| # taz.de -- Expert*innen über interreligiösen Dialog: „Es soll nicht harmon… | |
| > Konflikte sind bei ihren Seminaren erwünscht. Die Organisator*innen des | |
| > Programms „Dialogperspektiven“ über Religion, Identität und Vielfalt. | |
| Bild: Einführung in die islamische Gebetspraxis beim Frühjahrsseminar der Dia… | |
| taz: Frau Korneli, Herr Frank, im September beginnt ein neues Programmjahr | |
| der „Dialogperspektiven“. Ist es in Zeiten der voranschreitenden | |
| Säkularisierung nicht etwas veraltet, den Dialog zwischen Religionen zu | |
| suchen? | |
| Johanna Korneli: Wir sprechen gezielt Stipendiat*innen mit | |
| unterschiedlicher religiöser, aber auch nichtreligiöser Verortung an. Uns | |
| geht es um den Dialog an der Schnittstelle zwischen Religion, | |
| Weltanschauung und Gesellschaft – wir wollen explizit nicht nur jüdische, | |
| muslimische und christliche Teilnehmende. | |
| Jo Frank: Natürlich ist der interreligiöse Dialog als rein theologische | |
| Veranstaltung veraltet. Genau deswegen geht es uns auch gar nicht darum. | |
| Das gesamte Spektrum ist im Wandel, und das wollen wir mit beschleunigen. | |
| Inwiefern? | |
| Frank: Wir wollen wissen: Wo kann Religion einen positiven Beitrag leisten | |
| – und wo muss sie verhandelt werden? Was stärkt unsere Teilnehmenden in | |
| ihrer Identität, und wie können sie das in ihre Umwelt einbringen? Die | |
| Leute sind ja ganz unterschiedlich geprägt, die eine als Marxistin, die | |
| andere als katholische Christin, die Dritte sagt, ich bin beides. | |
| Korneli: Und genau aus solchen Prägungen heraus diskutieren wir | |
| gesellschaftliche Themen. Wir haben zum Beispiel über | |
| Schwangerschaftsabbruch und über die Ehe für alle diskutiert. Positionen | |
| dazu sind dann mitunter religiös geprägt – aber eben auch durch ganz viel | |
| anderes. Unsere Teilnehmenden sind nicht da als Sprecher*innen für das | |
| Judentum – sondern als Person x, die unter anderem jüdisch ist. | |
| Warum ist ein solcher Dialog wichtig? | |
| Frank: Der Diskurs über Religion und Gesellschaft wird derzeit vor allem | |
| negativ geführt. Wir wollen nicht so sehr fragen: Was können wir als Juden | |
| oder Christinnen beitragen, sondern: Wo können wir füreinander einstehen? | |
| Die Dialoge, wie wir sie im Programm führen, setzen einen sehr | |
| vertrauensvollen Rahmen voraus. Im Gegenzug entstehen aber auch sehr enge | |
| Bindungen. Es bilden sich dadurch stabile Netzwerke, die dann an den | |
| Schnittstellen von Religionen, Weltanschauungen und der Gesellschaft wirken | |
| können und die in Bereichen aktiv werden, auf die wir niemals hoffen | |
| konnten. | |
| Zum Beispiel? | |
| Frank: Eine unserer Ehemaligen arbeitet heute in der Personalabteilung | |
| eines international agierenden Wirtschaftsunternehmens. Wenn sie dort auf | |
| die Unternehmenskultur einwirken und Diskurse anstoßen kann, oder wenn sie | |
| zum Beispiel Räume einfordert für freie Religionsausübung, dann ist das | |
| auch ein Ergebnis unseres Programms. Wir vertreten die Überzeugung, dass | |
| Pluralismus gut für diese Gesellschaft ist. Und wir wollen ein Gegenmittel | |
| finden gegen diese sogenannte Sorge gegenüber der Vielfalt. | |
| Wer bewirbt sich denn bei Ihnen, und wie wählen Sie aus? | |
| Korneli: Das Interesse ist groß. Wir haben etwa acht Bewerbungen auf einen | |
| Platz. Das mit der Werbung nehmen unsere Ehemaligen uns zum Glück beinahe | |
| komplett ab (lacht). Eine Bewerberin hat uns neulich geschrieben, sie | |
| möchte bitte auch aus ihrer katholischen Blase herauskommen. Wir versuchen, | |
| in unserer Auswahl Vielfalt so gut es geht abzubilden – seien es jüdische, | |
| muslimische, buddhistische, hinduistische, alevitische, jesidische, | |
| katholische, russisch- oder griechisch-orthodoxe oder freikirchliche | |
| Bewerber*innen. Wir achten außerdem auf eine Vielfalt an Studienfächern: | |
| Vom ersten Semester Chemie-Bachelor bis zum in Theologie Promovierenden | |
| haben wir alles dabei. | |
| Viele Dialogprogramme haben ein Problem: Sie erreichen vor allem die, die | |
| sowieso schon im Boot sind. Ist das bei den Dialogperspektiven auch so? | |
| Korneli: Na klar bewerben sich auch bei uns die, die zum Dialog bereit | |
| sind. Das heißt aber ja noch lange nicht, dass sie schon Expert*innen auf | |
| dem Gebiet sind. Wir haben zum Beispiel syrische Geflüchtete unter den | |
| Teilnehmenden, die sagen, sie hatten noch nie im Leben Berührungspunkte mit | |
| anderen Religionsgemeinschaften, und das wollen sie ändern. Einer hat am | |
| Ende des Programms gesagt: „Bis vor einem Jahr hatte ich Angst vor Juden.“ | |
| Frank: Unsere Zielgruppe ist ja ganz klar: Unsere Teilnehmenden sind allein | |
| schon durch die Begabtenförderung sehr privilegiert. Aus diesen Privilegien | |
| entsteht aber auch die Verantwortung, Gesellschaft zu gestalten. Wir sagen | |
| ihnen sehr direkt: Ihr könnt nicht nur in eure Netzwerke und Communities | |
| hineinwirken, ihr müsst sogar. Und wir bitten darum, dass sie diese | |
| Prozesse mit uns teilen. | |
| Korneli: Es ist trotzdem nicht immer harmonisch, aber das soll es ja auch | |
| gar nicht sein. | |
| Frank: Die Seminare sind nicht zur Versöhnung da, im Gegenteil. Wir setzen | |
| auf Auseinandersetzung, auch emotionale. Aus Konflikten können die meisten | |
| Erkenntnisse erwachsen. Kommt mit euren Vorurteilen! Wir werden die | |
| natürlich gemeinsam als solche identifizieren – aber eben auch gucken: Wo | |
| kommt das überhaupt her? Es bewerben sich übrigens auch Leute, die sagen: | |
| Ich finde Religion und Gesellschaft sollten viel stärker getrennt werden. | |
| Super, genau solche disruptiven Momente wollen wir auf den Seminaren. | |
| Jetzt soll das Programm internationaler werden. Warum dieser neue Weg? | |
| Korneli: Aus der Erfahrung der letzten Jahre würde ich gar nicht von einer | |
| Neuerung, sondern einer Erweiterung sprechen. Unsere Teilnehmenden sind | |
| Teil der deutschen Begabtenförderung, aber sie oder ihre Familien kommen | |
| aus unterschiedlichen Ländern und sind bewegt von unterschiedlichen Themen. | |
| Wir agieren also ohnehin nicht nur in einem deutschen Kontext. Dass wir | |
| jetzt 12 Teilnehmende aus Ungarn, Polen, Frankreich, Luxemburg, Schweden | |
| und Großbritannien dazunehmen, ist nur konsequent. | |
| Und warum diese Länder? | |
| Korneli: Jedes Land hat ja seine ganz eigenen Traditionen und Diskurse zum | |
| Verhältnis von Mehrheit zu Minderheiten. Auch die Größenordnungen sind | |
| teils ganz anders als in Deutschland. Ich muss da immer an Marseille | |
| denken: Eine Stadt mit 20 Prozent muslimischer Bevölkerung, aber auch mit | |
| der zweitgrößten jüdischen Gemeinschaft des Landes. Da werden Fragen des | |
| Verhältnisses untereinander, aber auch zur Mehrheitsgesellschaft ganz | |
| anders diskutiert. | |
| Frank: Auch in Fragen von Laizität und Staat zum Beispiel hat Frankreich ja | |
| einen fundamental anderen Ansatz als Polen. Und es sind Länder dabei, die | |
| vom Rechtsruck der letzten Jahre extrem betroffen sind. Was heißt | |
| eigentlich Weltanschauung in einem Land, das zunehmend den Ausschluss von | |
| Minderheiten vorantreibt und auf Homogenisierungsfantasien setzt? | |
| Welches Land meinen Sie? | |
| Frank: Suchen Sie sich eins aus. | |
| Und was wollen Sie mit der Ausweitung erreichen? | |
| Frank: Wir wollen für unsere Teilnehmenden das Spektrum erweitern. Und wir | |
| wollen die Bindungen, von denen wir eingangs sprachen, ausweiten. Wenn es | |
| also beispielsweise in Ungarn immer stärkere staatliche Repression gibt, | |
| dann muss man darauf international reagieren können. Diese Solidarität auch | |
| über Grenzen hinweg ist total wichtig. Die Markierung von Muslimen oder von | |
| Juden oder anderen religiösen oder ethnischen Minderheiten in Ländern wie | |
| Ungarn bedarf einer ganz konkreten Solidarität, und nicht nur einer | |
| gefühlten. | |
| Die Dialogperspektiven gibt es seit 2015. Wenn Sie mal in die Glaskugel | |
| schauen – was soll das Projekt bis 2025 im besten Fall bewirkt haben? | |
| Frank: Revolution (lacht). | |
| Korneli: 2025 werden wir etwa 500 Ehemalige haben, die unsere Form des | |
| Dialoges weitertragen. Sich so selbstsicher in der Pluralität zu bewegen, | |
| ist noch lange nicht Realität, das hören wir immer wieder von | |
| Teilnehmenden. | |
| Frank: Ich wünsche mir, dass unser zur Zeit global agierendes europäisches | |
| Netzwerk dann zu einem globalen Netzwerk geworden ist. Die Bedingungen | |
| werden nicht leichter für uns. Und wir geben ja nur Impulse und legen das | |
| Fundament. Aber der Schritt danach ist, dass sich das im Lebensweg der | |
| Teilnehmenden verankert, und dass sie die Gesellschaft verändern. Und da | |
| gibt mir die Gegenwart Grund zur Hoffnung. | |
| 10 Sep 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Dinah Riese | |
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