Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Bob Dylan spielte in Berlin: Der Sound der Sirene
> How does it feel? Elektrisierend. Bob Dylan spielte am Donnerstagabend in
> Berlin ein Set mit richtig alten und neueren Stücken – und es rockte.
Bild: Bob Dylan in den 1960ern, als seine Fans seinen Griff zur E-Gitarre als V…
Die Mercedes Benz Arena zu Berlin ist eine Kathedrale, wenn auch keine
besonders schöne oder gar erhabene. Das Personal ist sehr freundlich und
zugewandt. Vor der Tür zum Saal hat der Konzern ein Auto geparkt. Darauf
steht zu lesen: „Für alles was kommt. Die neue B-Klasse.“
Was immer dir geschehen mag, kleiner Mensch, Mercedes Benz wird mit dir
durch die Stürme des Lebens fahren, soll das wohl heißen. Wer’s glaubt,
möge selig werden. An der Decke des Saals hängt ein Mercedesstern. Zu groß
und zu hoch, um ihn zu klauen.
Hier also versammelt sich die Gemeinde des Bob Dylan alias Robert Allen
Zimmerman alias Shabtai Zisl ben Avraham. Sie sprechen Deutsch, Englisch,
Polnisch, Hebräisch und andere Sprachen. Viele halten den Barden für einen
Propheten, er aber hat das immer von sich gewiesen: „In a soldier’s stance,
I aimed my hand / At the mongrel dogs who teach / Fearing not that I’d
become my enemy / In the instant that I preach.“
Die Kongregation nimmt auf Stühlen Platz und respektiert das erste und
einzige Gebot des Abends, von der Nutzung von Smartphones und anderer
elektronischer Geräte Abstand zu nehmen. In der Kirche und im Bethaus macht
man keine Fotos und checkt nicht seine E-Mails, recht so.
## Zwei Männer mit Hut, zwei ohne
Also herrscht eine kontemplative Atmosphäre, als Dylan mit seiner Band die
Bühne betritt. Sie besteht aus vier Männern. Zwei mit Hut, zwei ohne. Sie
spielen Schlagzeug, Bass, Gitarre und Steel Guitar.
Dylan steht meist vor seinem weißen Flügel, in schwarzen Hosen, schwarzem
Hemd, weißer Schleife und weißem Kittel. Sein Ornat ist mit silbernen
Applikationen besetzt, die im warmen Licht einiger Film-Scheinwerfer sachte
vor sich hin funkeln. Dylan war nie ein großer Sänger und er ist auch kein
großer Pianist. Er hämmert wild in die Tasten, vergreift sich auch mal,
aber wen soll das stören.
## Da freut sich der Agnostiker
Es ist ein elektrisches Set, das in der zweiten Hälfte mit „Pay in Blood“
richtig Fahrt aufnimmt: „The more I take the more I give / The more I die
the more I live“, heißt es da. Und in zumindest einer Fassung des Songs
heißt es auch: „I’m sworn to uphold the laws of God“. Gleich danach kommt
„Like a Rolling Stone“ mit seiner Chorusline, die jeden Agnostiker
anspricht: „How does it feel, ah how does it feel? / To be on your own,
with no direction home.“
Als es für Robert Zimmerman an der Zeit war, Bar Mitzwah zu werden, gab es
keinen Rabbi in town. Da erschien plötzlich einer unter merkwürdigen
Umständen und blieb ein Jahr. Man brachte ihn in einem Zimmer über dem
lokalen Rock-’n’-Roll-Café unter. Jeden Tag nach dem Abendessen ging Bob
hin, lernte eine Stunde seine Torastelle singen und begab sich sodann nach
unten, um zu tanzen. Mit seiner ersten Highschoolband spielte er Songs von
Little Richard und Elvis Presley.
## Die Harmonika macht den lautesten Sound
Heute Abend geben er und seine Männer Klassiker aus den Sechzigern, aber
auch einige mächtig rollende Stücke aus dem 21. Jahrhundert. Vor jedem Song
stimmen sie sich gemeinsam ein, eine leise Musik schwebt für eine Weile im
Raum, dann geben Bass und Drums den Takt vor und es geht los.
Die Klassiker sind oft anders arrangiert als auf den alten Aufnahmen, und
es dauert einen Moment, bis die Gemeinde sie erkennt. Dann sind beglückte
„Whooos!“ zu hören. Den stärksten Zwischenapplaus bekommt der Meister, we…
er seine sirenenhafte Mundharmonika bläst. Es ist der lauteste Sound des
Abends.
## Dylans Gospel ist der Rock ’n’ Roll
Dylan hat in seinen Liedern immer wieder über die existenziellen Fragen des
Menschseins überhaupt und in dieser Zeit nachgedacht, über die Liebe, den
Tod, die Einsamkeit, die Unbehaustheit und über die Notwendigkeit, Geld zu
verdienen. Wie in „Thunder on the Mountain“ aus dem Jahr 2006, in dem Dylan
Alicia Keys preist und am Ende singt: „Gonna make a lot of money, gonna go
up north / I’ll plant and I’ll harvest what the earth brings forth / The
hammer’s on the table, the pitchfork’s on the shelf / For the love of God,
you ought to take pity on yourself.“
Fast zwei Stunden rockt Dylan das Haus und es scheint ihm Spaß zu machen.
Am Ende versucht er sich gar an einigen unsicheren Tanzschritten. Am 24.
Mai wird er 78. Kein einziges Wort hat der Prophet zwischen den Songs
gesprochen. Wozu auch? Bob Dylans Gospel ist der Rock ’n’ Roll.
5 Apr 2019
## AUTOREN
Ulrich Gutmair
## TAGS
Bob Dylan
Rock'n'Roll
Religion
Punk
Judentum
## ARTIKEL ZUM THEMA
Alte Punks im Berliner SO36: Groove und Härte der UK Subs
Die UK Subs sind eine der ältesten und vitalsten britischen Punkbands. Wenn
sie auftreten, tanzt und singt der ganze Saal mit.
Judentum und Popkultur in den USA: Sich das Hakenkreuz aneignen
Bob Dylan, Lou Reed und die Beastie Boys: Der Pop in den USA wurde und wird
von zahlreichen jüdischen KünstlerInnen geprägt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.