# taz.de -- Wenn sich die Hormone aufbäumen: Die wilde Wut | |
> Sauer werden ist im Alter unvermeidlich. Da ändert auch die politische | |
> Gesinnung nichts daran. Das wird man doch wohl sagen dürfen! | |
Bild: Zornesreden gehören zum Altern dazu | |
Wenn ich nicht gerade flennen muss, werde ich oft unkontrolliert wütend. | |
Dann ist es, als ob sich die Hormone noch einmal aufbäumten, bevor sie in | |
schwach geschraubtem Strahl ersatzlos ausgeschieden werden. Die Kraft nimmt | |
ab, Wut und Weinerlichkeit nehmen zu. Am meisten aber erhöht sich die | |
Gewissheit um die eigene Meinungstiefe. | |
Die Leute um mich herum liegen alle falsch. Insbesondere die anderen | |
Andropauser. In dieser Lebensphase verranzen, verharzen und verhärten sie | |
in ihren Ansichten. Ständig sagen sie irgendwas, was man ja wohl noch sagen | |
dürfen wird und angeblich nicht kann. Überall wittern sie Bevormundung, | |
Umerziehung und Gesinnungsterror. Zum eigenen Trost und zum Schutz der | |
Menschheit loben sie seelenverwandte Korrektheitskritiker vom | |
Philosophie-Professor Robert Pfaller über die Philosophin Svenja Flaßpöhler | |
bis hin zur Heimatdichterin Thea Dorn. | |
(Kleine Rätselaufgabe. „Die Stellenmarkierer, die nur unterwegs sind, um | |
bestimmte Stellen zu kontaminieren“ – wer hat das gesagt: Höcke, Hitler | |
oder Martenstein?) | |
Doch obwohl sie sich damit im komfortablen Einklang mit dem Großteil des | |
bürgerlichen Feuilletons befinden, gebärden sie sich wie Partisanen im | |
Kampf mit einer gleichgeschalteten Übermacht der Wortklauber: „Irgendwann | |
muss es doch auch mal gut sein.“ Klassiker. | |
## Wagner für Alphabeten | |
Irgendwann muss es doch auch mal gut sein mit der falschen Rücksichtnahme | |
auf Minderheiten und deren gleichberechtigter gesellschaftlichen Teilhabe. | |
„Irgendwann“ ist dabei immer jetzt, und auch der Grund ist stets derselbe: | |
„Es nervt mich, es ist neu und es ist kompliziert.“ | |
Das macht wiederum mich wütend, weil eben auch ich meine Hormone nicht im | |
Griff habe, sondern sie mich. Natürlich macht es einen Unterschied, ob sich | |
hier altersrechte Edelfedern den neuen Porsche erpöbeln oder selbst | |
Marginalisierte ihre enttäuschten Träume beweinen respektive in | |
Zornesausbrüche kanalisieren. Und schon wieder rückt so ein Bengel an der | |
Supermarktkasse nicht auf. Wozu leben die eigentlich länger als wir? | |
Wenn ich ausnahmsweise dann doch aus meiner gerechten Anklage heraus und | |
einen Schritt beiseitetrete, um mich von außen zu betrachten, schält sich | |
aus der Selbstreflexion die ernüchternde Erkenntnis, dass ich im Grunde | |
keinen Deut besser bin. Ich bin bloß das linke Abziehbild ihres | |
intoleranten Starrsinns und ihrer ohnmächtigen wilden Wut: ein Matussek für | |
Bescheidene, Poschardt für Fußgänger, Wagner für Alphabeten, kurz, ein | |
altes Arschloch. | |
Als ich mich dafür vor meinem Urologen Zbigniew geißle, findet der weise | |
Worte zu meinen Gunsten: „Immer noch besser scheiße drauf auf der richtigen | |
Seite als scheiße drauf auf der falschen.“ Da ist was dran. | |
2 Oct 2019 | |
## AUTOREN | |
Uli Hannemann | |
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