| # taz.de -- Sanktionen gegen die Türkei: Was können Sanktionen bewirken? | |
| > Der Autobauer VW vertagt seine Entscheidung über das Werk in der Türkei. | |
| > Beeindruckt wird sich Erdoğan davon nicht zeigen. Im Gegenteil. Ein | |
| > Kommentar. | |
| Bild: Nach Angaben der Vereinten Nationen sind bisher 160.000 Menschen auf der … | |
| Am Montag verurteilten die EU-Außenminister die Offensive der Türkei in | |
| Nordsyrien in scharfen Worten. Dieser Schritt wirkt hilflos, weil sich die | |
| EU nicht auf ein Waffenembargo oder Sanktionen einigen konnte. Was richten | |
| Worte und scharfe Verurteilungen angesichts eines Angriffskriegs aus, der | |
| nach Angaben der Vereinten Nationen bisher 160.000 Menschen zur Flucht | |
| zwang? Wo Worte ins Leere gehen, so könnte man meinen, helfen nur noch | |
| wirtschaftliche Sanktionen. Am Montag verhängten die USA Sanktionen gegen | |
| die Türkei. Auch der Autobauer VW hat nun die Entscheidung über sein | |
| geplantes Werk in der Türkei vertagt. | |
| Doch sind Sanktionen deutscher Unternehmen tatsächlich ein wirksamer | |
| Schritt? Würde die Türkei ihre Truppen aus Syrien abziehen, wenn der | |
| wirtschaftliche Druck nur groß genug ist? | |
| So einfach ist es leider nicht. Denn abgesehen davon, dass die Entscheidung | |
| von VW symbolpolitisch ist, folgt sie keinen ethischen Überlegungen, | |
| sondern reiner Wirtschaftslogik: Die derzeitige Situation in der Türkei sei | |
| für die Investition unberechenbar, begründete der Konzern seine | |
| Entscheidung. Wie wenig wirksam Sanktionen gegen die Türkei zudem sind, | |
| zeigt ein Blick in die Vergangenheit. | |
| In den Jahren 2016 und 2017 durchlebten die Türkei und Deutschland eine | |
| sehr viel persönlichere Krise als heute. Damals wurden in der Türkei | |
| deutsche Staatsangehörige verhaftet. Die Türkei wiederum erboste, dass | |
| Gülen-Anhänger*innen, die nach dem Putschversuch nach Deutschland geflohen | |
| waren, Asyl bekamen. Auch in dieser aufgeheizten Phase der Auftrittsverbote | |
| für türkische Politiker*innen in Deutschland und des Abzugs deutscher | |
| Soldaten aus İncirlik wurde über Sanktionen gegen die Türkei debattiert. | |
| Als der damalige EU-Präsident Martin Schulz im November 2016 Sanktionen | |
| forderte, reagierte Erdoğan wütend. | |
| Schließlich begrenzte die Bundesregierung die Hermes-Bürgschaften und | |
| Investitionsgarantien für deutsche Unternehmen in der Türkei und sprach | |
| eine Reisewarnung für die Türkei aus. Doch mehr als über die Auswirkungen | |
| der Sanktionen wurde damals darüber gesprochen, dass Siemens am Tiefpunkt | |
| der bilateralen Krise im August 2017 den Milliarden-Zuschlag für einen | |
| Windpark in der Türkei bekam. | |
| ## Keine Angst vor Sanktionen | |
| Die großen Verträge, die trotz allem geschlossen wurden, gaben Erdoğan eine | |
| Sicherheit: Er kann tun, was er will – solange für die notwendigen | |
| Bedingungen gesorgt ist, wird weiterhin Kapital in die Türkei fließen. Die | |
| Politiker*innen können so viel drohen, wie sie wollen. Sind die Bedingungen | |
| durch den dritten Einmarsch der Türkei in Syrien nicht gefährdet? Die | |
| Entscheidung des VW-Konzerns, sein neues Werk im Wert von 1,5 Milliarden | |
| Euro in der Türkei zu bauen, fiel Ende August zu einem Zeitpunkt, an dem | |
| Erdoğan schon seit Monaten angekündigt hatte, dass er in Syrien östlich des | |
| Euphrats einmarschieren werde. | |
| Vielleicht erklärt das auch Erdoğans gelassene Reaktion auf die Drohungen | |
| der USA vor zwei Tagen, Sanktionen zu verhängen. Die Erfahrung aus der | |
| Vergangenheit ermöglicht es ihm, die Sanktionsdrohungen nicht einmal | |
| ernstzunehmen. Denn er weiß, dass der Westen so heuchlerisch ist, wie er | |
| selbst. Es ist schwer vorstellbar, dass der Westen zum ersten Mal in der | |
| Geschichte konsequente Sanktionen verhängt. Genau deshalb konnte der | |
| türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu verkünden: “Wir hätten die | |
| Militäroffensive gar nicht erst begonnen, wenn wir Angst vor Sanktionen | |
| hätten.“ | |
| Wirtschaftliche Sanktionen deutscher Unternehmen in der Türkei werden | |
| demnach höchstwahrscheinlich kein Einlenken der Türkei bewirken, solange | |
| sie nicht konsequent umgesetzt werden. Vielmehr könnte ein solcher Schritt | |
| Erdoğan in die Hände spielen. Denn er könnte Sanktionen für seine | |
| Propaganda nutzen, die Türkei sei Opfer einer Operation, die der Westen | |
| gegen das Land richte. | |
| Bestimmte Reaktionen aus Europa verfestigen Erdoğans Image als | |
| Staatsführer, der heldenhaft allein gegen den Westen kämpft. Auf diese | |
| Weise könnten Sanktionen jeglicher Art in der Türkei das Fundament für eine | |
| Solidaritätskampagne gegen die dunklen Mächte des Westens legen. Mit der | |
| Militäroffensive hat der zuvor innenpolitisch geschwächte Erdoğan bereits | |
| die Reihen hinter sich geschlossen. Dieses Narrativ könnte ihm weitere | |
| Legitimierung in der türkischen Gesellschaft verschaffen. | |
| 15 Oct 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Ali Çelikkan | |
| Elisabeth Kimmerle | |
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| Schwerpunkt Syrische Demokratische Kräfte (SDF) | |
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