Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Fridays for Future in der Türkei: Greta ist überall
> Die elfjährige Deniz Çevikus aus Istanbul streikt wöchentlich für
> Klimaschutz. Doch es ist nicht leicht, Aufmerksamkeit für ihr Anliegen zu
> schaffen.
Bild: Deniz Çevikus protestiert seit 23 Wochen für Klimaschutz
Ein paar Tage vor dem ersten globalen Klimastreik im März 2019 hört Deniz
Çevikus von Greta Thunberg im Radio. Dass es eine 16-jährige Schwedin zu
internationaler Bekanntheit schafft, weckt ihr Interesse. Sie beginnt, sich
über die Klimakrise und die Schulstreiks zu informieren. Dann, am 15. März,
kommen in über 100 Ländern Schülerinnen und Schüler zusammen. So auch im
Istanbuler Bebek-Park. Das ist der Startschuss für den Klimaaktivismus von
Deniz Çevikus.
Eine Woche später sitzt sie mit einem selbst gebastelten Schild auf dem
Schulhof. Ohne Schulschwänzen und unter Opferung ihrer Pausen gelingt es
ihr, auch andere Mitschüler einzubinden.
Beim zweiten globalen Klimastreik Ende Mai waren es dann schon deutlich
mehr Schüler in Istanbul und anderen türkischen Städten, die sich am
Protest beteiligten. Aber jeden Freitag streiken? Ein großes Medienecho für
das Klima erlangen wie in anderen Ländern? Dafür reiche es nicht, gesteht
Deniz ein: „Ein paar Schüler haben mich am Anfang unterstützt. Momentan ist
es ein bisschen schwierig, da jetzt im Sommer viele Leute im Urlaub sind.“
Wenn Mitte September die Schule anfängt, erhofft sich die Schülerin wieder
mehr Unterstützung.
Allerdings bleibt die Sommerzeit nicht ungenutzt. Während der Ferien hat
Deniz beschlossen, an verschiedenen Orten Istanbuls zu streiken. Oft
allein, manchmal mit einer Freundin und immer mit ihrer Mutter im
Hintergrund.
Die Fotos auf ihrem Instagram-Account – alleine mit einem Pappschild auf
Istanbuls Straßen – erinnern tatsächlich an ihr schwedisches Pendant. Doch
Gretas großen Einfluss auf die Gesellschaft hat Deniz in der Türkei bisher
noch nicht. Immerhin, jetzt werden auch Medien auf das Mädchen aufmerksam
und fragen nach, was sie mit ihrem Schulstreik fürs Klima überhaupt meine.
## Die Klimakrise erklären
Das Staunen über Deniz, das die Berichterstattung dominiert, mag daher
rühren, dass die Klimakrise in der Türkei noch nicht so im kollektiven
Bewusstsein angekommen ist. Trotzdem bekommt Deniz nach und nach mehr
Aufmerksamkeit. Die Wörter Erderwärmung und Klimakrise hätten viele zwar
schon einmal gehört, doch warum das Thema so dringend ist, sei vielen nicht
bewusst. „Es gibt auch Leute, die einfach davon ausgehen, dass es nur ein
bisschen wärmer wird und sonst keine negativen Folgen zu erwarten sind.“
Das erste Protestschild von Deniz Çevikus hatte noch die Aufschrift
#SchulstreikfürsKlima. „Ich habe das ein paar Wochen lang benutzt, aber
gemerkt, dass die Leute es nicht verstehen, weil sie die Klimakrise gar
nicht kannten“, sagt sie.
Sie entschied sich dann für ein anderes Plakat. Nun sitzt Deniz an ihrem
mittlerweile 23. Freitag fürs Klima im Istanbuler Stadtteil Kadıköy, mit
einer Frage auf dem Schild: „Kennt ihr die Klimakrise? Wenn ihr wollt, kann
ich sie euch erklären.“ Seither sprechen sie mehr Menschen an als vorher.
Deniz hat noch ein zweites Schild dabei. In grellen Farben sind Sonne und
Erdkugel aufgemalt. Dazwischen steht „Die letzten 11 Jahre.“ Deniz
befürchtet: „Wenn wir die Klimakrise nicht in den nächsten elf Jahren
stoppen, werden wir gar nicht mehr in der Lage sein, sie aufzuhalten.“
Dabei beruft sich die Schülerin – wie auch die Fridays for
Future-Aktivisten in Deutschland – auf die Zahlen des Weltklimarats IPCC.
Wenn bis 2030 die richtigen Weichen gestellt würden, so die Forscher,
könnten die schlimmsten Folgen noch vermieden werden.
Doch welche Weichen sind das und was kann und sollte die Türkei
unternehmen?
## Die Türkei und die Klimakrise
„Zunächst einmal müsste die Türkei das Pariser Klimaabkommen ratifizieren�…
erklärt Deniz. Denn die Türkei hat das internationale Abkommen 2015 zwar
mit unterzeichnet, aber noch nicht im Parlament bestätigt. Präsident
Erdoğan stellt das Abkommen im Rahmen der G20-Gipfel immer wieder infrage.
Er will, dass die Türkei ab 2020 Zahlungen aus den internationalen Fonds
erhält, anstelle in diese einzuzahlen. Und das obwohl die Türkei heute
klimapolitisch als Industrienation gilt und auch zu den Top 20 der größten
CO²-Emittenten gehört.
Wenn es nach Deniz ginge, könnte im Land einiges mehr passieren. Da wäre
beispielsweise die Windenergie. „Wir sind ein Land mit den besten
Voraussetzungen für Windkraft“, sagt die Schülerin, „doch wir wenden diese
Technologie nicht korrekt an.“ Es gibt zwar Windkraftanlagen an einigen der
zahlreichen türkischen Küsten, doch diese sind sehr dicht an Besiedlungen
gebaut. „Das wiederum ruft Widerstand in der Bevölkerung hervor“, sagt
Deniz. Dabei hat die Türkei eine Küstenlinie von 7.200 km – fast drei Mal
so lang wie die deutsche Küstenlinie.
Laut dem türkischen Energieministerium liegt die vorhandene Leistungskraft
der Windenergie dennoch bei gerade einmal 7,3 Prozent (Stand 2016). Noch
düsterer sieht es für die Solarkraft aus. Hier liegt die Angabe bei
erstaunlich geringen 1,1 Prozent. Und das in einem Land, welches für seine
vielen Sonnenstunden unter europäischen Urlaubern bekannt ist.
„Es gibt auch Dinge in unserem täglichen Leben“, gesteht die Schülerin ei…
„die wir so leicht nicht ändern können. Damit meint sie das Thema
Mobilität. Dass die aktuelle türkische Regierung diesem Aspekt nicht die
nötige Beachtung schenkt, erkennt man einerseits an [1][Megaprojekten wie
dem neuen Istanbuler Flughafen], für den Millionen Bäume gefällt wurden.
Andererseits gibt es seitens der türkischen Politik bisher kein Interesse
an den jungen Klimaaktivisten von Fridays for Future. Vereinzelt versuchen
lokale FFF-Gruppen jedoch, Kontakte zu Stadtverwaltungen aufzubauen.
Mittlerweile engagieren sich auch in Ankara, Bodrum, Konya, Malatya und
Izmir Schülerinnen und Schüler.
## Alles nur eine Masche der Eltern?
Gerade die 16-jährige Greta Thunberg ist von bestimmten Medien und
politisch rechten Strömungen immer wieder dem Verdacht ausgesetzt, sie sei
nur eine Projektionsfläche ihrer Eltern. Oder noch schlimmer: ein
Instrument skrupelloser Geschäftemacher im Hintergrund. Dass solche
Vermutungen haltlos sind, wurde oft genug belegt. Dennoch, Deniz Çevikus
aus Istanbul ist noch einmal fünf Jahre jünger als Thunberg. Die Frage nach
dem elterlichen Einfluss sei in ihrem Fall deshalb erlaubt. Wenn ihre
Mutter von Deniz jeden Freitag ein paar Meter entfernt von ihr in einem
Café sitzt und auf ihre Tochter aufpasst, mischt sie sich aber nicht in die
Gespräche mit den Passanten ein.
Hin und wieder macht die Mutter ein Foto, postet es auf Instagram und auf
Twitter. Benutzt sie deshalb ihre Tochter für ihre eigene Agenda? Wohl
kaum. Man merkt der elfjährigen während ihres Protests und den Begegnungen
mit Passanten an, wie ernst ihr die Klimakrise ist. Und dass das ihr
Protest ist.
3 Sep 2019
## LINKS
[1] https://taz.atavist.com/istanbul-flughafen#chapter-4819707
## AUTOREN
Navid Linnemann
## TAGS
taz.gazete
Schwerpunkt Klimawandel
2050 – die, die überleben wollen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Anstehende Berichte des Weltklimarats: Warnsirene im Dauereinsatz
Der Weltklimarat IPCC schildert nüchtern die Dramatik der Erderhitzung. Das
nächste Horrorszenario kommt am 25. September zu Ozeanen und Eisflächen.
Klimaschutz per Smartphone: App in die Zukunft
Schon heute gibt es viele Smartphone-Anwendungen, die das Klima schützen.
Und ein Blick in die Glaskugel sagt: Da geht noch mehr.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.