Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Museumsfriedhof in Tirol: „Schi im Schuss – dann war Schluss“
> Mit seinen skurrilen Sprüchen ist der Museumsfriedhof in Kramsach eine
> Touristenattraktion. Bitterböse sind einige Inschriften auf den
> Grabkreuzen.
Bild: Böse und skurril: Inschrift auf einem Grabkreuz im Kramsacher Museumsfri…
Es ist keine Trauergemeinde, die den Friedhof im tirolerischen Kramsach
besucht. Ein Bus mit niederländischem Kennzeichen hat die Leute
hergebracht. Sie kommen, um zu staunen. Sie wundern sich. Manche sind
empört und schockiert, andere lachen. Schließlich handelt es sich nicht um
einen normalen Friedhof. Hier hat noch nie eine Beerdigung stattgefunden.
Und doch ragen Dutzende eiserne Grabkreuze, die in Österreich „Marterln“
heißen, aus dem kleinen Park.
Der Museumsfriedhof in Kramsach kommt ganz ohne Tote aus und ist eine
Attraktion, weil er skurrile und verrückte, witzige und geistreiche, vor
allem aber erschütternd ehrliche Abschiedssprüche bereithält. Sie stehen
auf den blumigen Tafeln oder vergilbten Schildern der Kreuze, die im 18.
und 19. Jahrhundert vor allem im Alpenraum aufgestellt wurden und in
Kramsach ihre letzte Ruhestätte gefunden haben.
„Mit Schi im Schuss – dann war Schluss.“ Bei einem Rundgang laufen die
Todesursachen wie Slapstickfilme vor dem geistigen Auge ab. Die Menschen
werden von einer Kuh erdrückt oder sterben am selbstgebrauten Bier. Und
doch zählen diese Sprüche noch zu den harmlosen. Saftiger wird es, wenn man
dem Verblichenen noch eine letzte Watsch’n mitgibt: „Hier schweigt Johanna
Vogelsang, sie zwitscherte ihr Leben lang.“
Scherz und Schmerz liegen eng beisammen, hinter den lustigen
Grabinschriften verbergen sich Tragödien von ungehörigem Ausmaß. „Hier
liegt die Jungfer Rosalind, geboren als unerwünschtes Kind, ihr Vater war
Kapuzinerpater.“ Etwas holprig zwar, aber die Geschichte der armen Rosalind
könnte man allemal zu einer Soap verfilmen. So manches Dasein lässt sich in
drei Worten zusammenfassen: „Aufigschtiegn, obagfalln, hingwösn.“
Aufgestiegen, gefallen, verstorben.
Wer über die Phase des Fremdschämens hinausgekommen ist, fragt sich, wie
die pietätlos wirkenden Sprüche in einer erzkatholischen Region in Mode
kommen konnten. Natürlich haben sich auch Kirchenforscher damit befasst und
vor allem das damalige Verhältnis zum Ableben unter die Lupe genommen. „Vor
gut 100 Jahren hatten die Menschen eine ganz andere Beziehung zu Tod und
Sterben“, heißt es im Rupertusblatt, der Wochenzeitung der Erzdiözese
Salzburg. „Man bediente sich Sprüchen […], um den nahen Tod zu verdrängen
oder zumindest abzuflachen.“ Und weiter: „Das lustig Spielerische ließ
Distanz zum Geschehen zu.“
Die Wissenschaftlerin Alina Timofte hat sich in „Der letzte Kracher: Komik
in der Sepulkralkultur“ intensiv mit den ersten Sammlungen scherzhafter
Grabinschriften befasst, die bereits Anfang des 17. Jahrhunderts
erschienen.
## Kinder, Weib und Orgel
Sie beschreibt die „Technik, aus dem Namen Fallhöhe für Komik zu gewinnen �…
mit dem Ergebnis: Verulkung des Berufs“. Interessanterweise nennt sie als
explizites Beispiel einen Spruch, der auch in Kramsach zu finden ist: „Hier
liegt Martin Krug, der Kinder, Weib und Orgel schlug.“
So mancher Lehrer im Alpenraum erhielt einen ähnlich lautenden
Abschiedsgruß. Natürlich hat sich auch Hans Guggenberger, Chef des
Open-Air-Museumsfriedhofs, Gedanken über jeden einzelnen Spruch gemacht und
festgestellt: „Die Leute waren früher eben sehr ehrlich und haben die
Wahrheit gesagt.“ Motto: So war der Verblichene, und so wird’s
draufgeschrieben. Fertig.
Guggenberger ist Steinmetz und Bildhauer und hatte auf dem Minihügel
ursprünglich nur ein paar Mustergrabstätten errichtet. Dann fielen ihm die
ersten Eisenkreuze mit derben Abschiedssprüchen in die Hände, und er
startete seine öffentliche Schau. Klar, dass ihm bald schon Denkmalamt und
Kirche in die Parade fuhren, die den „Juxfriedhof“ schließen wollten.
## 500 Jahre Grabeskunst
Er habe sich die Sprüche selbst ausgedacht und angebracht, um die
Aufmerksamkeit auf sich und seinen Steinmetzbetrieb zu lenken. Dabei ist
nach Angaben des 68-Jährigen kein einziges Fakekreuz dabei. Dennoch ließ
sich Guggenberger auf einen Deal ein. Er angelte sich Zuschüsse und
gestaltete damit eine politisch und religiös korrekte Ausstellung, die im
benachbarten Arkadenhof untergebracht ist. Dort lehnen nun 70 chronologisch
gereihte Kreuze an der weißen Wand, die einen Überblick über 500 Jahre
Grabeskunst in Tirol und im Alpenraum geben.
Früher musste Guggenberger die Friedhöfe abgrasen, um an wertvolle Stücke
zu gelangen. Jetzt, im Internetzeitalter, läuft sein E-Mail-Postfach
ständig mit Angeboten voll. Es gibt kaum Sammler, aber viele, die die alten
Eisengestelle loswerden wollen. Für wertvolle Exemplare legt Guggenberger
schon mal 4.000 Euro hin. Die Restaurierung kann noch mal so viel Geld
verschlingen. Der Platz unter freiem Himmel reicht längst nicht mehr aus.
Der Tiroler hat mehrere Lagerräume gefüllt. Dort hängen säuberlich
aufgereiht, nummeriert und katalogisiert rund 1.000 Grabkreuze.
Guggenberger: „Wenn die alle reden könnten, dann wäre hier der Teufel los.�…
Sie schweigen, sorgen aber für Gesprächsstoff. Während des Rundgangs sind
Bustouristen eingetroffen. Sie rufen sich quer über den Friedhof ihre
Interpretationen zu. Es gibt kaum Beschwerden. Selbst eingefleischte
Katholiken müssen sich nach einiger Zeit auf dem Friedhof eingestehen, dass
sich der Tod mit Humor und einem Lachen besser verarbeiten lässt. 180.000
bis 200.000 Touristen kommen nach Angaben von Guggenberger jedes Jahr, um
sich den lustigen Friedhof reinzuziehen. Damit wäre die Freiluftschau eine
der meistbesuchten Attraktionen in Tirol.
Man dürfe dem Ableben nicht so viel Beachtung schenken, meint der
Kramsacher Museumschef Guggenberger. Er habe keinerlei Vorbereitungen
getroffen. Einen Kopf habe er sich nur gemacht, um den passenden Grabspruch
für sich zu finden: „Wanderer, steh still und weine, hier ruhen meine
Gebeine. Ich wollt’ es wären Deine.“
3 Nov 2018
## AUTOREN
Christian Schreiber
## TAGS
Reiseland Österreich
Trauer
## ARTIKEL ZUM THEMA
Digitale Friedhöfe: Heute schon getrauert?
Wenn Heini Rudeck eine Kerze für seine Freundin Ingrid anzünden will, geht
er nicht auf den Friedhof. Er setzt sich einfach an den Computer.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.