# taz.de -- Oscar-nominierte Regisseurin über ihre Arbeit: „Ich tendiere daz… | |
> Katja Benraths Abschlussfilm an der Hamburg Media School war für den | |
> Kurzfilm-Oscar nominiert. Das hat ihr Leben auf den Kopf gestellt. | |
Bild: Einst Oscar-Hoffnung, jetzt Spielfim-Regisseurin: Katja Benrath | |
taz: Frau Benrath, seit der Nominierung ihres Abschlussfilms „Watu Wote – | |
All of us“ für den Kurzfilm-Oscar stürmt viel auf Sie ein. Kommt da die | |
Seele hinterher? | |
Katja Benrath: Ich befürchte, dass sie nicht so gut hinterherkommt. Ich | |
glaube, dass ich sie wieder etwas mehr ins Boot holen darf. | |
Sie wurden in Unterfranken geboren und sind in Lübeck aufgewachsen – in | |
einer großen Familie. | |
Meine Eltern haben zusammen vier Kinder. Nach dem Fortzug nach Lübeck – ich | |
war damals neun – hat meine Mutter mit ihrem neuen Partner noch zwei Kinder | |
bekommen. Wir waren also zu Hause sechs Geschwister, da lernt man | |
Teamplaying. Ich bin superfroh, dass wir nach Lübeck gekommen sind. Im | |
Vergleich zum kleinen Stockstadt war das für mich die perfekte Stadt, um | |
kulturell zu wachsen. | |
Kultur hieß für sie als Kind und Jugendliche: Theater! | |
Sobald ich lesen konnte, habe ich jede Geschichte mit meinen Freundinnen | |
oder meinen Schwestern nachgespielt. Im Theaterkurs des Katharineums, | |
meiner Schule, habe ich in der sechsten Klasse angefangen zu spielen, zu | |
singen, aber auch Kostüme zu nähen und Bühnenbilder zu bauen. Mich hat | |
immer auch diese handwerkliche Seite interessiert und ein ganzheitlicher | |
Zugang zum Theater. Ich habe schnell festgestellt, dass das deutlich | |
wichtiger ist als jede Form von Schule. Das war mein Leben. | |
Nach der Schule sind Sie ans Theater gegangen, doch nicht als | |
Schauspielerin. | |
Ich wusste, ich muss ans Theater, sonst drehe ich durch. Aber ich hatte | |
nicht das Selbstvertrauen, Schauspielerin zu werden. Da Nähen eine große | |
Leidenschaft von mir war, habe ich dann zweieinhalb Jahre an den | |
Wuppertaler Bühnen Schneiderin gelernt und unter anderem für Tina Bausch | |
genäht. | |
Theater war wichtig, Film noch nicht? | |
Überhaupt nicht. Im Theater steckte für mich auch alles drin. Diese | |
gemeinsame Aufregung vor der Vorstellung, das Hinfiebern, die Freude, das | |
Schönste, Beste, Tollste dem Publikum zu schenken. Dieser Zusammenhalt war | |
mein Zauber. Ich wollte nicht zum Film. Meine Mutter hat uns Kinder vom | |
Fernsehen ferngehalten. Ich hatte so zunächst wenig Möglichkeiten, mich mit | |
dieser Kunstform anzufreunden. | |
Ihre nächste Station war das Schauspielstudium in Wien. Da war das | |
Selbstvertrauen da, diesen Weg einzuschlagen?! | |
Ich habe diesen Gedanken in der Schneiderlehre immer weiter bewegt und dann | |
habe ich eine Wette verloren. Mein Einsatz war: Wenn ich verliere, muss ich | |
am Max Reinhardt-Seminar in Wien vorsprechen. Ich bin da auch | |
weitergekommen, selbst wenn es am Ende nicht ganz geklappt hat. Das hat mit | |
aber den Mut gegeben, es weiter zu versuchen. Wenn schon Schauspiel | |
studieren, dann in Wien, das fand ich cool. Am Vienna-Konservatorium hat es | |
dann geklappt. Ich habe mich in Wien verliebt und bin da zwölf Jahre lang | |
geblieben. | |
Haben Sie während der Ausbildung gemerkt, dass es Ihnen noch wichtiger ist, | |
eine Geschichte zu erzählen, als in eine Rolle reinzugehen? | |
Dass wusste ich schon immer. Auch in der Schule war ich ja in allen | |
Departements zu finden, um dazu beizutragen, dass die Geschichte gut | |
erzählt wird. Mit dreizehn wollte ich mein eigenes Theater, wo ich alles | |
machen kann. | |
Ihr Studium endete 2006, doch Sie blieben in Wien. | |
Nach dem Studium fand ich mich nicht zurecht. Ich mag diesen ganzen | |
Smalltalk nicht, ich mag nicht auf Premierenfeiern gehen, um „wichtige“ | |
Leute zu treffen. Und das schien plötzlich dazuzugehören, um irgendwo | |
hinzukommen. | |
Dann kam der Kurzfilm. | |
Ein guter Freund, Florian Hirschmann, der sich gefühlt seit seiner Geburt | |
für Film interessiert und alles darüber weiß, fragte mich: Warum machen wir | |
nicht mal einen Kurzfilm zusammen? Nach dem ersten Kurzfilm „Puppenspiel“ | |
habe ich gemerkt: Das will ich weitermachen. Plötzlich hatte ich wieder das | |
Gefühl, dass ich an allem beteiligt bin und von mehreren Seiten eine | |
Geschichte unterstützen kann. Das hat mich fasziniert und so haben wir das | |
nächste Projekt gestartet. | |
2014 endete Ihre Zeit in Wien | |
Beruflich stagnierte es. Ich habe mich mit verschiedenen Theaterprojekten, | |
gelegentlichen Fernsehauftritten und Werbeengagements über Wasser gehalten. | |
Die Devise war, dass man sich irgendwie mit Kommerz das Geld verdient, um | |
Kunst machen zu können. Ich hatte mich schon länger mit dem Gedanken | |
getragen, nach Deutschland zurückzugehen, auch um näher an meiner Familie | |
zu sein. Ich wollte in den Norden, mit Mitte dreißig noch mal studieren, | |
aber nicht so lange. So habe ich mich nur bei der Hamburg Media School | |
beworben. Ich wollte irgendwann in einem Leben ankommen, wo ich einen Beruf | |
ausübe. | |
Wie kommt man dazu, so ein ambitioniertes Abschlussprojekt wie den Film | |
Watu Wote zu machen, der in Kenia spielt? | |
Der Schulleiter hat unserem Team einen Zeitungsartikel geschickt, über die | |
Begebenheit, die Watu Wote zugrunde liegt. Ich bekam eine | |
Ganzkörpergänsehaut, denn dieses Thema hat so viel mit meinem Wunsch zu | |
tun, dass Menschen solidarisch sind und sich gegenseitig unterstützen. | |
In dem Film, der auf einer wahren Begebenheit beruht, stellten sich bei | |
einem Überall islamistischer Milizen auf einen Bus die muslimischen | |
Passagiere schützend vor die Christen. | |
Dass sie das in so einer Extremsituation konnten, hat mich tief | |
beeindruckt. Ich fand das Thema universell und superwichtig. Es gibt solche | |
Geschichten, die unbedingt erzählt werden wollen. | |
Sie haben davor gewarnt, eine solche Geschichte zu kolonialisieren. Was | |
heißt das und wie bannt man so eine Gefahr? | |
Ich habe mich gefragt: Wie erzähle ich als Deutsche, mit einem entsprechend | |
geprägten kulturellen Hintergrund, eine Geschichte authentisch, die sehr | |
weit weg von meiner eigenen Kultur ist. Wir sind als Team sechs Wochen nach | |
Kenia gefahren, um dort zu recherchieren und herauszubekommen: Findet es | |
die kenianische Filmbranche eigentlich toll, dass da deutsche Studenten | |
kommen und diesen Film drehen? Wir haben eine unglaublich lebendige, | |
pulsierende Filmbranche vorgefunden, der es auch darum geht, sich mit Kunst | |
gesellschaftlich einzubringen und etwas zu verändern. Die Zusammenarbeit | |
war sehr intensiv, wir wollten gemeinsam die Frage beantworten: Wie lässt | |
sich das erzählen? | |
Haben Sie geahnt, welchen Zuspruch dieser Film erhält? | |
Darüber habe ich mir damals keine Gedanken gemacht. Was ich allerdings beim | |
Drehen gespürt habe, ist die unglaubliche Kraft, die bestimmte Momente | |
hatten. Momente, die mir am Set Gänsehaut über den ganzen Körper gejagt | |
haben. Das Team hat in Zelten geschlafen und wir haben nächtelang beim | |
Feuer geredet, Deutsche und Kenianer, Christen und Muslime. Dadurch ist ein | |
Zusammenhalt und eine Kraft entstanden, die für mich im Film spürbar ist. | |
Die Resonanz kann Sie nicht kalt gelassen haben! | |
Ich will Preise nicht kleinreden. Ich drehe nicht deswegen, aber ich nehme | |
es als Wertschätzung an. Ich mache Filme für ein Publikum. Deshalb sind | |
Publikumspreise meine Lieblingspreise. Wenn der Film anrührt oder Mut | |
macht, Zivilcourage zu zeigen, dann verschafft mir das die tiefste Freude. | |
Den Studenten-Oscar haben sie Open-Air gefeiert. | |
Es war ein Zuhause-Tag, in Barmbek-Süd, und ich hatte meine | |
Pyjama-Gemütlichkeitshose an. Dann kam ein Anruf aus den USA und ich | |
verstand kaum etwas in der Wohnung. Dann stand ich mitten auf der Straße, | |
weil da der Empfang am besten war. Ich wurde sogar angehupt. Als ich | |
begriff, dass wir einen der drei Studenten-Oscars gewinnen, war ich so | |
aufgeregt, dass ich nicht begriffen habe, dass ich noch meinen Schlafanzug | |
trage und die ganze Zeit rumhüpfe. | |
Wie passt Ihr Bedürfnis nach Authentizität und Loyalität in ein Business, | |
dem man zuschreibt, ein Jahrmarkt der Eitelkeiten zu sein? | |
Es ist ein Ankommen in einer Branche, die ich noch gar nicht so gut kenne. | |
Ich wünschte, es gäbe eine Gebrauchsanleitung. Ich möchte meinen Glauben | |
daran, dass das Miteinander funktioniert, niemals aufgeben. Ich hoffe und | |
glaube fest daran – denn anders gehe ich vor die Hunde – dass es | |
Konstellationen gibt, in denen die Menschen auch in dieser Branche, loyal, | |
authentisch und solidarisch miteinander arbeiten. | |
Haben Sie Angst, von diesem Business verschluckt zu werden? | |
Ich tendiere dazu, mich verschlucken zu lassen und komplett zu versinken. | |
Abgrenzung ist das Allerwichtigste, was ich gerade zu lernen habe. | |
Erzählen Sie über Rocca, Ihren ersten Spielfilm, der im Frühjahr | |
herauskommt. | |
Rocca ist elf Jahre alt und ein Mädchen, das komplett von woanders kommt, | |
mit anderen Werten aufgewachsen ist. Sie kommt nach Hamburg und trifft auf | |
ganz viele Dinge, die für uns normal sind, die sie aber nicht versteht. Sie | |
hinterfragt alles mit diesem unschuldigen, frischen Blick. Sie sieht etwa | |
Obdachlose und fragt sich, warum ihnen niemand hilft, oder sie erlebt in | |
ihrer Schule gegenseitiges Mobbing. Rocca entscheidet sich, dass zu | |
verändern, weil sie es so nicht stehen lassen kann. | |
Sie haben bislang Geschichten mit großer Schwere erzählt. Probieren Sie mit | |
Rocca eine neue, leichtere Handschrift? | |
Rocca hat sehr tiefgründige Momente, aber die leichten Momente überwiegen. | |
Es ist das erste Mal, dass ich einen Film mit lustigen Elementen erzähle – | |
und bisher glaube ich, dass das gelingt. | |
Reizt Hollywood, wenn der richtige Stoff kommt? | |
Das wichtigste ist in der Frage schon drin. Wenn der richtige Stoff aus | |
Timbuktu oder Wanne-Eickel kommt, dann werde ich da sein. Und so ist es | |
auch mit Hollywood. Ich mag das Gefühl, eine Geschichte möchte, dass ich | |
beitrage, sie zu erzählen. | |
Was ist Ihnen für die nahe Zukunft am wichtigsten? | |
Ich möchte unbedingt mit jeder Faser meines Daseins leben und diese Kraft | |
in Projekte stecken, die mich bewegen. Mit voller Seele zu arbeiten und | |
begeistert sein dürfen, und das in einer wertschätzenden Umgebung, denn | |
dann bin ich am besten. Und ich möchte es schaffen, liebevoll für mich zu | |
sorgen, denn ich nütze niemandem etwas, wenn ich mich zermahlen lassen. | |
7 Nov 2018 | |
## AUTOREN | |
Marco Carini | |
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Kurzfilm | |
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