# taz.de -- Häusliche Gewalt: „Bin ich jetzt auch einer von denen?“ | |
> Eine Berliner Beratungsstelle hilft Tätern, einen Weg aus der Gewalt zu | |
> finden. Im Jahr 2018 haben sich dort 300 Männer Unterstützung geholt. | |
Bild: Eine junge Frau im Zimmer eines Frauenhauses | |
BERLIN taz | Im Juli dieses Jahres wurde Daniel T. zum Täter. Eine Rolle, | |
die er bisher nur aus Krimis kannte, wie er sagt. Der 38-Jährige hatte sich | |
angewöhnt, nach der Arbeit zu kiffen. Regelmäßig wurde deshalb gestritten. | |
Wie auch an diesem Freitag, als seine Ex-Partnerin das Marihuana fand und | |
ins Klo warf. | |
Daniel bekam einen Wutanfall, die Situation eskalierte: Er schubste seine | |
Ex-Partnerin von sich weg. So heftig, dass diese mit dem Kopf gegen einen | |
Marmortisch knallte und sich verletzte. Die Polizei wurde verständigt, es | |
folgte eine Anzeige. Seitdem ist es eine Frage, die den jungen Vater immer | |
wieder plagt, wie er zugibt: „Bin ich jetzt auch einer von ,denen'?“ | |
Jede dritte Frau in Deutschland hat schon einmal körperliche oder | |
sexualisierte Gewalt erlebt, oft durch den eigenen Partner. Die Berliner | |
Volkssolidarität hat deshalb mit [1][„Beratung für Männer – gegen Gewalt… | |
eine Einrichtung geschaffen, die sich gezielt an männliche Täter richtet. | |
Seit fast 20 Jahren werden dort Kurse für Männer angeboten, die allein | |
nicht von der Gewalt wegkommen. | |
Ein Sozialarbeiter und zwei Psycholog*Innen betreuen die Täter. Einer von | |
ihnen ist Projektleiter und Diplompsychologe Gerhard Hafner: „Bei uns | |
lernen die Männer, wie sie in bestimmten Situationen ruhiger agieren | |
können. Sie müssen lernen, Verantwortung für ihre Tat zu übernehmen. Bei | |
der Arbeit fängt man ja auch nicht an, seine Kollegen zu schlagen. Wieso | |
passiert das dann zu Hause bei der Partnerin? | |
## Ein Drittel kommt freiwillig, auch Daniel T. | |
Um die 300 Männer hätten sich in diesem Jahr bereits bei der Einrichtung | |
gemeldet – jeder Dritte von ihnen nimmt am Programm teil. Ein Drittel der | |
Täter wird von den Jugendämtern zur Beratungsstelle geschickt. Ein Drittel | |
von der Strafjustiz, und ein Drittel kommt freiwillig zur Einrichtung, | |
berichtet Hafner. | |
Zur letzteren Gruppe zählt auch Daniel. Drei Tage nach der Tat griff er zum | |
Hörer, um sich über die angebotenen Einzelgespräche und Gruppenkurse zu | |
informieren: „Ich wusste, es war alles meine Schuld. Und egal, ob diese | |
Frau jemals wieder mit mir sprechen würde, ich musste mir helfen lassen. | |
Das war ich ihr, den Kindern und auch mir selbst schuldig.“ | |
Seit Juli kommt Daniel einmal die Woche für ein Einzelgespräch zur | |
Beratungsstelle. „Die Tat zu leugnen ist nicht drin. Es ist wichtig, | |
aufzuarbeiten, wie es dazu kommen konnte“, berichtet der junge Mann. Schon | |
vor der Tat habe er gemerkt, dass es ein gefühltes Ungleichgewicht in der | |
Beziehung gibt, sagt Daniel. Grund dafür war neben seiner Sucht vor allem | |
das für ihn etwas schwierige Modell einer Patchworkfamilie. Beide Partner | |
haben außer dem gemeinsamen Kind bereits Kinder aus einer früheren | |
Beziehung. „Wir sind relativ schnell zusammengezogen. Es war toll, aber | |
sehr chaotisch“, sagt Daniel. | |
Seine Familie war ihm immer wichtig. Nach der Tat fiel es ihm schwer, mit | |
seinen Eltern, Freunden und den Kindern offen darüber zu sprechen, was | |
passiert ist: „Sie haben ja relativ schnell gemerkt, dass wir nicht mehr | |
zusammen sind. Angefangen habe ich das Gespräch immer mit: ,Wir haben uns | |
ganz heftig gestritten‘“, sagt Daniel fast schon flüsternd. „Erst dann h… | |
ich erzählt, was genau passiert ist.“ | |
## Stereotyper Gewalttäter? | |
Die Gruppenkurse bestehen aus 25 Sitzungen zu je zwei Stunden und finden | |
innerhalb eines halben Jahres statt. Die Täter tauschen sich dabei | |
untereinander aus, üben aneinander Kritik und lernen auch, sich gegenseitig | |
ein positives Vorbild zu sein. Zusammen werden kritische Situationen | |
durchgespielt, wie zum Beispiel ein Familienbesuch, bei dem die Situation | |
früher wegen Zwistigkeiten schnell eskalierte. „Es ist ein | |
Verhaltenstraining. Die Täter müssen lernen, in solchen Situationen | |
gezielt auf sich und ihren Körper zu achten. Und ruhig zu bleiben, auch | |
wenn sie gestresst sind“, erklärt Hafner. | |
Die Einzelgespräche sind ähnlich aufgebaut. Bevor ein Mann einen Kurs | |
machen kann, muss er bis zu drei Vorgespräche mit einem der Betreuer*Innen | |
führen. „Dort schauen wir, wieso der Täter bei uns ist und wie motiviert er | |
ist, etwas zu ändern.“ | |
Die Frage, ob es denn so etwas wie einen „stereotypen Gewalttäter“ gibt, | |
verneint Hafner: „Die Männer, die zu uns kommen, stammen aus vielen | |
verschiedenen Ländern, sozialen Schichten und Altersgruppen.“ Auch die | |
Anlässe der Gewalttaten seien unterschiedlich. Der einzige gemeinsame | |
Nenner der Täter ist das Geschlecht: „Dass Männer häufig gewalttätig | |
werden, hat mit ihrem Rollenverständnis zu tun. Sie können sich ,Schwächen' | |
weniger leicht eingestehen. Oft hängen die Taten mit Trennungen zusammen. | |
Oder sie haben Angst davor, allein zu sein.“ Die eigene Kindheit ist dabei | |
nicht entscheidend, sagt Hafner: „Einige Menschen, die als Kinder Gewalt | |
erlebt haben, können selbst zum Täter werden. Andere entwickeln sich genau | |
zum Gegenteil.“ | |
Neben seiner Neigung zu Gewalt will Daniel auch sein Drogenproblem | |
überwinden. Auch dafür hat er sich an eine professionelle Einrichtung | |
gewandt. Mittlerweile kann er auch wieder mit seiner Ex-Partnerin reden, | |
zusammen besuchen sie nun einen Mediationskurs. „Wir wollen es zumindest | |
auf der Elternebene wieder hinbekommen“, sagt Daniel. Heute fällt es ihm | |
auch leichter, über die Tat zu sprechen: „Es ist jetzt nichts, was man sich | |
auf ein T-Shirt druckt. Aber man muss akzeptieren, was passiert ist.“ Er | |
klingt von seinen Plänen überzeugt, als er diese Worte spricht. | |
29 Dec 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://www.volkssolidaritaet.de/berliner-volkssolidaritaet/beratung-hilfe/… | |
## AUTOREN | |
Irina Angerer | |
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