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# taz.de -- Kinoempfehlung für Berlin: Exorzismus à la polonaise
> FilmPolska widmet dem Querdenker Krzysztof Zanussi eine Werkschau und
> Ausnahmeregisseur Wojciech Smarzowski die Hommage.
Bild: Radikaler Skeptizismus: Krzysztof Zanussis „Die Struktur des Kristalls�…
Im mittel- und osteuropäischen Kino finden sich unter den aktiven
Regisseuren nur noch wenige der einstigen Größen. Unbemerkt haben die
letzten Jahre eine Filmkultur begraben, die aus BRD-Perspektive ein
Schattendasein geführt haben mag, das Weltkino aber doch reich beschenkte:
Legenden wie Kira Muratova, Eldar Rjazanov, Georgij Danelija oder Marlen
Chuciev (UdSSR), Miloš Forman und Juraj Herz (ČSFR) oder Dušan Makavejev
(Jugoslawien) sind tot. Und auch Polens Kino-Übervater Andrzej Wajda ist
nicht mehr.
Umso wichtiger ist deshalb, dass nationale Filmwochen ihre Spotlights
gelegentlich von den aktuellen Shootingstars – wie Paweł Pawlikowski („Cold
War“) oder Agnieszka Smoczyńska („Fugue“, ein Psycho-Kammerspiel) – auf
vorgeblich etablierte Regisseure werfen, die bei näherer Betrachtung die
eigentlichen Entdeckungen wären. Wobei ausgerechnet im polnischen Kino
generell das Problem der Qual der Wahl vorliegt.
Mit Krzysztof Zanussi fiel letztere auf einen veritablen Querdenker: einen
intellektuellen Essayisten und formalen Stilisten, der sich wiederholt zum
Katholizismus bekannte und im Juni seinen 80. Geburtstag feiern wird.
[1][FilmPolska] nimmt das zum Anlass, ihm eine Werkschau zu widmen. Dieser
Einladung zum Existentialismus als „innerer Emigration“ (Margarete Wach)
ist zu folgen.
Es sind acht Filme, die bis 3. Mai im [2][Zeughauskino] gezeigt werden; zur
Eröffnung am 26. 4. reist der Grandseigneur an und wird in einer der vielen
Weltsprachen, die er fließend beherrscht, eloquent Auskunft geben über den
Entstehungskontext seines ersten langen, heute bekanntesten Films, „Die
Struktur des Kristalls“.
Ins Kino kam dieses Filmdokument des radikalen Skeptizismus im Jahr 1969,
zwischen der Niederschlagung des Prager Frühlings, den Studentenunruhen
unter anderem in Warschau und dem Danziger Aufstand von 1970. Zanussi hat
Helden ins Kino eingeführt, die verschwiegen und nachdenklich sind,
beobachten und zaudern statt handeln, und die alles hinterfragen, was nach
Stabilität aussehen könnte, vom gesellschaftlichen Status Quo bis zum
eigenen Ich.
Konfrontative Figurenkonstellationen verwandelt der als Physiker
ausgebildete Film-Philosoph in Experimentierfelder der Reflexion und
Metaphysik. Räumlich als Retreats inszeniert – ob die Illuminationen im
Hochgebirge („[3][Iluminacja]“, 1973 – Sa. 27. 4., 19h & So. 28. 4., 20h),
das Akademikersommercamp in „[4][Tarnfarben]“ (1977) (So. 28. 4., 18h & Do.
2. 5., 20h) oder der Berghüttenwinter in der Hohen Tatra („[5][Spirale]“,
1978 – Di. 30.4 ., 20h) – etabliert Zanussi Auszeiten, die der Selbst- und
Systembefragung dienen. Genau weil diese Filme trotz Gegenwartsbezug „keine
Kinofeuerwerke der neuen Zeit“ waren, wie Festivalleiter Kornel Miglus
betont, hatte er von Beginn an auch international Erfolg.
Das von ihm gegründete Studio „Tor“ gilt neben Wajdas Studio „X“ als
Geburtsstätte jenes „Kinos der moralischen Unruhe“, das zwischen 1976 und
1981 den Sound und die nüchternen Visionen des
Post-Neue-Wellen-Aufbruchskinos bestimmte.
Auch die eindringlichen Studien „[6][Zwischenbilanz]“ (1974, Sa. 27. 4.,
21h), einer der wenigen Filme Zanussis, in dessen Mittelpunkt eine Frau
steht, sowie „[7][Ein Mann bleibt sich treu]“ (1980 – Mi. 1. 5., 20h & Fr.
3. 5., 21h), behandeln den Stillstand als Scheitern an alternativen
Haltungen und Lebensentwürfen. Schade, dass nicht noch mehr Arbeiten des
Altmeisters, besonders die hochinteressanten späteren, laufen. Auch
„Ether“, Zanussis neues faustisches – genauer: mephistophelisches –
Meisterwerk muss erst noch seine Festivalauswertungstour machen …
So bleibt es einem anderen polnischen Ausnahmeregisseur vorbehalten,
Wojciech Smarzowski (Jg. 1963), die diabolischen Abgründe des
katholischsten aller postkommunistischen Länder zu sezieren.
„[8][Klerus]“ tut das mit so viel Verve, dass es weh tut, bleibt bei aller
brutalen Dynamik (psychisch wie physisch) aber im Grunde sachlich. Denn
Missbrauchsvorwürfe und Pegelsaufen, Zölibatsverletzung und Korruption
stehen auch in Polens Kirche auf der Tagesordnung, was angesichts des
ideologischen Umschwungs im Lande von Recht und Gerechtigkeit (kurz: PiS)
prekär ist. Über 5 Mio. sahen „Kler“ im letzten Jahr, das ist
rekordverdächtig und zeigt, wie gesellschaftsrelevant Kino sein kann.
Smarzowski hat seine handwerklich perfekt operierenden Finger immer schon
gern auf die nationalen Traumata gelegt. Die umfangreiche Hommage, die in
Anwesenheit des selten auftretenden Regisseurs am Do. 25. 4. um 19.30 im
Babylon eröffnet wird, belegt das reichlich.
Seine Krimis, ob „Dom zły“ (2009) oder „Drogówka“ (2013), sind stets …
Analysen von Gesetzesmissbrauch, in „Wesele“ (2004) geht’s nicht nur ums
Heiraten (sondern ums Geld), „Zum guten Engel“ bohrt in den Wunden der
Daueralkoholisierung und die beiden historischen Filme „Róża“ (2011) und
zuletzt „Wołyń“ (2016) zerschlagen so manche Kriegsmythen der Nation.
Zanussi steht für Autorenkino. Smarzowski für Genre. Er ist darin ein
weitgehend unentdeckter Meister. filmPolska zeigt beider Œuvre – inmitten
einer Fülle neuer Produktionen eines Kinolandes, das auch in diesem Jahr
überquillt an filmischer Kreativität.
Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg
immer Donnerstags in der Printausgabe der taz
24 Apr 2019
## LINKS
[1] http://www.filmpolska.de/
[2] https://www.dhm.de/zeughauskino/filmreihen/krzysztof-zanussi.html
[3] http://www.filmpolska.de/filme/illumination-9ce2zP
[4] http://www.filmpolska.de/filme/tarnfarben-camouflage-6zIwa5
[5] http://www.filmpolska.de/filme/spirale-ZJTmj2
[6] http://www.filmpolska.de/filme/zwischenbilanz-a-woman-s-decision-dwhGgB
[7] http://www.filmpolska.de/filme/ein-mann-bleibt-sich-treu-the-constant-facto…
[8] /!5578065/
## AUTOREN
Barbara Wurm
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Filmfestival
Kino Polen
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