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# taz.de -- Queer von Berlin nach Stettin: „Wir müssen mit Gewalt rechnen“
> Voices4Berlin ruft dazu auf, am Samstag zur Pride Parade ins polnische
> Stettin zu fahren. Die LGBTQI -Community brauche dringend Unterstützung.
Bild: Im Schutz der Polizei: Das erst Stettiner Pride Festival im September 2018
taz: Herr Junk, vor einem Jahr fand in Stettin die allererste Pride Parade
statt. Bei der diesjährigen Demo rufen Sie mit Ihrer Organisation
Voices4Berlin die Berliner*innen dazu auf, nach Stettin zu fahren, um mit
zu demonstrieren. Wieso ist die Berliner Unterstützung der LGBTQI Bewegung
in Polen so wichtig?
Kevin Junk: Berlin ist eine der queersten Städte auf der ganzen Welt. Ich
glaube, dass wir Aktivismus zu lokal denken. Durch das Internet gibt es
aber mittlerweile eine globale queere Community. So ein Konstrukt wie
Ländergrenzen sind gar nicht so wichtig für uns. Wir haben alle
Diskriminierungserfahrungen, und wir wollen einfach unterstützen.
Die Situation in Polen wird ja derzeit immer konservativer. Und wenn wir
einfach da sein können, indem wir als Menschen präsent sind, dann ist schon
sehr viel getan. Wichtig ist auch: Wir folgen dem Aufruf von lambda
szczecin.
Die Gruppe lambda szczecin, die auch die Demo in Stettin organisiert,
versucht Beratungs- und Austauschmöglichkeiten für queere Menschen zu
schaffen. Wie ist der Kontakt zustande gekommen?
Lambda szczecin hat ein Video veröffentlicht, in dem sie dazu aufgerufen
haben, die Demo zu unterstützen. Als wir das gesehen haben, war uns klar:
Wir möchten dahin und auch andere auffordern, mitzukommen.
Was erwartet die Berliner*innen bei der Szczecin Pride?
Auf dem Flyer steht ein Fest der Liebe. Familienpicknick, Konzerte,
Vorträge, Diskussionen, After Party. Das ist das offizielle Programm.
Kann man sich das dann vorstellen wie einen Christopher Street Day in
Berlin?
Den CSD in Berlin sehe ich sehr kritisch. Es ist eine
durchkommerzialisierte Veranstaltung, bei der sich muskulöse Menschen oben
ohne auf die Straße stellen und eine Idee von sexueller Vielfalt
präsentieren, die komplett entkernt ist von jeder politischen Haltung.
Wird das in Stettin anders?
Es ist schwer, den CSD mit dem zu vergleichen, was in Stettin passiert. Wir
als Gruppe sind politisch. Wir sind nicht da, um unsere Körper zur Schau zu
stellen, sondern wir sind da, um als politischer Körper da zu sein. Dort
ist die politische Lage auch eine ganz andere.
Bei einer Demo vor zwei Monaten in Białystok wurden zum Beispiel Böller,
Steine und mit Urin gefüllte Flaschen geworfen. Mit wie starkem Gegenwind
rechnen Sie diesmal?
Wir müssen mit Gewalt rechnen, das ist klar. Uns wurde auch ganz deutlich
gesagt, es gibt Polizeischutz. Es gab in Białystok auch Attacken von
Hooligans und etwa zwanzig Festnahmen. Das ist nicht ohne. Da mussten wir
als Gruppe auch erst mal schlucken.
Und wie bereitet ihr euch auf die Demo vor?
Wir bringen vor allem Infrastruktur mit: Wir haben in der Gruppe Leute, die
haben Powerbanks, Wasser und einen Erste-Hilfe-Kasten bei sich. Sie sollen
auch psychologische Ansprechpartner sein.
Trefft ihr denn auch Vorsichtsmaßnahmen?
Wir versuchen uns so gut wie möglich daran zu halten, was uns gesagt wurde.
Zum Beispiel besser keine Regenbogenflaggen offen vom Bahnhof zur Demo zu
tragen. Ansonsten versuchen wir uns auch einfach durch die Masse zu
schützen, die wir sind.
Mit wie vielen Teilnehmer*innen rechnet ihr denn?
Das ist schwer zu sagen. Wir sind auf jeden Fall nicht die einzige Gruppe.
Ich sehe jedenfalls auch viele Leute in meinem Umfeld, die sich selbst
organisieren. Die sagen einfach: Hey, lass uns ein Auto mieten oder eine
Zugverbindung raussuchen, und dann fahren wir los. Das sieht man ganz viel
auf Facebook.
Was für ein Verhältnis habt ihr als Berliner Organisation zu der Community
in Polen?
Wir sind im regen Kontakt. Soweit ich weiß, haben wir selbst keine
polnischsprachigen Menschen bei Voices4Berlin. Aber wir haben versucht,
alle heranzuziehen, die wir kennen – zum Beispiel polnischstämmige und
polnischsprachige Freunde.
Wer steckt denn hinter Voices4Berlin und wie werbt ihr für die Demo?
Wir sind ein sehr bunter Haufen. Ich als Texter, Konzepter und Journalist
kümmere mich um die Texte. Andere machen Design oder haben Kontakte. Wir
haben einfach radikal improvisiert, was unser Skillset angeht. Unser Ziel
war es, dieses Festival möglich zu machen und dafür zu mobilisieren.
War das denn schwer?
Für manche ist Stettin bereits ein Ausflugsziel. Viele mussten sich aber
erst informieren. Da gibt es auch ein innereuropäisches Aufwachen: Hey, das
sind ja unsere Nachbarn.
Wie seid ihr eigentlich entstanden?
Gegründet haben wir uns im Juni – auf Initiative einer Person, die in New
York gelebt hat. Wir sind so gesehen mit Voices4_, einer Gruppe in New
York, eng verbunden.
Aber in Berlin gibt es doch schon viele queere Gruppen…
Ja, aber queere Politik- und Interessensvertretungen sind oft einfach sehr
bürokratisch und dadurch wenig handlungsfähig. Es geht bei uns wirklich um
direct action. Es geht um Austausch, der nicht in einem ausuferndem Plenum
endet. Wir wollen etwas Agileres und Aktiveres machen.
Wer macht bei euch mit?
Wir sind jung, studentisch und sehr divers, was sexuelle Identitäten
angeht. Der Dialog zwischen den verschiedenen Erfahrungshorizonten belebt
die Gruppe: gender-non-binary, trans, queer, schwul: Bei uns sind alle
vertreten.
Was sind eure Ziele?
Wir wollen queere Solidarität auf der ganzen Welt und Sichtbarkeit
schaffen. Menschen eine Plattform geben und zeigen: Du bist nicht allein.
Das wollen wir auch in direkte Aktionen umsetzen und nicht nur im
abstrakten Feld der Diskussion bleiben.
Wie organisiert ihr euch?
Wir haben eine WhatsApp-Gruppe und treffen uns jede Woche am Donnerstag. Zu
diesen Treffen kann jeder kommen, der sich mit unseren Zielen
identifiziert. Alle Informationen findet man auch auf unserem
Instagram-Account Voices4Berlin.
12 Sep 2019
## AUTOREN
Lucas Liskowski
## TAGS
Polen
Homophobie
Pride Parade
Schwerpunkt LGBTQIA
Polen
Indien
Russland
Polen
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