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# taz.de -- Hilfestellung Petitionsausschuss: Für Beschleunigung gesorgt
> Eine unfallträchtige Kreuzung, eine von der Bürokratie verbummelte
> Aufenthaltsbescheinigung: zwei Fälle für den Berliner Petitionsausschuss.
Bild: Jetzt geht's doch mit dem Umbau der unfallträchtigen Kreuzung, wie das M…
„Da ist es“, sagt Altan Halil. Er sitzt an einem großen Holztisch in
seiner Wohnung und hält ein gefaltetes Dokument in die Höhe. „Bescheinigung
des Daueraufenthalts“ steht darauf. Was ein kurzer bürokratischer Akt
werden sollte, hat Halil und seinen Partner die vergangenen neun Monate auf
Trab gehalten.
Als einer von vielen Briten, die auf dem europäischen Festland leben, war
Halil nach dem Referendum 2016 verunsichert vom bevorstehenden Austritt
Großbritanniens aus der EU. „Es heißt natürlich, man sei sicher“, erklä…
der 57-Jährige, „aber niemand weiß wirklich, was der Brexit bedeutet.“
Da er bereits länger als fünf Jahre in Berlin lebte, in eingetragener
Lebenspartnerschaft mit einem deutschen Staatsbürger, stand ihm ein
Daueraufenthaltsrecht zu. Bescheinigungen über dieses Recht stellt die
Ausländerbehörde aus.
Halil erzählt seine Geschichte so: Nachdem er die nötigen Unterlagen im
Herbst 2017 eingereicht hat, geschieht monatelang nichts. Seine Anrufe
werden nicht durchgestellt, E-Mails und Briefe ignoriert. Irgendwann kommt
eine Mail, man habe seine Unterlagen nicht. Halil verweist auf die
Eingangsbestätigung seiner Dokumente. Es folgt erneut wochenlange
Funkstille.
Als Noch-EU-Bürger drohen ihm weder Abschiebung noch Entzug der
Arbeitserlaubnis. Aber es ärgert Halil, dass man seine persönlichen
Dokumente, darunter seine Einkommensnachweise, anscheinend verloren hat.
Vor allem aber ärgert es ihn, ignoriert zu werden, mit niemandem sprechen
zu können. „Freunde sagten uns, wir sollten uns einen Anwalt holen“,
erzählt er schulterzuckend, „wenn der schreibt, dann werden die schon
antworten.“
Doch Halil will keinen Anwalt einschalten. Als Sozialarbeiter kennt er die
Arbeit von Ombudsmännern aus England. Jede Stelle des öffentlichen Lebens,
ob Krankenhäuser, Banken oder Ämter, habe dort einen klaren Ablauf bei
Anfragen und Beschwerden, erklärt er. Also wendet er sich an den Berliner
Petitionsausschuss. In schwierigen Fällen kann dieser Akten anfordern oder
die Behördenleitung anhören.
Doch auch der Petitionsausschuss habe bei der Ausländerbehörde niemanden
erreicht, erinnert sich Halil lachend. Die Abgeordneten seien selbst
schockiert darüber gewesen. Sie haben dem Amt eine Rückmeldefrist gesetzt.
Halil weiß seine Geschichte einzuordnen. Immer wieder betont er, dass es
für ihn glücklicherweise nicht um etwas so Ernstes wie Asyl oder eine
Abschiebung gegangen sei. Und dass sein Partner ihn unterstützt habe. Dass
dieser Muttersprachler sei. Doch er fragt sich, wie es Menschen ergeht, die
weder die bürokratischen Abläufe kennen noch ausreichend Deutsch sprechen.
Woher wisse man, dass alles in Ordnung sei, fragt Halil. Es gebe keine
festen Sachbearbeiter, Anrufe und E-Mails verlieren sich in den Tiefen der
Institution. „Wenn selbst der Petitionsausschuss nicht weiß, was das
Problem ist, woher sollen wir es wissen?“
Doch der Druck durch den Ausschuss scheint zu wirken. Einen Monat später
bekommt Halil den langersehnten Termin und die Bescheinigung über den
Daueraufenthalt. Wo das Problem in seinem Fall gelegen hat und ob seine
Unterlagen verloren gegangen sind, habe man ihm nicht gesagt.
Immer wieder wenden sich Menschen wie Halil an den Petitionsausschuss, da
sie sich von Behörden alleingelassen fühlen. So erging es auch Masen
Abou-Dakn. Der Kreuzberger hatte sich für den Umbau der Kreuzung
Yorckstraße auf Höhe der Katzbachstraße, in der er wohnt, eingesetzt. Diese
gilt als Unfallschwerpunkt. Trotz breiter Unterstützung seitens der
Anwohner*innen geschah über Jahre hinweg nichts.
Abou-Dakn sieht darin ein Zeichen von Bürgerferne. Von der Verwaltung
erwarte er nicht, dass sie Gedanken der Bevölkerung lesen könne. Gerade
deshalb sei er auch proaktiv gewesen, habe sich an die Behörden gewandt. Da
sei es frustrierend, nicht ernst genommen zu werden.
Lange habe er sich über die Verkehrsführung der Kreuzung geärgert, sei
mehrfach nur knapp einem Unfall entgangen. 2015 nimmt er die Sache selbst
in die Hand, sammelt Unterstützerbriefe aus der Nachbarschaft und von
Eltern der Schulkinder, die die Kreuzung täglich überqueren. Auch der
Besitzer des Kiosks an der Ecke habe von Unfällen vor seinem Laden
berichtet.
Abou-Dakn, selbst Vater zweier Kinder, wendet sich an die Berliner
Verkehrslenkung. In einem Schreiben schilderte er das Problem der
„lebensgefährlichen Kreuzung“, bietet Lösungsvorschläge und weist auf die
Dringlichkeit aufgrund der akuten Gefahr hin.
Niemand habe sich jedoch zuständig gesehen, klagt Abou-Dakn. Zwei Jahre
vergehen ohne Ergebnis. Ein Verhalten, das der Familienvater nicht
nachvollziehen kann. „Selbst wenn es nicht zu hundert Prozent mein
Zuständigkeitsbereich ist, würde ich doch etwas unternehmen“, sagt
Abou-Dakn. Es sei für die einzelnen Behörden schließlich nur ein Anruf, um
ihn an die richtige Stelle zu verweisen. „Das ist eine große
Gefahrenstelle, und da passiert nichts“, betont er verständnislos, „das
fand ich ungeheuerlich.“
Und die Unfallstatistik gibt ihm recht: über 70 Verletzte innerhalb von
drei Jahren. 2017 macht er in einem zweiten Brief die Senatsverwaltung
mitverantwortlich für die Unfälle, die in der Zwischenzeit einen Toten und
ein schwerverletztes Kind gefordert hatten. „Alle Unfälle hätten konkret
vermieden werden können“, schreibt er, „wenn die Verkehrslenkung unser
Anliegen mit der zustehenden Aufmerksamkeit und Dringlichkeit behandelt und
die notwendigen Maßnahmen durchgeführt hätte.“
Schließlich schaltet Abou-Dakn den Petitionsausschuss ein. Dieser bestätigt
den dringenden Handlungsbedarf. Die Senatsverwaltung verspricht Maßnahmen,
verschiebt deren Beginn jedoch mehrfach. Ein weiteres Jahr vergeht. „Ich
glaube, der Petitionsausschuss war richtig sauer“, erzählt Abou-Dakn. Die
Bauarbeiten beginnen schließlich im Juni, nach über drei Jahren.
Aus dem Petitionsausschuss heißt es, man werde den Fall noch bis Ende der
Baumaßnahmen verfolgen. Vorsitzender Kristian Ronneburg (Die Linke) hofft,
dass zumindest diese zügig erledigt werden. Für Abou-Dakn war es erfreulich
zu sehen, dass der Petitionsausschuss des Abgeordnetenhauses auch Druck
gegen die eigene Senatsverwaltung gemacht hat.
Trotzdem wäre es ihm lieber gewesen, den Fall gar nicht erst vor den
Ausschuss zu bringen. In seinen Augen müsse man nach Lösungen für die
Überforderung und Überlastung der Ämter suchen. Pauschal über „die
Behörden“ zu klagen, hält Abou-Dakn für populistisch. Es bestehe eher ein
Bedarf an serviceorientierter Schulung der Mitarbeiter*innen. Ämter sollten
Kritik und Anregungen durch die Bevölkerung offen gegenüberstehen. Geschehe
das nicht, dann sei der Petitionsausschuss aber ein guter Mitstreiter.
In seinem Fall hat sich die Hartnäckigkeit gegenüber den Behörden gelohnt.
Man frage oft, warum sich um manche Dinge nicht gekümmert werde, sagt
Abou-Dakn, da müsse man sich selbst kümmern. Allein den Behörden könne man
das nicht anhängen. „Demokratie heißt auch, selbst aktiv zu werden, sich
einzusetzen.“ Zum neuen Schuljahr ist die Kreuzung zwar noch nicht fertig
geworden. Bis zu den Herbstferien soll aber auch der letzte Bauabschnitt
beendet sein.
Dieser Text ist Teil eines Schwerpunkts zum Thema Petitionsausschuss. Mehr
zu dessen Arbeit: [1][Da kann man schon was machen]
6 Sep 2018
## LINKS
[1] /Beschwerdestelle-Petitionsausschuss/!5529427
## AUTOREN
Daniel Stoecker
## TAGS
Bürgerrechte
Behörden
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