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# taz.de -- Interview mit HDP-Politiker: „Es wird um Deals gehen“
> Kurz vor dem Erdoğan-Besuch ist eine HDP-Delegation nach Berlin gereist.
> Mithat Sancar erklärt, warum dieses Treffen beide Länder auf die Probe
> stellen wird.
Bild: „Wir erwarten nicht, dass Deutschland uns rettet“, sagt HDP-Politiker…
taz.gazete: Herr Sancar, vergangene Woche war eine Delegation von
HDP-Abgeordneten in Berlin. Ist es Zufall, dass dieser Termin unmittelbar
auf die Woche vor den Erdoğan-Besuch fiel?
Mithat Sancar: Unser Besuch wurde bereits vor den Präsidentschaftswahlen im
Juni geplant, da war von dem Erdoğan-Besuch in Deutschland noch gar nicht
die Rede. Es war die erste Woche nach der Sommerpause des Parlaments und
wir waren bei der Eröffnungssitzung der Fraktionen der Linken und der
Grünen dabei. Auch mit Vertreter*innen von CDU und SPD fanden Gespräche
statt und wir hatten Termine in den Büros von Bundespräsident Frank-Walter
Steinmeier und Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Was stand auf der Tagesordnung?
Ursprünglich ging es uns um einen allgemeinen Austausch mit Vertreter*innen
der deutschen Regierung und zivilgesellschaftlichen Organisationen. Aber
schlussendlich ging es in den Gesprächen vor allem um die Annäherung
zwischen den beiden Ländern und um den türkischen Staatspräsidenten.
Welche Fragen treiben die Öffentlichkeit und die politische Szene in
Deutschland vor dem Merkel-Erdoğan-Treffen um?
In regimekritischen Kreisen herrscht der Eindruck, dass es bei dem Treffen
um Deals gehen wird. Verhandlungen über Wirtschaftsbeziehungen, Migration
und Sicherheitsfragen im Rahmen der Idlib-Operation, während Themen wie
Demokratie und Menschenrechte wohl eher vernachlässigt werden.
Und wie beurteilt die HDP die Annäherung zwischen der türkischen und
deutschen Regierung?
Der Dialog in den zwischenstaatlichen Beziehungen muss fortgesetzt werden.
Wir denken nicht, dass keine Gespräche stattfinden sollten, aber wir teilen
die Sorge der kritischen Öffentlichkeit, dass es vor allem um Deals gehen
wird. Solange das autoritäre Regime in der Türkei erstarkt und Demokratie,
Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit ausgesetzt sind, halten wir
Annäherungsgespräche, bei denen diese Punkte nicht thematisiert werden,
absolut nicht für richtig.
Natürlich kann man über Wirtschaftsbeziehungen, Flüchtlinge und
Sicherheitsthemen reden. Allerdings sollten diese Themen nicht Gegenstand
von Deals sein, vielmehr sollte diese Art der Gespräche im Rahmen
humanistischer Werte stattfinden. Die Normalisierung der Beziehungen darf
nicht zu einem Nachteil für die Bevölkerung in der Türkei oder geflüchtete
Menschen werden.
Aber die türkische Wirtschaft steckt in Schwierigkeiten und Erdoğan liebt
Verhandlungen.
Die AKP spricht wieder von einem EU-Beitritt. Nach drei Jahren
Unterbrechung trat jetzt die Reform-Aktions-Gruppe wieder zusammen, die
gegründet worden ist, um den Beitrittsprozess zu forcieren. Allerdings geht
es der Erdoğan-Regierung dabei nur um die Wirtschaft. Die Beziehungen zur
EU kommen nur auf den Tisch, weil man die Modernisierung der Zollunion
anstrebt. Und das Thema Flüchtlinge muss für die Verhandlungen über
Visafreiheit herhalten. Wäre die Lage nicht so desaströs, würde Erdoğan
nicht auf Deutschland und die EU zugehen. Das ist der Öffentlichkeit und
den Politiker*innen in Deutschland bewusst.
Wie wird sich die deutsche Regierung hierzu positionieren?
Dass Deutschland Erdoğans Credo „Arbeit ist Arbeit, Geschäft ist Geschäft,
Politik ist Politik“ akzeptiert, ermöglicht dem türkischen
Staatspräsidenten seine Politik dreist weiter zu betreiben. Eine
Partnerschaft auf dieser Basis widerspricht dem Anspruch, ein
demokratisches Land zu sein, ebenso wie den Verpflichtungen, die es im
Rahmen seiner institutionellen Mitgliedschaften hat. Wenn die Annäherung
demokratische Werte, rechtsstaatliche Normen und Menschenrechte beiseite
lässt, ist die deutsche Regierung mitverantwortlich. Für
Menschenrechtsverletzungen, den Abbau von Rechtsstaatlichkeit und die
Entfernung von der Demokratie in der Türkei wird sie dann auch die Rechnung
präsentiert bekommen.
Falls aber diese Annäherungen den zunehmend faschistischen Tendenzen in der
türkischen Politik einen Riegel vorschieben sollten, dann freuen wir uns
darüber. Ebenso würden wir es begrüßen, wenn Erdoğan die ihm in der
Beobachtungsphase fair gestellten Aufgaben wiederum fair erfüllt. Wir
werden uns die Ergebnisse der Gespräche anschauen.
Was wird konkret aus den Gesprächen folgen?
Zunächst könnten wir erleben, dass in der Türkei inhaftierte deutsche
Staatsbürger*innen freikommen, um die deutsche Öffentlichkeit zu
beschwichtigen. Die symbolischen Verhaftungen, wie der regierungsnahe
Journalist Abdülkadir Selvi sie nannte, dürften enden. Das aber heißt noch
lange nicht, dass die Türkei oder die Erdoğan-Regierung auf einem guten Weg
wären. Im Gegenteil, es würde einmal mehr beweisen, wie willkürlich die
Regierung handelt.
Birgt das nicht für beide Länder ein großes Risiko?
Sobald die Honeymoon-Stimmung abklingt, wird man in der Türkei erneut zu
denselben Methoden greifen. Das weiß die demokratische Öffentlichkeit in
der Türkei. Und in der deutschen Öffentlichkeit herrscht wenig Vertrauen in
einen Staatschef, der noch vor wenigen Monaten der gesamten deutschen
Politik eine Nazi-Geisteshaltung vorgeworfen hat und heute sanfte
Botschaften sendet, als wäre nie etwas gewesen. Der Besuch Erdoğans wird
beide Länder in vielerlei Hinsicht auf die Probe stellen.
Inwieweit wurden Ihre Erwartungen erfüllt?
Uns geht es vor allem um die kriegstreiberische Politik in der Türkei und
in Nahost. Wir lehnen jede Form von Beziehungen ab, die das fördern und
ermutigen. In der Türkei ist unser Hauptziel der demokratische Kampf. Wir
kämpfen unter extrem ungleichen Bedingungen. Bei diesem Kampf setzen wir
vollkommen auf uns selbst, wir erwarten von niemandem Zauberkräfte. Wir
sind nicht so naiv und unpolitisch zu erwarten, dass die Türkei mit einer
Intervention von außen demokratisiert werden könnte.
Andererseits betrachten wir die Unterstützung für Erdogan, die sich
demokratisch nennende Regierungen sich aus verschiedenen Gründen leisten,
als einen Faktor, der die Ungleichheit in der Türkei vertieft. Ganz klar,
wir erwarten nicht, dass Deutschland uns rettet. Aber wir sind auch
dagegen, dass Deutschland sich als Retter Erdoğans aufspielt.
Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe
20 Sep 2018
## AUTOREN
Erk Acarer
## TAGS
taz.gazete
Politik
Schwerpunkt Angela Merkel
Schwerpunkt Türkei
Recep Tayyip Erdoğan
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