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# taz.de -- Ausstellung im Museum Rietberg: Zum Drachen werden
> In Zürich sind bedeutende Bilder des japanischen Malers Nagasawa Rosetsu
> zu sehen. Sie hängen erstmals in einem europäischen Museum.
Bild: Affe auf Fels von Nagasawa Rosetsu (1754-1799), aus der besprochenen Auss…
In einem seiner Aufsätze über den Zen-Buddhismus erläutert der japanische
Autor Teitaro Suzuki die Methode des Zen anhand einer Anekdote: Der Abt
eines Klosters erteilt einem Künstler die Aufgabe, die Decke mit einem
Drachen zu schmücken. Als der Künstler beklagt, dass er noch nie einen
Drachen gesehen habe, rät der Abt ihm, sich selbst in einen Drachen zu
verwandeln: „Konzentriere deinen Geist darauf. Die Zeit wird kommen, wo du
fühlst, dass du einen Drachen malen musst. Das ist der Augenblick, wo du
zum Drachen geworden bist.“
Ein Drache, der auf diese Weise entstanden sein könnte, ist aktuell im
Museum Rietberg in Zürich zu bewundern. Über sechs aus feinem Papier
gefertigte Schiebetüren erstreckt sich schemenhaft der Körper des
Fabelwesens, das im Buddhismus das Yang verkörpert. Oberhalb seiner
aufgeblähten Nüstern erstreckt sich langes, gezwirbeltes Barthaar, vor
seinem verschwommenen Körper schweben scharf konturierte Nebelschwaden, im
Hintergrund verschmelzen gebirgsähnliche Formationen mit den Zacken seines
Schwanzes und Geweihs.
Der Legende nach hat der japanische Künstler Nagasawa Rosetsu (1754–1799)
jenen Drachen und seinen Gegenpart, einen das Yin verkörpernden Tiger, in
nur einer Nacht an die Wände des Altarraums im Zen-Tempel Muryōji gemalt.
Wer den beiden Tieren begegnet, versteht, woher jene Geschichte rührt:
Sowohl der zum Sprung geduckte Tiger als auch sein Gegenüber verkörpern
eine solche Dynamik, dass sie aus einem drängenden Impulsmoment heraus
entstanden scheinen.
Möglich war eine solche Begegnung bislang nur für Japanreisende. Die Werke
aus dem Jahre 1786 zählen in Japan als wichtiges Kulturgut, ihre Ausfuhr
ist kompliziert. Dem Züricher Museum Rietberg ist es nun erstmals gelungen,
sie nach Europa zu holen. Da der Muryōji-Tempel an der Westküste Japans
momentan renoviert wird, sind seine eindrucksvoll gestalteten Schiebetüren
nun für acht Wochen im Museum für außereuropäische Kulturen zu sehen.
## Daoistische Unsterbliche und elegante Kraniche
Zu Tiger und Drache gesellen sich spielende chinesische Kinder, blühende
Rosen, über das Wasser schreitende daoistische Unsterbliche und elegante
Kraniche, deren Federwerk durch wenige beherzte Striche mit einem
vollgesogenen Tuschepinsel entstand. Präsentiert werden die Malereien in
einem maßstabsgetreuen Nachbau des Tempels, der es erlaubt, sie quasi in
ihrem originalen Kontext zu erleben.
Die chinesischen Kinder auf dem Bild musizieren fröhlich in Gesellschaft
spielender Hundewelpen auf der Zither, widmen sich dem Brettspiel, malen
auf Leinwände, die ihre kleinen Körper hoch überragen, und unterbrechen
ihre Schriftkunstübungen, um die Gesichter ihrer eingeschlafenen Kameraden
mit Tusche zu bemalen. In dieser Szenerie wird Rosetsus spielerischer Humor
ebenso deutlich wie die Bedeutung, die der Kunst im Japan des späten 18.
Jahrhunderts zukam.
Während die Verkörperungen des Yin und Yang im Nebenzimmer zur Meditation
anregen, sollten die chinesischen Kinder wohl vor allem die im Kloster
ankommenden Pilgerer unterhalten. In Zen-Klostern wurde über eigens zu
diesem Zweck geschaffenen Werken meditiert, wohlhabende Familien leisteten
sich Auftragsarbeiten, die an besonderen Feiertagen positive Energie
spenden sollten.
So schuf Rosetsu eine erhabene Malerei des Vulkans Fuji, des höchsten
japanischen Berges, die an Neujahr Glück für die kommenden Monate spenden
sollte. Der frontale Blick auf die Bergspitze erlaubt es dem Betrachter,
über einem Schwarm von Kranichen fliegend die Position eines Unsterblichen
einzunehmen.
## Der impulsive Visionär
Es ist eine der zahlreichen Arbeiten, die den japanischen Tempel in Zürich
umranden und anhand deren die Ausstellung die Lebensgeschichte des
exzentrischen und visionären Malers erzählt: Angefangen bei den Lehrjahren
in der Werkstatt des einflussreichen Künstlers Maruyama Ōkyo, lässt sich
beobachten, wie Rosetsu zunächst mit feinem Pinselstrich naturalistische
Motive wie Affen, Rosen und Pfauen zeichnet und wie er sich in den
Folgejahren an eine immer impulsivere Pinselführung herantastet: Rosetsu
ließ Tusche über das Papier fließen und tropfen, teils nutzte er gar seine
Finger als Malwerkzeug.
Dabei entstanden Meisterwerke wie das Bildnis von zwei verarmten Gelehrten
und Dichtern, die als Eremiten ein Leben frei von den Sorgen der Welt
führten und als spirituelle Vorbilder des Zen-Buddhismus dienen. Mit
wenigen schwungvollen, groben Pinselstrichen porträtiert Rosetsu ihr
zerzaustes Haar, ihre begeistert aufgerissenen Augen und ihr gutmütiges
Lächeln.
Einige Stationen weiter vereint Rosetsu Präzision und expressive
Pinselführung in einem Hängerollenpaar, das zwei Gelehrte bei ihrem
Spaziergang durch die Natur zeigt. Ihre roten Roben sind mit kleinteiligen
goldenen Mustern versehen, während die Tuschelandschaft um sie herum
stellenweise beinahe abstrakt wirkt und die Bäume am oberen Bildrand
anmuten wie Schriftzeichen.
Über ein Jahrhundert bevor der Expressionismus die europäische Kunst
revolutionieren sollte, stellt Rosetsu seine Umwelt auf höchst gefühlvolle
und impulsive Weise dar. Wer seinen Werken in Rietberg gegenübersteht,
beginnt ganz ohne Vorwissen, die Methode des Zen zu verstehen – jene
einfühlsame, humorvolle und schöpferische Art, Wirklichkeit zu erkennen.
15 Sep 2018
## AUTOREN
Donna Schons
## TAGS
Kulturgüter
Manga
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