# taz.de -- Zum Tod von Wilhelm Wieben: Künstler des Nichtexpliziten | |
> „Tagesschau“-Sprecher Wilhelm Wieben, geboren in der Nazizeit, lebte | |
> vornehm zurückhaltend und optimistisch zugleich. Seines war das Diskrete. | |
Bild: Wieben lernte das Uneigentliche wie eine zweite Körpersprache | |
Diskretion war eines seiner wichtigsten Worte, das Nichtexplizite, das | |
Zurückhaltende und Von-sich-weg-Weisende: Wilhelm Wieben, bis 1998 als | |
Sprecher der „Tagesschau“ in deutschen Wohnzimmern eine Art | |
Verkündigungsmann des Offiziellen, kam aus einer Zeit, als das | |
Geheimnisvolle noch eine Tugend des Überlebens war. 1935 in Hennstedt, | |
Dithmarschen, irgendwo im provinziellen Nichts an der Nordsee geboren, | |
erkannte angemessen während seiner Pubertät, dass das geschlechtliche Spiel | |
von Männern und Frauen nicht seines war. | |
Wieben hatte sein Anerkenntnis, schwul zu sein, in Jahren zu bewältigen, | |
als [1][Hundertfünfundsiebziger], Schwuchteln, warme Brüder noch offensiv | |
verfolgt wurden in der Bundesrepublik, und das auf nazistischem | |
Gesetzesfundament, das ja mit christlich-breitem Zuspruch in seiner | |
schärfsten Form bis 1969 galt. | |
Wieben hatte also dieses Uneigentliche zu lernen wie eine zweite | |
Körpersprache: die der Zurückhaltung und der Einübung in feinste Signale. | |
War das Gegenüber etwa auch homosexuellen Avancen gewogen? Gab es Zeichen | |
oder Hinweise? Wieben, von 1973 bis vor gut 20 Jahren eines der | |
prominentesten Gesichter der ARD, erzählte mir dies vor einiger Zeit: „Wir | |
mussten ja aufpassen, in jeder Sekunde. Nicht im Theater, nicht im | |
Privaten, nicht beim NDR, da wussten ja alle um alles immer Bescheid.“ | |
Als ihn seine Freundin Inge Meysel 1995 im Stern outete („Eigentlich habe | |
ich nur schwule Freunde. Ich verreise zum Beispiel gern mit Wilhelm | |
Wieben“), mochte er schon dieses Wort nicht: „Outen – haben wir dafür ni… | |
besser ein deutsches Wort? Ich wüsste auch keines, aber Inge hat mich doch | |
nicht verraten, ich hätte es doch selbst gesagt, schwul zu sein, aber mich | |
fragte ja niemand.“ | |
## Unnahbar, heiter, neugierig | |
Hätte er womöglich einen irgendwie formulierten Druck des Senders | |
ausgehalten, das für ihn – und Freunde – Offenkundige zu verschweigen? „… | |
waren alle in diesem Sprechen des Diskreten befangen. Niemand hätte mir das | |
verboten.“ Wieben war, die Zeilen zuvor dürfen so verstanden werden, ein | |
äußerst sympathischer, immer leicht unnahbarer, heiterer und zugleich | |
neugieriger Mann, der lieber fragte als das Gegenüber in Antworten zu | |
erdrücken. | |
„Lieben Sie Nana Mouskouri?“ fragte er einst in der Neujahrsnacht einen | |
jungen Mann, ihn einladend, die opulente Schallplattensammlung mit den | |
Alben der Griechin oder denen von Ella Fitzgerald, Lena Horne oder der | |
jungen Streisand vorzustellen – was eine solch charmante und feine Art des | |
Buhlens und Interessiertseins war, was ja in Zeiten von Grindr und | |
Klarsprech im Alltag kaum noch als handfestes Interesse dechiffriert werden | |
könnte. | |
Wieben, der jenseits der ARD-Nachrichtensprechertätigkeiten viele Jahre in | |
einer Sprechrolle an der Hamburger Staatsoper mitspielte, Plattdeutsches | |
liebte, weil es seine Muttersprache war, in der dramatisch gelungenen | |
ARD-Komödie „Club Las Piranjas“ mitmachte und auch für den Österreicher | |
Falco und dessen „Jeanny“ einige Sprechsamples für das Video einsprach, der | |
von Udo Lindenberg krass geschätzt wurde, dieser Wilhelm Wieben, geboren in | |
der Nazizeit, lebte vornehm zurückhaltend und optimistisch zugleich. Am 13. | |
Juni ist er in Hamburg im Alter von 84 Jahren gestorben. | |
16 Jun 2019 | |
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## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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