# taz.de -- Kolumne Macht: Päpste sind leider auch nur Menschen | |
> Keine Neuigkeit, dass der Ex-Papst Bendedikt die 68er verabscheut. Nun | |
> versucht er ihnen den Missbrauch in der Kirche anzuhängen. | |
Bild: Der emeritierte Papst Benedikt XVI. im Juni 2018, Vatikan. Leider mischt … | |
Wenn man dem ehemaligen Papst Benedikt glauben möchte, dann muss das | |
Bedürfnis nach Ruhe und Abgeschiedenheit irgendwann überwältigend gewesen | |
sein. Schweigen wollte er nach seinem Amtsverzicht 2013, nichts als | |
schweigen und beten. Und „für die Welt verborgen“ bleiben. | |
Der Wunsch zu schweigen besteht inzwischen offenbar nicht mehr. Päpste sind | |
eben auch nur Menschen. Leider, muss man sagen angesichts dessen, was | |
Benedikt jetzt in einem Aufsatz geschrieben hat. Wobei interessanter als | |
dessen eigentlicher Inhalt die Frage ist, was der Text über ihn und sein | |
Verhältnis zur Kirche verrät. | |
Manches spricht dafür, Rentnern mehr durchgehen zu lassen als anderen | |
Leuten. Sie können keinen Schaden mehr anrichten, jedenfalls nicht in | |
beruflicher Hinsicht. Sollen sie doch reden und schreiben, wenn es ihnen | |
Freude macht. (Ja, das ist altersdiskrimierend formuliert – und in diesem | |
besonderen Fall auch genau so gemeint.) | |
Das ehemalige Oberhaupt der katholischen Kirche hat sich mit einem derart | |
[1][hanebüchenen Unfug zu Wort gemeldet], dass die gebotene Nachsicht einem | |
fast 92-jährigen gegenüber an ihre Grenzen stößt. Auch in den eigenen | |
Reihen. Bei vielen katholischen Theologen herrscht helles Entsetzen. | |
## „Völlige sexuelle Freiheit“ | |
Zusammengefasst macht Joseph Ratzinger, so der bürgerliche Name von | |
Benedikt XVI., die 68-er-Bewegung für den sexuellen Missbrauch | |
mitverantwortlich, den katholische Würdenträger an Kindern begangen haben. | |
Die Revolution von 1968 habe „völlige sexuelle Freiheit“ erkämpfen wollen, | |
„die keine Normen mehr zuließ“, schreibt der ehemalige Papst. „Zu der | |
Physiognomie der 68er-Revolution gehörte, dass nun auch Pädophilie als | |
erlaubt und als angemessen diagnostiziert wurde.“ Nein. Das ist falsch. Der | |
Behauptung würde zu viel Ehre erwiesen, wenn man sich die Mühe machte, sie | |
im Detail zu widerlegen. | |
Zeitgleich habe sich „ein Zusammenbruch der katholischen Moraltheologie | |
ereignet, der die Kirche wehrlos gegenüber den Vorgängen in der | |
Gesellschaft machte“. Jetzt wird es interessant. Da bezeichnet also ein | |
ehemaliger Papst die Kirche, der er sein Leben geweiht hat, als „wehrlos“ | |
gegenüber einer linken Protestbewegung. Warum tut er das? Wenn er Recht | |
hätte – er hat es nicht! – dann wäre das eine vollständige | |
Bankrotterklärung seiner Institution. Weniger Selbstbewusstsein ist kaum | |
vorstellbar. Eigentlich müssten doch gerade in Zeiten der Anfechtung die | |
wahrhaft Gläubigen standhaft bleiben? Was sagt es über Joseph Ratzinger, | |
dass er meint, junge katholische Theologen seien so leicht verführbar | |
gewesen? | |
Zweierlei. Zum einen: Prägende Erfahrungen jüngerer Jahre verschwinden | |
nicht einfach so, sie bleiben. Offenbar kehren sie im Alter sogar verstärkt | |
zurück. Für Ratzinger scheinen die Erfolger der 68-er traumatisierend | |
gewesen zu sein, warum auch immer. Ja, er verabscheute sie, das ist keine | |
Neuigkeit. Sondern bekannt. Die zweite Erkenntnis, die sich aus seinem Text | |
ergibt, ist wichtiger: Er traut der Kirche nichts zu, gar nichts. Keine | |
Festigkeit im Glauben, keine Fähigkeit zum Widerstand. Und das sagt ein | |
früherer Papst? Um die katholische Kirche muss es deutlich schlechter | |
bestellt sein, als die Öffentlichkeit bisher ahnte. | |
Es ist kein Wunder, dass katholische Theologen entsetzt sind. „Zutiefst | |
beunruhigend“, ein „beschämendes Schreiben“, eine „peinliche, falsche | |
Erklärung“, so die Reaktionen. Er sei „sprachlos“, schreibt der | |
Fundamentaltheologe Magnus Striet. Benedikt XVI. baue einen „Popanz“ auf. | |
Wirksam wäre es gewesen, die Bischöfe anzuweisen, mit den jeweiligen | |
Staatsanwaltschaften zusammen zu arbeiten. Dem ist nichts hinzuzufügen. | |
13 Apr 2019 | |
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## AUTOREN | |
Bettina Gaus | |
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