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# taz.de -- Die Wahrheit: Blind wie Honka
> Wer mit Fehlsicht geschlagen ist, kommt um den Kauf von Augengläsern
> nicht herum. Blöd nur, wenn man Brillenskeptiker ist.
Beginnen wir mit einem Rückblick: Vor zehn Jahren musste ich behufs
Führerscheinerwerbs einen Sehtest bestehen, was mir trotz mehrerer Anläufe
bei verschiedenen Optikern nicht gelang. Unbill für mein 17-jähriges Ich:
Es trug keine Brille und hatte auch keine Lust, sich eine anzuschaffen.
In meiner Verzweiflung frequentierte ich einen mittlerweile Gott sei Dank
pensionierten Augenarzt mit unseliger Reputation. Ein Verwandter wäre
seinetwegen beinahe erblindet, aber das ist eine andere Geschichte. Der
bejahrte Augendoktor prüfte meine Sehkraft mit einem eigentümlichen Test:
Er warf mittels eines Tageslichtprojektors vier unterarmgroße Ziffern an
die Wand, die selbst Karl Dall hätte lesen können, wenn er das gute Auge
zugekniffen hätte. Dann verstellte er die Schärfe der Projektion und bat
mich, vorzulesen.
Mein Gedächtnis ist nicht das beste, aber vier Ziffern kann ich zehn
Sekunden lang behalten. Fünf. Acht. Sieben. Zwei. „Ausgezeichnet“, sagte er
und bescheinigte mir ausreichendes Augenlicht. Ich durfte ohne Sehhilfe ans
Steuer.
Sprung in die Gegenwart. Obzwar unfallfrei geblieben, habe ich entschieden,
eine Brille zu erwerben. Der Auslöser war ein Vorfall im Theater: Im
Anschluss an eine Vorstellung lobte ich das Spiel der Hauptdarstellerin,
bis mir meine Begleitung erklärte, dass gar keine Frau im Ensemble war.
Als ich das erste Geschäft betrete, wird mir zum ersten Mal bewusst, dass
ich vorurteilsbeladen bin. Ich hege wirklich schwere Ressentiments
gegenüber Brillenträgern. Vor allem gegenüber jenen Wichtigtuern mit den –
diesen Begriff habe ich in der Werbung gelesen – „charakterstarken“
Modellen. Ganz furchtbar finde ich zudem diese dünnen drahtigen Gestelle.
Doch meine größten Vorbehalte gelten jenen, die dazu auch noch runde
Brillengläser tragen. Mein Unterbewusstsein hat sie offenbar unter
„Jan-Fleischhauer-Verschnitt“ rubriziert.
Beim Anprobieren der ersten Exemplare betrachte ich im Spiegel also
fortwährend einen Menschen, mit dem ich nicht das Geringste zu schaffen
haben will. Eine Verkäuferin erkennt mein Dilemma und bietet mir Beratung
an. Ob meines breiten Kopfes, meint sie, fielen die meisten Rahmen ohnehin
schon mal weg. Was sie nicht davon abhält, mir immer wieder Brillen in die
Hand zu drücken und dabei zu krächzen: „Hier! Die passt Ihnen aber eh
nicht!“
Ihre Empfehlungen überzeugen mich nur schlecht. Unruhig fragt sie, was ich
mir denn eigentlich vorgestellt habe. „Es wäre gut“, sage ich, „wenn man
gar nicht merken würde, dass ich eine Brille aufhabe.“ Sie antwortet: „Also
einen dünnen Rahmen? Und runde Gläser! Die stehen Ihnen definitiv am
besten! Bin gleich wieder da!“
Ich verlasse den Laden umgehend. Der Brillenkauf ist vertagt. Haben Sie
eigentlich schon die Verfilmung vom „Goldenen Handschuh“ gesehen? Veronica
Ferres spielt den Massenmörder Fritz Honka wirklich fantastisch.
20 Mar 2019
## AUTOREN
Cornelius Oettle
## TAGS
Gesundheit
Brille
Veronica Ferres
Gedicht
Reichtum
E-Roller
Adultainment
Friseure
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