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# taz.de -- Die Wahrheit: Sittlich reife Schweine
> Neues aus der beliebten Rubrik „Sprachkritik“: Verkürzte Formulierungen
> lassen Sprachbilder mitunter gar arg ins Schiefe trudeln.
Bild: Exotischer Backenbohrer als Symbolbild für Sprach-Kiki
Dass sich die Sprache wandelt, ist eine 08/15-Weisheit, die umso weniger
schmeckt, je älter man wird. Der Tattergreis freut sich, wenn die jungen
Leut’ Wörter wie „sintemal“ (taz) in den Druck geben und er sich Hoffnung
auf Fortdauer dessen, das noch älter ist als man selbst, machen kann,
selbst wenn es „förderhin“ (Spiegel) knapp danebengehen sollte.
Apropos knapp! Entgegen dem Vorurteil, dass der Nachwuchs plappert und
quasselt, zeigt er auch den Willen, sich kurz zu fassen. Allerdings fasst
er sich dann zu kurz: „Der designierte Giuseppe Conte soll in seinem
Lebenslauf geschummelt haben“, schrieb die ewig junge taz über den
kommenden Ministerpräsidenten Italiens und meldete, dass
Arte-Programmdirektor „Biehle sogar noch etwas verlängert worden“ ist – …
nicht sein Vertrag.
Richtig ist das nicht, aber schön; und warum sollte man ausschreiben, was
man sich denken kann! Außerdem soll man die Leser nicht unterschätzen. Ein
fehlerhafter Text trainiert die Aufmerksamkeit und aktiviert den eigenen
Wortschatz, wenn man den passenden Ausdruck suchen muss anstelle eines
nicht ganz richtigen, der zwar aus dem Bedeutungsumfeld stammt, aber knapp
danebenliegt wie die „schmale Reichweite“ der E-Autos (NDR 4) und das „ho…
Wissen“ (3sat), wie die USA als „sinniger Markt“ und Bangladesch als „e…
der am meisten bevölkerten Länder der Erde“ (taz).
Es weckt das Bewusstsein für die Sprache und das von ihr abgebildete
Verhältnis des Menschen zur Welt, wenn in den Ställen „die Schweine längst
gereift“ (DLF) sind und demnach gepflückt oder geerntet werden; oder in den
USA „anders als in Deutschland die Leitungen meist überirdisch verlegt“
(gmx.de) sind, was in Gods own country ja nicht anders zu erwarten ist.
## Überraschendes Urteil
Eine Zeitung ist, wie die taz, stets „Chronikerin ihrer Zeit“, aber weil
die Gegenwart die Ausgeburt der Vergangenheit ist, hat sie auch ein Auge
auf diese – und sieht in Niedersachsen einen Minister, weil er eine
konservative Legende über die Revolution von 1918 aufwärmt, „ein legendäres
Vorwort“ (taz nord) schreiben. Für die taz scheinbar ein überraschendes
Urteil, aber der Presse ist nun mal die Trennung von Meinung und Äußerung
wesenseigen; auch das lernen so die Leser von selbst.
Die Presse gibt vielerlei Meinungen Raum, weshalb die insofern auch
aufklärerisch linke taz die Revolution wieder lobt, hat sich doch dank ihr
seither „bei der Repräsentanz von Frauen im politischen Bereich einiges
getan – wenn auch müßig“.
Etwas weniger Muße hatte Ret Marut, der sich später B. Traven nannte, um
sich Anfang 1919 glücklich „seiner standesrechtlichen Erschießung“ (taz) …
entziehen. Der Mann vom damaligen Stand der Anarchisten starb aber später
dennoch, 1969 in Mexiko-Stadt, und erlitt das gleiche Schicksal wie alle
Menschen – fast alle! „Auf dem Totenbett rief er aus: ,Warum soll ich
überhaupt sterben?'“, soll laut Spiegel CBS-Gründer William Paley gerufen
haben. Wirklich muss ihm als erstem Menschen seit Jesus das Wunder der
Auferstehung gelungen sein – gewöhnliche Menschen können am Ende nur etwas
auf dem Sterbebett sagen, dann nichts mehr.
## Unscharfe Grenze
Ja, man lernt viel durch Medienkonsum, der erstaunlich „lohnenswert“ (taz
et.al.) ist, also des Lohnens wert: Nicht nur, dass die Grenze zwischen
Leben und Tod unscharf ist, sondern ebenso die zwischen Geist und Körper,
Mensch und Sache. „Auch seine Körperkräfte strotzen vor Zuversicht“, rüh…
de.chessbase.com einen Schachspieler, für dessen beschränkte Kenntnisse der
Theorie man Verständnis hat, denn er „konnte nicht so sehr an seinem
Repertoire feilen, sondern musste praktikabel sein“. Im Göttinger Tageblatt
wird in einer ganzseitigen Anzeige gefordert: „Lügen das Handwerk legen“,
der Deutschlandfunk klagt: „Der EU-Beitritt Kroatiens war keine Garantie
dafür, die nationalistischen Ideologien in die Schranken zu weisen“, und
die taz warnt vor „Politikernamen, die sich unsittlich verhalten haben
sollen“.
Erwartungsgemäß esoterisch geht es unter Psychologen zu, die in einer
taz-Anzeige behaupten: „Begriffe wie Affirmation, Opposition und Subversion
suchen eine Neubestimmung“ – Menschen braucht’s dazu nicht mehr! Arte tic…
ähnlich: „Die bildgewaltige Entdeckungsreise durch fünf junge Staaten im
Südosten Europas besucht spektakuläre Naturphänomene auf dem Balkan“ – ob
Menschen an der Reise teilnehmen, oder ist sie allein unterwegs? Und im
Arabischen Frühling gab es „Aufstände, denen es um die Bedürfnisse und
Wünsche der Menschen ging“ (taz) – schön, dass die Aufstände sich selbst…
für andere einsetzen.
Ja, früher! Mit diesem Seufzer zieht sich der olle Sprachkritiker nun
zurück, sintemal es im Bewusstsein der eigenen Mängel anmaßend wäre, sein
Sprachgefühl anderen „überzuhelfen“ (taz), was immer das heißen mag.
„Überstülpen, aufdrängen, vorschreiben“ nicht, sonst stünde es ja da.
25 Jun 2019
## AUTOREN
Peter Köhler
## TAGS
Sprachkritik
Katachrese
Stilistik
Quellen
Aktivismus
Greta Thunberg
Die Wahrheit
Sprachkritik
Stärke
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