# taz.de -- Kinoempfehlung für Berlin: Filme, die strahlen | |
> Das Independent-Festival „Around the World in 14 Films“ in der | |
> Kulturbrauerei stellt an zehn Tagen herausragende Werke des jungen | |
> Weltkinos vor. | |
Bild: Ray & Liz (GB, 2018), R. Richard Billingham | |
Ray scheint sich von einem bräunlichen Gesöff zu ernähren, von dem ihm ein | |
bärtiger Riese regelmäßig drei volle Flaschen auf die Anrichte stellt. Sie | |
tragen kein Etikett und könnten etwas wie Rum mit Cola enthalten. Das | |
Geheimnis wird nicht gelüftet. Nur, dass etwas Alkoholisches der Mischung | |
beigemengt sein muss, daran bestehen recht bald keine Zweifel mehr. | |
Denn jener Ray in Richard Billinghams erstem langen Film, „[1][Ray und | |
Liz]“, erinnert nicht umsonst an den Mann, den sich Ende der Neunziger | |
zahlreiche Menschen in der berühmten Fotoserie „Ray’s a Laugh“ besahen: | |
Billinghams Vater, Alkoholiker mit wirrem Haar, Katzenwerfer. Richard | |
Billingham nahm die Fotos damals auf, landete einen riesigen Erfolg und | |
wurde sogar für den renommierten Turner Prize nominiert. | |
Dass dieser Richard Billingham nun auch ein begnadeter Regisseur ist, wird | |
in „Ray und Liz“ schnell deutlich. Der Film ist detailliert, stimmig und | |
zielsicher inszeniert und er ist durchsetzt von Episoden, die schrecklich, | |
tragisch und eklig sind, gleichzeitig aber auch sehr komisch. | |
Da pisst der Hund etwa auf einen Brief, der gerade durch den Türschlitz | |
gesteckt wurde, und Ray – dieses Mal in einer jüngeren Version, denn der | |
Film operiert auf zwei Zeitebenen – platziert ihn, nachdem er ihn ein wenig | |
abgeschüttelt hat, einfach unter den Stapel anderer Briefe in einer | |
Schublade. Ungelesen. Noch immer nass. | |
Eine kleine Anekdote, herausgegriffen aus diesem britischen | |
Working-Class-Albtraum, in dem von der Straße aufgepickte Zigarettenstummel | |
in einem Glas auf ihr letztes Streichholz warten, Kaninchen im Kinderwagen | |
durch den Park gefahren werden und Kinder in schmutzigen Klamotten | |
unterwegs sind. | |
Es ist erstaunlich – und absolut sehenswert –, wie der mittlerweile längst | |
entwachsene Spross auf seine Familie und das Milieu blickt, dem er | |
entstammt: nahezu objektiv. Dazu arbeitet er mit einem wundervollen | |
Soundtrack, der sich über Siouxsie and the Banshees, Dusty Springfield, | |
Musical Youth und The Fine Young Cannibals erstreckt. | |
„[2][Around the World in 14 Films]“ heißt das Festival, das „Ray & Liz“ | |
noch vor Kinostart auf die Leinwand bringen wird, und zwar die der | |
KulturBrauerei, dem Hauptveranstaltungsort. Vierzehn Filme aus vierzehn | |
unterschiedlichen Ländern, zumeist Festival-Picks aus Venedig, Locarno, | |
Cannes oder Toronto, die bereits einen gewissen Schweif der Anerkennung | |
tragen, sich in die Gunst von Publikum, Fachleuten und Jurys spielen | |
konnten. | |
Einen solchen besitzt auch „[3][Our Time]“ von Carlos Reygadas. Und nicht | |
nur er, sondern auch Reygadas selbst, den das British Film Institute 2016 | |
als „the one-man third wave of Mexican cinema“ bezeichnet hat. Bis auf „O… | |
Time“, bzw. „Nuestro Tiempo“, waren alle seine Langfilme in Cannes zu | |
sehen, wurden dort mit Preisen ausgezeichnet und haben dem 47-Jährigen den | |
Ruf eingebracht, einer der interessantesten Filmemacher der Gegenwart zu | |
sein. | |
Davon lässt sich in den knapp drei Stunden, die „Our Time“ sich nimmt, | |
überzeugen. Im Grunde ist es die Geschichte einer Ehe, die von sich | |
behauptet, liberal und bedingungslos zu sein, die durch das Auftauchen | |
eines Fremden jedoch mit dem eigenen toten Winkel konfrontiert wird. | |
Das Paar, bestehend aus Juan (Carlos Reygadas) und Esther (Reygadas Ehefrau | |
Natalia Lopez), hat seinen gemeinsamen Lebensmittelpunkt auf eine luxuriöse | |
Farm konzentriert. Juan ist jedoch mehr als ein gewöhnlicher Rinderzüchter | |
– er ist auch ein mit Auszeichnungen dekorierter Dichter. | |
Als Phil (Phil Burgers), ein Zureiter, aber auf der Bildfläche auftaucht, | |
entspinnt sich – auf dem Rücken von Esther – ein Wetteifern, das zunächst | |
den Anschein erweckt, als ginge es beiden Männern um die Liebe zu ihr. | |
Nach und nach aber wird deutlich, dass hier vor allem zwei Bullen | |
aufeinander zurennen, auch wenn der kluge Mann sich den Einsatz von Hörnern | |
zu verkneifen weiß, anders zu taktieren versteht. „Our Time“ feiert im | |
Rahmen des Festivals Deutschlandlandpremiere, bevor er im kommenden Jahr | |
von Grandfilm ins Kino gebracht wird. | |
Eine echte Liebesgeschichte gibt es dafür in Wanuri Kahius „[4][Rafiki]“ zu | |
sehen, nämlich eine von nahezu shakespeareschem Ausmaß: zwei junge | |
Kenianerinnen, Kena und Kiki, Töchter von Politikern im Wahlkampf, | |
verlieben sich ineinander. | |
Neben verfeindeten Familien gesellen sich in „Rafiki“ (das Wort kann u. a. | |
mit „Freundin“ übersetzt werden) aber auch Homophobie, | |
Geschlechterstereotype und Aberglaube hinzu. Ein demotivierendes Gemenge, | |
dem der Film einiges entgegensetzt, auch visuell: Er strahlt. | |
Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg | |
immer Donnerstags in der Printausgabe der taz | |
21 Nov 2018 | |
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## AUTOREN | |
Carolin Weidner | |
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