungschef seinen Interessenkonflikt auflöst und seine
Agrofert-Holding, die momentan unter Treuhandverwaltung steht, aufgibt.
Außerdem soll er Justizministerin Marie Benešová abberufen.
Sollte er den Forderungen nicht nachkommen, würden die Demonstrationen
weitergehen, erklärte Minář vor der für Samstag geplanten Demonstration in
einer Pressemitteilung. „Der Präsident respektiert die Verfassung nicht.
Der Premier befindet sich in einem riesigen Interessenkonflikt. Die Justiz
und die öffentlich-rechtlichen Medien sind in Gefahr“, mahnt Minář.
## Oppositionsblock gegen Babiš
Andrej Babiš hat das Ultimatum abgelehnt. Er sei in freien und
demokratischen Wahlen gewählt worden, hält er Minář und den „Millionen
Weilchen“ immer wieder entgegen. Wenn sie ihn loswerden wollen, meint er,
sollen sie in die Politik, argumentiert er.
Den Sprung ins politische Haifischbecken an der Moldau lehnt Minář aber ab.
Allerdings, das hat der Aktivist inzwischen verstanden, geht es so ganz
allein von unten auch nicht. Am Donnerstag traf er sich mit den
versammelten Chefs der Oppositionsparteien. Die könnten sich doch in einer
Art Block gegen Babiš vereinigen, hofft Minář.
Ob Oppositionsvertreter am Sonntag bei fähnchengeschmückten Häppchen im
Nationalmuseum mit Gastgeber Babiš über die Samtrevolution reminiszieren
werden, bleibt offen. Der Regierungschef weilte seinerzeit als Teil der
jungen Nomenklatura in Marokko.
Aber vielleicht ergibt sich ja die ein oder andere Gelegenheit, über einen
kleinen Druckfehler in der Babiš-nahen Presse zu plaudern: die kostenlose
Zeitung Metro kündigte die Demonstration der „Million Weilchen“ in ihrer
Freitagsausgabe zwar an. Aber zwei Stunden später als tatsächlich geplant.
15 Nov 2019
## LINKS
[1] /Massenproteste-in-Tschechien/!5605034
## AUTOREN
Alexandra Mostyn
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Tschechien
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Schwerpunkt Korruption
Prag
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