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# taz.de -- Tourismus in der Türkei: Der Ansturm der Massen beginnt
> Nach einer Phase der Flaute erlebt der türkische Tourismus einen neuen
> Boom. Während die Wirtschaft davon profitieren dürfte, leidet die Natur.
Bild: Nach der Krise erlebt die Tourismusbranche einen Aufschwung: Badestrand i…
„Wir sind fertig. In den nächsten Tagen geht’s los“. In Marmaris zeigt
Mustafa stolz sein Schiff, an dem er und seine gesamte Familie den ganzen
Winter über gearbeitet haben. Es ist ein so genanntes „Gulet“, einer der
großen Holzsegler, mit denen man an der Küste der Ägäis eine „Blaue Reise…
machen kann.
„Blaue Reise“, das bedeutet komfortabel von Bucht zu Bucht zu gleiten, in
fast durchsichtig scheinendem Meerwasser zu schwimmen, in Fjorden, die zu
recht oft „Aquarium“ heißen, weil man mit den Fischen um die Wette
schwimmt. Es ist ein Traum, der aber schon bald ausgeträumt sein könnte.
Die Blaue Reise droht an der Masse der Reisenden zu scheitern. Mustafa
zeigt auf die anderen Gulets, die in der großen Bucht von Bozburun Bord an
Bord liegen. Rund 150 Schiffe haben allein hier ihren Heimathafen. Die
Möwe, Mustafas Schiff, kann 14 Passagiere mitnehmen. Für fünf Wochen im
Sommer ist sein Schiff bislang gebucht, er hofft dringend, dass es mehr
wird denn für die Überholung des Schiffes musste er einen Kredit von rund
50.000 Euro aufnehmen.
Alle Schiffe gehören Familien aus Bozburun, die oft selbst Bootsbauer sind.
Insofern ist die Fahrt mit dem Gulet von hier aus noch ziemlich
authentisch, doch es sind eigentlich schon viel zu viele Gulets. Schaut man
dann noch nach Bodrum, Marmaris und Fethiye, den anderen großen
Stützpunkten für „Blaue Reisen“, kann man sich leicht ausmalen, welches
Gedränge mittlerweile in den einstmals unberührten Buchten der türkischen
Ägäisküste im Sommer herrscht. Das ist auch für die Wasserqualität nicht
gut, sagt Mustafa, besonders in dem großen Fjord von Fethiye habe die
Verschmutzung bereits bedrohliche Ausmaße angenommen.
## Rekord am Flughafen von Antalya
Dabei gehört der Besuch der Türkei auf einer hölzernen Yacht an der
zerklüfteten Küste im Südwesten des Landes noch zu den Nischenprodukten der
Tourismusindustrie. Richtig Masse gemacht wird ganz wo anders. 356 Starts –
und Landungen meldete der Antalya Airport allein für den 25. Mai dieses
Jahres. Ein Rekord. 76.568 ausländische Touristen an einem einzigen Tag
bereits im Mai ist nach offiziellen Angaben ein historisches Novum.
Im gesamten Monat Mai kamen insgesamt 1,7 Millionen ausländischer Touristen
allein über Antalya an die türkische Riviera. Für die gesamte Türkei
erwartet der Tourismusverband in diesem Jahr 35 – 40 Millionen Besucher und
knüpft damit an die Rekordzahlen von 2015 an, die Zeit, bevor Syrienkrieg,
Terroranschläge, Putschversuch und Ausnahmezustand die Türkei vorübergehend
fast komplett aus dem Programm der großen Anbieter hinauskatapultierte.
Das ist jetzt alles vergessen. Dass die Repression in der Türkei nach wie
vor anhält und selbst Touristen für einen vorlauten Tweet schnell hinter
Gitter landen können, stört die Massen nicht mehr. Was zählt, sind die
wunderbaren Strände, die luxuriösen Hotels und vor allem die tollen Preise,
für die man das alles haben kann. Die Schwäche der türkischen Lira, für die
Wirtschaft des Landes ein existentielles Problem, ist für den Besucher aus
dem Euroraum ein Glücksfall. Ferien in der Türkei sind 2019 zum
Schnäppchenpreis zu haben.
An diesem Wochenende Ende Mai waren die Hotels an der Ägäis und am
Mittelmeer zum ersten Mal in diesem Jahr nahezu komplett ausgebucht.
Allerdings überwiegend mit Besuchern aus dem Inland. Um auch den
inländischen Tourismus anzukurbeln, hat die Regierung die am Dienstag
beginnenden Bayram-Feiertage im Anschluss an den Fastenmonat Ramadan auf
neun Ferientage ausgedehnt. Wer es sich trotz Krise noch leisten kann, nahm
das Angebot dankend an. Fünf Millionen Besucher strömten an die Küsten, für
die türkischen Hoteliers so etwas wie die Generalprobe für den Sommer.
## Die Wasserqualität leidet
Viele Hotels haben die flauen Saisons der letzten Jahre für eine
Generalüberholung genutzt und erstrahlen jetzt in neuem Glanz. Verglichen
mit Griechenland und Spanien sind die Hotels in der Türkei oft besser in
Schuss. Das gilt aber nicht unbedingt für die Wasserqualität. Gerade in den
tiefen Buchten und Fjorden der Ägäis hat sich im Laufe der letzten Jahre
viel Dreck angesammelt, auch wenn die Zeit, in der Schmutzwasser noch
ungefiltert ins Meer geleitet wurde, nahezu überall vorbei ist.
„Blaue Flaggen“, das Signal für saubere Strände und sauberes Wasser, find…
man deshalb vor allem an den ausgedehnten Mittelmeerstränden um Antalya und
Alanya. Das begehrte Gütesiegel für die Strände und Wasserqualität wird von
der unabhängigen internationalen Umweltorganisation „Foundation for
Enviromental Education“ mit Sitz in Kopenhagen vergeben.
Im letzten Jahr hat es die Türkei im europäischen Ranking der Organisation
für die Anzahl der sauberen Strände nach Spanien und Griechenland mit 495
Blauen Flaggen auf den dritten Platz geschafft. Rund 350 davon sind an der
Mittelmeerküste. An der Ägäisküste findet sich das sauberste Wasser immer
an den Spitzen von Halbinseln und Kaps die weit ins Meer hinausragen. In
den tiefen Fjorden, da wo der Wasseraustausch am geringsten ist, sammelt
sich dagegen der Schmutz.
Für Mustafa und die anderen Kapitäne der „Blauen Reise“ ist das ein groß…
Problem. „Unsere Buchten sind überfüllt und oft auch schmutziger geworden.
Manche Ankerplätze, die wir früher immer besucht haben, können wir gar
nicht mehr anfahren“. Ein Ausweg aus diesem Dilemma ist es, von der Küste
weg die nahen griechischen Inseln anzusteuern, wo die Wasserqualität besser
ist. „Das macht die Reise aber wesentlich teurer“, sagt Mustafa. „Die
Griechen kassieren erhebliche Gebühren, die Fahrten werden länger und für
viele türkische Gäste kommen hohe Kosten für ein Visum dazu.“
## Konfrontation mit dem Elend der Welt
Es gibt dabei auch noch ein anderes Problem über das Mustafa nicht so gerne
spricht: die Flüchtlinge. Immer noch versuchen in den Sommermonaten
Tausende syrische, irakische und afghanische Flüchtlinge von der Türkei aus
die küstennahen griechischen Inseln zu erreichen. „Wer will schon seine
Ferien ausgerechnet an einem Strand oder in einer Meeresbucht verbringen,
wo er mit dem ganzen Elend der Welt konfrontiert werden kann?“
4 Jun 2019
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
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