# taz.de -- Krise in Venezuela: Ein Krieg ist es doch | |
> In Venezuela schließen sich die Reihen der chavistischen Basis. Und die | |
> Gewissheit wächst, dass Maduro sich wird halten können. | |
Bild: Eine Familie vor dem Porträt von Hugo Chávez. Caracas, Februar 2019 | |
Caracas taz | Vergangenen Samstag schien der Sturz von Venezuelas | |
Staatschef Nicolás Maduro nur noch eine Frage von Stunden zu sein. Das | |
zumindest musste glauben, wer in den sozialen Netzwerken unterwegs war. | |
Massenhaft zirkulierten auf Facebook und über WhatsApp Nachrichten über die | |
bevorstehende Invasion durch die US-Marines. Von ihrem Anlanden an den | |
Küsten, von ihrem Einmarsch über die grünen Grenzen und von unmittelbar | |
bevorstehenden Bombardierungen. Dazu kursierten Meldungen über | |
Paramilitärs, die bereits an strategisch wichtigen Punkten stünden, um in | |
Kürze den Präsidentenpalast einzunehmen. | |
„Solche Kampagnen in den sozialen Netzen sind eine große Herausforderung, | |
gegen die wir angehen müssen“, sagt Diana Santana. Diese Tastaturkriegern | |
und ihre Onlinelabors für den schmutzigen Krieg seien noch lange nicht | |
geschlagen, meint sie. Doch statt weiter die bevorstehende virtuelle | |
Entmachtung in den sozialen Netzen zu verfolgen, feierte sie lieber mit | |
Tausenden von Gleichgesinnten den 20. Jahrestag der Bolivarischen | |
Revolution auf der Avenida Bolívar in Caracas. | |
[1][Am 2. Februar 1999 hatte Hugo Chávez erstmals das Präsidentenamt | |
angetreten.] Und wie viele Chavistas ist auch Diana Santana davon | |
überzeugt, dass die große Mehrzahl der chavistischen WählerInnen weiter zur | |
Regierung hält und sie gegen jegliche Umsturzversuche von außen und innen | |
verteidigen wird. „Denn allen ist klar, dass es nicht nur um die | |
Verteidigung der Revolution, sondern um das Vaterland geht,“ sagt Diana | |
Santana. | |
Die 47-jährige Mutter dreier Kindern ist Anwältin für Strafrecht. Sie ist | |
Mitglied [2][der regierenden Partido Socialista Unido de Venezuela (PSUV)] | |
von Staatschef Maduro. Und sie hat keinen festen Wohnsitz. 2013 schloss sie | |
sich den „Pioneros Pobladores“ an, einer Bewegung mit angeschlossenem | |
Sozialprogramm, das für die Bereitstellung von Wohnraum für Familien mit | |
geringem Einkommen eingerichtet wurde. Damit reagierte der damalige | |
Präsident Hugo Chávez auf die extreme Wohnungsnot gerade in den unteren | |
Schichten der Bevölkerung. | |
## Diktierte Bedingungen | |
VenezolanerInnen wie Diana Santana waren vor Chávez’ Amtsantritt von | |
Sozialprogrammen ausgeschlossen. Nach vorsichtigen Schätzungen fehlten 1999 | |
rund 3 Millionen Wohnungen, und rund 70 Prozent der Bevölkerung lebten in | |
Armut. Unvorstellbar für ein Land, in das im 20. Jahrhundert aufgrund | |
seines Ölreichtums Hunderte Milliarden Dollar flossen. | |
Als Begünstigte des Programms „Pioneros Pobladores“ bewacht sie im | |
Wochenrhythmus zusammen mit anderen ein Grundstück, das ihnen vor drei | |
Jahren von der Armee überlassen wurde. Seither hoffen sie darauf, mit | |
staatlicher Hilfe ein Gebäude mit 24 Wohneinheiten errichten zu können. Das | |
Grundstück liegt ganz in der Nähe des Boulevards Sabana Grande in einer | |
Mittelschichtsgegend mit Wohnhäusern, Geschäften, Boutiquen und | |
Restaurants. Eine Wohnung in Sabana Grande wäre für Diana Santana eine | |
immense Verbesserung ihrer Lebensqualität. | |
Vergangenen Samstag waren weder Schüsse noch das Stakkato von | |
Maschinengewehren zu hören. Auch keine dröhnenden Flugzeuge, die Bomben | |
abwarfen, und auf den Straßen lagen auch keine Leichen verstreut. Dennoch | |
erleben die VenezolanerInnen einen Krieg in niedriger Intensität, der ihnen | |
die Bedingungen diktiert, unter denen sie mit ihren Leben zurechtkommen | |
müssen. Auch bei der chavistischen Basis ist die Stimmung mehr als | |
angespannt. | |
Vielleicht spüren sie in der Hauptstadt der Republik die Not und den Mangel | |
an lebenswichtigen Dingen nicht so sehr, wie die Bevölkerung in der | |
Provinz, für die sie längst ein fester Bestandteil ihres alltäglichen | |
Leidens geworden sind. Denn in der Fünf-Millionen-Stadt sorgt die Regierung | |
mit Hochdruck dafür, dass der Strom nicht ausfällt, dass Gas und Wasser aus | |
den Leitungen strömen, dass der öffentliche Nahverkehr nicht zusammenbricht | |
und, so gut es eben geht, eine Normalität aufrecht erhalten bleibt. | |
## Reifung einer Bewegung | |
Doch Caracas war und ist ein Pulverfass. Sogar in der Nationalhymne heißt | |
es: „Folget dem Beispiel, das Caracas gab“ in klarer Anspielung auf den | |
Aufstand der Kolonie gegen die spanische Monarchie am 19. April 1810. Und | |
die Geister des „Caracazo“ quälen noch heute die Regierenden. Bei dem | |
Aufstand im Februar 1989 kamen nach offiziellen Angaben 276 Menschen ums | |
Leben, inoffizielle Schätzungen gehen von bis zu 3.000 Todesopfern aus. | |
Angesichts der Offensive der Opposition hätten die organisierten Gruppen | |
des Chavismus die Bevormundung der Regierung beiseite geschoben, sagt Diana | |
Santana. Die jüngsten Ereignisse hätten sie als politische Bewegung reifen | |
lassen. „Wir waren daran gewöhnt, nach den Vorgaben von oben zu handeln. | |
Jetzt haben wir uns von diesen Fesseln befreit, treffen eigene | |
Entscheidungen und marschieren als wahre Poder Popular, als Macht des | |
Volkes.“ Bedauerlicherweise würden jedoch selbst die offiziellen Radio- und | |
Fernsehsender nicht darüber berichten. Demnächst wollen sie vor die | |
Botschaften und Einrichtungen internationaler Organisationen protestieren. | |
Andere Gruppierungen würden dagegen ganz andere Aufgaben wahrnehmen. | |
„Einige gehen aufs Land und helfen dort beim Anbau von Nahrungsmitteln, um | |
etwas gegen die schwierige Versorgungslage zu tun.“ Die ist für sie die | |
Konsequenz der gesunkenen Staatseinnahmen – deren Ursache seien die | |
niedrigere Förderung und der Preisverfall von und beim Rohöl, aber auch die | |
US-Sanktionen. | |
Die angekündigte humanitäre Hilfe sieht sie mit gemischten Gefühlen. Die | |
Regierung habe nicht darum ersucht. „In Venezuela gibt es genügend | |
Nahrungsmittel, aber wegen der Hyperinflation nur zu horrenden Preisen.“ | |
Auch gäbe es genügend Finanzmittel um Medikamente im Ausland zu kaufen: | |
„Trumps Sanktionen verhindern, dass wir diese dafür nutzen können.“ Hier | |
zeige sich, dass alles Teil einer Strategie sei, um eine | |
Militärintervention zu rechtfertigen. | |
## Kein Garant der Revolution | |
Mit seinen 73 Jahren ist Robinson Toro schon im Rentenalter. Doch noch | |
immer geht er einer geregelten Arbeit nach. Toro ist langjähriges | |
PSUV-Mitglied und gehört zugleich zur „Célula Guerrillera de los años 60 | |
hermanos Pasquier“, einer Gruppe ehemaliger Guerilleros aus den 1960er | |
Jahren. Wöchentlich treffen sie sich und diskutieren die Lage. | |
„Dass sich Guaidó zum Präsidenten ernennt und die Anerkennung ausländischer | |
Regierungen sucht, hat mich nicht überrascht“, sagt er. Das sei nur ein | |
Teil der US-Strategie, die aber wegen des soliden Rückhalts des Volks für | |
den von Präsident Maduro angeführten revolutionären Prozesses nicht | |
aufgehen werde. „Mehrfach“, so betont Robinson Toro, „mehrfach hat die | |
Armee ihre Loyalität unter Beweis gestellt.“ | |
Für Ronny Reyes hingegen ist die Armee kein Garant der Revolution. „Die | |
oberen Ränge werden fest zur Regierung stehen, denn diese ist sehr darum | |
bemüht, dass es ihnen im Rahmen der allgemeinen Misere an nichts mangelt.“ | |
Dagegen litten die mittleren und unteren Dienstgrade wie der normale Teil | |
der Bevölkerung unter der Hyperinflation, der schlechten Versorgung mit | |
nahezu allem und der enormen Kriminalität. | |
Reyes ist ebenfalls PSUV-Mitglied. Der 51-Jährige steht fest zur | |
Revolution. Abends engagiert sich der Anwalt für Arbeitsrecht als | |
Juradozent in der „Misión Sucre“. Die „Misión Sucre“ ist ein | |
Bildungsprogramm, das die Regierung 2005 aufgelegt hat, und mit dem | |
versucht wird, den unteren Schichten eine höhere Bildung zu ermöglichen. | |
Doch im Gegensatz zu vielen, die ihre unverbrüchliche Solidarität mit der | |
Revolution bekunden, sieht Reyes die Regierung in einer sehr schwierigen | |
Lage. | |
Wegen der immer geringeren Einnahmen aus den Ölexporten und den gerade von | |
den USA darauf verhängten Sanktionen werde die Regierung immer weniger | |
Mittel für Bildungs- und Sozialprogramme haben. Gerade die aber bewirkten | |
den Rückhalt der unteren Schichten für die Revolution. „Gegenwärtig ist | |
alles noch einigermaßen stabil, aber wie wird es in ein paar Monaten | |
sein?“, fragt Reyes schulterzuckend. Dennoch, solange die Auswirkungen der | |
Krise die Basisaktivisten der Revolution nicht gegen die Wand drücken, | |
werde sich die Regierung, wenn auch mit Schwierigkeiten, halten können, | |
sagt er. | |
Übersetzung: Jürgen Vogt | |
9 Feb 2019 | |
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## AUTOREN | |
Oscar Torres | |
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