| # taz.de -- Die Wahrheit: Investieren mit Swetlana | |
| > Die Frau an der Kasse kennt einen längst. Und offenbar weiß sie auch von | |
| > den geheimsten Wünschen ihrer Kundschaft am Warenlaufband. | |
| Schnell noch zu Rewe, das Nötigste besorgen. Viel los an diesem späten | |
| Freitagabend. Packe meinen Krempel auf das Band. Früher habe ich bei | |
| bestimmten Produkten eine ausgewachsene Kassenlaufbandscham empfunden. Bei | |
| Teewurst und Nutella beispielsweise, diesen psychopathischen Zwillingen. | |
| Ich wollte mir das aufs Brot schmieren. Aber ich wollte nicht, dass andere | |
| Leute sehen, dass ich mir das aufs Brot schmiere. Heute erwerbe ich | |
| Pampelmusen, mageren Joghurt, Knäckebrot, Kohlrabi und Sellerie. Ich | |
| empfinde Kassenlaufbandstolz. | |
| Es kassiert mal wieder diese ältere Dame mit dem russischen Akzent und den | |
| müden Augen, Swetlana. Gern stelle ich mir vor, dass sie früher in Minsk | |
| oder Jekaterinburg Quantenphysik oder Klavier unterrichtet hat. Nun | |
| verdient sie zwölf Euro in der Stunde, und das neunzehn Stunden am Tag. Ich | |
| mag sie gern. Und sie mich auch. Schon lange schaut Swetlana nicht mehr in | |
| diesen Spiegel an der Decke, in dem man von der Kasse aus den Leuten in die | |
| Taschen spähen kann. Da ist offenbar ein Grundvertrauen. Trotzdem fragt | |
| sie: „Payback-Karte?“ | |
| Sie hat mir diese Frage bestimmt schon tausendmal gestellt. Ich sollte mir | |
| ein T-Shirt drucken lassen: „Nein, keine Payback-Karte!“, und auf der | |
| Rückseite, in kleiner Schrift: „Ich weiß gar nicht, was das ist, und will | |
| es auch gar nicht wissen.“ Ich schiebe die EC-Karte in den Schlitz und | |
| sage: „Ich würde gern noch 150 abheben, geht das?“ Bei Rewe kann man Geld | |
| abheben. Ich frage trotzdem, aus Höflichkeit. Ich nehme mein Geld, wir | |
| plaudern kurz über Altersarmut. | |
| „Ach, und dann würde ich gern mein Aktiendepot umschichten“, sage ich. Sie | |
| tippt auf der Kasse herum: „Ich hätte hier einen Basket, der sich gut | |
| entwickelt, Neue Welt 1, aber da ist Northrop Grumman mit drin“, sagt sie | |
| und wirft mir einen zweifelnden Blick zu. Ich schüttele den Kopf: „Keine | |
| Rüstungsgeschäfte. Haben sie nicht etwas Nachhaltiges?“ | |
| Hat sie, aber diese Depots entwickeln sich nicht so gut: „Da würde ich | |
| abraten.“ Wir einigen uns darauf, 10.000 in den „Eco 2020 Good Conscience“ | |
| zu investieren. Die Schlange wird länger. Über Lautsprecher ruft Swetlana | |
| eine Kollegin („Kasse 2, bitte!“): „Kann ich sonst noch etwas für Sie tu… | |
| Tatsächlich interessiert mich diese Immobilie um die Ecke, ein nettes | |
| Reihenhaus. Swetlana ignoriert das Murren in der Schlange und rechnet vor. | |
| Wenn wir meinen aktuellen Einkauf mit einer Hypothek belasten und eben doch | |
| in „Neue Welt 1“ investieren, meine Ersparnisse einbringen und künftig nur | |
| noch bei Aldi einkaufen, dann könnte ich die Bude in einem | |
| Vierteljahrhundert zur Hälfte abbezahlt haben. Klingt gut. So machen wir | |
| das. | |
| Ich unterschreibe irgendwo und verlasse das Dienstleistungsparadies in | |
| vergnüglicher Laune. Swetlana leistet tolle Arbeit. Wäre ich Vorstand bei | |
| Rewe, ich würde ihre Boni erhöhen. | |
| 30 Aug 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Arno Frank | |
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