# taz.de -- Olympische Spiele im Lauf der Zeit: Fechter waren nie Amateure | |
> Athleten fordern ihren Anteil an den Einnahmen des IOC. Doch das wimmelt | |
> ab: Die frechen Sportler sollten doch ans „große Ganze“ denken. | |
Bild: Augenhöhe in jeder Hinsicht verpasst: IOC-Chef Thomas Bach und Turnsuper… | |
Was ist ein Sportler wert? Beziehungsweise: Was ist der Auftritt eines | |
Sportlers bei Olympischen Spielen wert? Die Frage ist nicht leicht zu | |
beantworten, und ein Blick in die Geschichte des Sports macht es auch nicht | |
leichter, weil das Internationale Olympische Komitee bereits zu Beginn | |
seiner neuzeitlichen Aktivitäten mit Inkonsequenz glänzte. Auf dem | |
Gründungskongress des IOC im Jahre 1894 beschlossen die Herren folgenden | |
Passus: „Außer im Fechten sollen nur Amateure zugelassen sein.“ | |
Außer im Fechten? In der Pubertät der olympischen Bewegung und vor allem | |
während ihrer frühen zirzensischen Großveranstaltungen ging es bisweilen | |
kunterbunt durcheinander. Es gab sowohl Wettkämpfe der Amateure als auch | |
der Profisportler, etwa bei den leicht ausufernden Olympischen Spielen | |
1900 in Paris. Der Fechter Antonio Conte, ein Meister am Säbel, strich da | |
für seinen Sieg 1.600 Franc ein, während der 100-Meter-Läufer Edgar | |
Chichester, ein Brite, für seinen Sieg im Sprint – er lief die Strecke in | |
12,0 Sekunden – vergleichsweise läppische 250 Franc einheimste. | |
Später rüttelte sich das alles ein wenig zurecht, das Profitum galt in den | |
hehren Hallen des olympischen Sports als nicht mehr satisfaktionsfähig, was | |
von nahezu allen Gruppierungen in Deutschland mit Applaus bedacht wurde. | |
Die völkische Bewegung fand das gut, die Arbeitersportbewegung lehnte | |
ebenfalls Geld und Kommerz ab, und auch die bürgerlichen Sportler, die | |
ohnehin einen eher kosmopolitischen Ansatz pflegten, waren Anhänger des | |
Amateurgedankens. | |
Warum dieser Exkurs? Weil derzeit eine recht paradoxe Debatte geführt wird. | |
Einerseits ist der moderne Sport, und ja, sogar der olympische, immer | |
komplexer und kommerzieller geworden, auf der anderen Seite hingegen sollen | |
sich die Protagonisten just zu einem Zeitpunkt, da ihnen die halbe Welt auf | |
die Spikes schaut, also während der Olympischen Spiele, in Bescheidenheit | |
und finanzieller Enthaltsamkeit üben. | |
## Warum das IOC alles einstreicht | |
Das IOC sagt im Grunde nichts anderes als dies: Sportsfreunde, wir haben | |
die Oberaufsicht über eines der größten und auch wirtschaftlich | |
erfolgreichsten Festivals, die Sommer- und Winterspiele, aber ihr, die | |
Athleten, solltet euch gefälligst damit begnügen, dass ihr an diesem | |
Spektakel teilnehmen dürft. Das heißt: Direkte Vergütungen vom IOC gibt es | |
nicht, indirekte schon, wenn der Judoka oder die Mittelstreckenläuferin | |
ihren jeweiligen Olympiasieg nachträglich über Antrittsgagen, Werbe- oder | |
Buchverträge versilbert. | |
Der Fecht-Olympiasieger Thomas Bach, der zu seiner Zeit auf der Planche | |
sicher kein „professeur“ im klassischen Sinne war, aber dessen Sport, wie | |
wir gesehen haben, in der olympischen Geschichte eine privilegierte | |
Stellung innehatte, nimmt regelmäßig Attacken aktivistischer Sportler auf | |
und pflegt sie mit einer Parade-Riposte zu beantworten. | |
Wenn also der deutsche Speerwurf-Olympiasieger Thomas Röhler oder der | |
Fechter Max Hartung fordern, das IOC müsse seine Einnahmen anteilig – im | |
Gespräch sind bis zu 25 Prozent – an die Sportler weiterreichen, dann lehnt | |
Bach das rundheraus ab, weil eine solche Regelung das olympische Prinzip | |
der Solidarität unterlaufe. | |
Das Komitee gibt tatsächlich 90 Prozent seines Gewinns, wie das IOC sagt, | |
„an den Sport in aller Welt“ zurück. Davon profitieren etwa die kommenden | |
Ausrichter Olympischer Spiele und die derzeit 206 Nationalen Olympischen | |
Komitees. Was dort dann mit dem Geld passiert, obliegt nicht der Aufsicht | |
der Herren im schweizerischen Lausanne. Es ist im Grunde unklar, ob das NOK | |
in Burundi, Uruguay oder Nepal seine Sportler fördert oder doch eher die | |
Begehrlichkeiten der Funktionäre. | |
## Das seien doch Klagen auf hohem Niveau | |
Er kenne genug Olympiasieger aus Deutschland, die leider nicht von ihrem | |
Sport leben können, klagt der Speerwerfer Röhler. Die derzeitige Situation | |
sei unfair: „Die Olympischen Spiele sind das größte Event, bei dem weltweit | |
Leute begeistert zusehen, und wir bekommen null Komma null Gage.“ Ähnlich | |
äußert sich Hartung, der wie sein Kompagnon auch Student ist. | |
Und was sagt Thomas Bach zum Ansinnen der Athletenvertreter? Er erklärt den | |
Zustand der finanziellen Entrechtung und Degradierung des Sportlers zum | |
willigen Dienstleistungsheloten als rechtens und moralisch erstrebenswert. | |
Es könnte aber durchaus sein, dass sich die zum Teil knapsenden deutschen | |
Olympiaanwärter so ein bisschen verhöhnt vorkommen, wenn Bach ihnen rät, | |
sie mögen doch bitte das „große Ganze“ in Betracht ziehen. Und klagten sie | |
nicht auch eh auf „hohem Niveau“? | |
Bestenfalls taugen solche Worte als Zusatzmotivation auf dem Weg nach | |
Tokio. Den Wert eines Sportlers taxieren sie freilich auch: Er ist nur dann | |
hoch, wenn der Athlet sich klaglos fügt. | |
29 Oct 2019 | |
## AUTOREN | |
Markus Völker | |
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