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# taz.de -- Russischer Youtuber: Kritischer Geschichtsunterricht
> Ganz ohne Kreml-Propaganda: Millionenreichweiten erzielt Jurij Dud mit
> Reportagen über Stalins Gulag, aber auch über jüngere russische
> Geschichte.
Bild: Dud bei der Preisverleihung des Magazins „GQ“ im September
Jurij Dud ist erfolgreichster YouTuber des Landes: 33 Jahre, Russe, 1986 in
Potsdam geboren. Seit 2017 stieg er zum Vorkämpfer des digitalen
Journalismus und Betreiber eines [1][eigenen YouTube-Kanals auf: „vdud“] –
der Name schillert. Auch „durchficken“ kann im Russischen eine Konnotation
sein.
Das Lifestyle-Magazin GQ zeichnete den Hipster im September zum dritten Mal
aus. „Mann des Jahres“ war er schon zweimal gewesen. Jetzt wurde er zum
Gesicht des Jahres, jedoch nicht mehr von Leinwand und TV. Er erscheint nur
noch auf dem Bildschirm von Computer und Smartphone. YouTube ist längst
Russlands neuer Fernseher.
Dud eroberte seine Klientel mit Interviews in minimalistischem Ambiente.
Lange Befragungen, nicht ohne Schärfe und Hartnäckigkeit, aber auch nicht
von systemsprengender Kraft. Dafür lebendiger und unkonventioneller als das
staatliche Schlaflabor-TV.
Zwei Dokus erschienen dieses Jahr. Mit [2][„Kolyma – die Heimat unserer
Angst“] folgte Dud der Spur der Gulags, der Lagerwelt unter Diktator
Stalin. 16 Millionen Menschen saßen ein, mindestens 2 Millionen kamen darin
um. Dud nähert sich dem umkämpften Thema über eine vereiste Strecke von
2.000 Kilometern zwischen Magadan und Jakutsk im Osten Russlands. Es geht
ihm um die Offenlegung russischer Urängste. Nur die Hälfte der 18- bis
24-Jährigen will etwas von Repressionen gehört haben. „Kolyma ist nicht
unsere Vergangenheit, es ist unsere Gegenwart“, sagt Dud.
## Keine Geschichte auf Hochglanz
Neue Einsichten oder Details fördert er nicht zutage. Wer sich mit der
Geschichte des sowjetischen Lagerwesens beschäftigt hat, für den gibt es
keine neuen Erkenntnisse. Ein Großteil der Jugend hört von den Straf- und
Arbeitslagern indes nicht nur zum ersten Mal. Sprache und filmische
Aufbereitung entsprechen den jugendlichen Seh- und
Kommunikationsgewohnheiten. Die Vergangenheit wird nicht mehr ängstlich
verdrängt oder wie unter staatlicher Führung auf Hochglanz poliert. Mehr
als 17 Millionen sahen die Doku. Dreimal so viele Zuschauer wie die 6
Millionen Abonnenten des Dud-Kanals.
Diese Annäherung an die Wahrheit verfolgt der YouTuber auch in der Doku
[3][„Beslan. Erinnere dich“]. 2004 besetzten tschetschenische Terroristen
eine Schule im nordkaukasischen Beslan. Mehr als 330 Geiseln, meist Kinder,
kamen beim Befreiungsversuch ums Leben. Nach 15 Jahren bleiben Antworten
immer noch unter Verschluss. Der russische Autoritarismus ist schwach,
Ehrlichkeit kann er sich nicht erlauben. Auch diesen Film sahen in wenigen
Tagen 17 Millionen.
Die ältere Generation erreicht der YouTuber nicht mehr. Russland zerfällt
in zwei fast identische Hälften: Die Älteren halten zum staatlichen TV, die
Jüngeren emigrieren ins Netz. Dud durchbricht jedoch die Kreise des
Beschweigens. „Lehn dich nicht aus dem Fenster“, „Halt lieber den Mund“,
sind Formeln, mit denen seine Generation aufgewachsen sei, sagt er und
fordert: „Wenn Knüppel auf Unschuldige niederprasseln, batzenweise
gefälschte Wahlzettel in Urnen verschwinden und Waggons mit Geldern
gestohlen werden, hört auf zu schweigen.“ Keine revolutionären Forderungen.
Sie klingen im desinfizierten Kreml-Umfeld jedoch ungeheuerlich.
14 Oct 2019
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/channel/UCMCgOm8GZkHp8zJ6l7_hIuA
[2] https://www.youtube.com/watch?v=oo1WouI38rQ
[3] https://www.youtube.com/watch?v=vF1UGmi5m8s
## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
## TAGS
Russland
Youtube
Schwerpunkt Pressefreiheit
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Anna Politkowskaja
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