# taz.de -- Die Wahrheit: In kranken Hemden | |
> Im Wartezimmer des Bergdoktors wird virtuelles Crystal Meth gereicht. | |
> Hilft ja sonst nichts gegen den teuflischsten aller Monate. | |
Bild: Marie-Agnes Strack-Zimmermann während ihres viel beachteten Karnevalsauf… | |
Der Februar ist das Arschloch unter den Monaten. Er saugt zu Beginn den | |
letzten Neujahrsschwung weg, kippt danach Viren über uns aus und | |
verweigert, obwohl er der kürzeste unter seinesgleichen ist, lange den | |
Frühling. Februare oder Februierende, wie die Teufels-Monate im Plural | |
neuerdings geschlechtergerecht genannt werden müssen, verbringe ich stets | |
zur Hälfte krank in der Sofaecke. | |
Jahrelang habe ich mein Leiden dort mit großen Gaben von | |
Biathlon-Übertragungen verschlimmert, aber die Droge wirkt nicht mehr. Mein | |
neues Crystal Meth heißt Bergdoktor. Selig seufzend folge ich der | |
Kameradrohne bei ihrem Flug über das sommerliche Gebirge, in dem der | |
Oldtimer des Bergdoktors auf schmalen Straßen zufrieden schnurrend zu den | |
Patienten auf die Einödhöfe fährt. Immer springt das Auto an, nie kracht | |
die Drohne gegen den Gletscher. Ein Paradies! | |
Meine Ärztin zeigt leider weniger Fürsorge. Sie besucht mich niemals in | |
meiner Virenhöhle am Dorfrand, sondern pflanzt mich lieber anderthalb | |
Stunden in ein Wartezimmer, weil sie Menschenexperimente schätzt und mich | |
in ihre Amokläufer-Langzeitstudie aufgenommen hat. Beim Bergdoktor sitzen | |
vor dem Behandlungsraum freundlich grunzende Lederhosenträger, die man | |
nicht versteht. Bei meiner Ärztin hocken dagegen Schreckschrauben, die laut | |
rufen: „Ach was, Klimawandel! Hat sich doch schon immer was geändert, | |
nicht?“ | |
In meiner Wartezimmerrunde ist man sich dennoch darüber einig, dass früher | |
alles besser war, insbesondere habe man niemals warten müssen. Und Ärzte, | |
ach: „Da sagt der doch zu mir, wieso haben Sie ein Hemd an, das geht ihn | |
doch gar nichts an. Da habe ich gesagt, das ist doch wohl meine Sache, ob | |
ich ein Hemd anhabe. Wieso haben Sie ein Hemd an, tz.“ | |
## Die Vitamin-D-Debatte | |
Ich versuche wegzuhören, aber ich kann einfach nicht. Das Hemd macht sich | |
immer breiter. Es folgen noch die Orthopäden-Rücken-Arie, der | |
Fehldiagnosenmonolog, die Vitamin-D-Debatte, dann wieder das Hemd und | |
schließlich der … – o, jetzt bin ich dran. | |
Der Bergdoktor nimmt Blut ab und erkennt so in letzter Minute seltene | |
Krankheiten des Gehirns. Dann verordnet er interessante Medikamente. | |
Außerdem hilft er den Patienten freundlich durch Lebenskrisen, die alle | |
furchtbarer sind als meine Probleme, die sich recht bonsaimäßig ausnehmen | |
wollen neben Persönlichkeitsspaltungen, Firmenpleiten und familiärem Streit | |
im Endstadium. Das schafft er alles in den neunzig Minuten, die ich schon | |
brauche, bis ich überhaupt bis zum medizinischen Fachpersonal vorgelassen | |
werde. | |
Meine Ärztin sieht mich abschätzig an, schwenkt ihr Stethoskop in meine | |
Richtung und bittet mich, das Hemd hochzuschieben. „Das Hemd, das Hemd!“, | |
kreische ich entsetzt und falle in Ohnmacht. Am Ende verordnet sie mir dann | |
statt teurer Medizin bloß Geduld und Schonung, ehe sie mich zurück in die | |
böse Welt entlässt. Sofa, ich komme. | |
13 Feb 2019 | |
## AUTOREN | |
Susanne Fischer | |
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