| # taz.de -- Modemagazine werden politisch: Marx in der „Teen Vogue“ | |
| > Die „Vogue“ und ihre Schwesterzeitschrift gelten als Maßstab für Qualit… | |
| > im Modejournalismus – und jetzt auch für politische Berichterstattung. | |
| Bild: Mode und Politik – das passt manchmal gut zusammen | |
| Die relativ ernsthafte Auseinandersetzung mit den Ideen von Karl Marx | |
| anlässlich seines 200. Geburtstags hat viele überrascht. Der Economist ließ | |
| verlauten: „Herrschende der Welt, lest Karl Marx!“ Und eine andere | |
| Publikation fragte: „Wie also können Teenager vom Erbe der Marx’schen Ideen | |
| erfahren und wie relevant sind diese für das gegenwärtige politische | |
| Klima?“ Die Zeitschrift, um die es sich handelt, war das Modemagazin Teen | |
| Vogue. | |
| In ihrem Buch „British Fashion Design“ (1998) vertrat die | |
| Kulturtheoretikerin Angela McRobbie die These, Herausgeber*innen von | |
| Zeitschriften wie Vogue seien davon überzeugt, dass Mode Politik vermeiden | |
| solle und dass Modejournalist*innen sich dem anzupassen hätten. Wenn das | |
| Thema „Mode als Politik“ in Fashion-Magazinen auftauchte, dann allenfalls | |
| als „packender Aufhänger für eine ‚Mode-Story‘“. | |
| Diese Zeitschriften wollten zwar tunlichst nicht mit „Massenkultur“ | |
| assoziiert werden; außerdem seien die meisten Herausgeber*innen mit ihrem | |
| Ziel, ein Luxusmagazin für gut situierte Leser*innen zu schaffen, | |
| unverhohlen elitär gewesen. Aber gleichermaßen stellte McRobbie fest, dass | |
| sich innerhalb der „Hochkultur“ (und des Qualitätsjournalismus) die | |
| Modewelt selbst im unteren Spektrum einordnete. | |
| Laut McRobbie führte dies zu „einer kulturell isolierten und | |
| selbstbezogenen Gruppe von professionellen Modejournalist*innen, die einer | |
| Zeit anzugehören schienen, als Politik noch nicht in die Modewelt | |
| eingedrungen war und Modeleute es nicht für nötig hielten, sich ihre Hände | |
| an der Außenwelt schmutzig zu machen“. | |
| Widerstand gegen Trump | |
| Zwei Jahrzehnte später scheint dies nicht mehr der Fall zu sein. Die Vogue | |
| hat immer wieder bewiesen, dass sie sich gern die Hände an der Politik | |
| „schmutzig“ macht. Sie hat zum Beispiel als [1][erste große Zeitschrift mit | |
| Naomi Klein ein Interview] über ihr Buch „Die Entscheidung: Kapitalismus | |
| vs. Klima“ geführt. | |
| Klein zeigte sich hier enttäuscht über die begrenzten Errungenschaften der | |
| Occupy-Wall-Street-Bewegung und beschrieb den „Erfolg“ des Kapitalismus als | |
| seine Fähigkeit, „uns davon zu überzeugen, dass wir es nicht wert sind, | |
| gerettet zu werden“. Obwohl Klein mit „No Logo“ die bekannteste | |
| Anti-Marken-Autorin ist, fiel ihr Porträt sympathisch aus. Vermutlich als | |
| Zugeständnis an die Vorlieben der Vogue-Leser*innen war zu lesen: „Bei | |
| einem Auftritt in London bat jemand Naomi Klein, eine Sache zu nennen, die | |
| ihr am Kapitalismus gefällt. Sie antwortete sofort: ‚Die Schuhe!‘“ | |
| Und es gibt noch mehr Beispiele. Seit Donald Trumps Kampagne zur | |
| Präsidentschaftswahl haben US-Modemagazine eine beachtliche Menge an | |
| Artikeln und Kommentaren über den Widerstand vor allem gegen die | |
| reaktionäre Geschlechterpolitik von Trump und der Alt-Right-Bewegung | |
| veröffentlicht – und zwar ohne nur als Aufhänger für eine Modegeschichte zu | |
| dienen. | |
| In einem Punkt findet sich allerdings eine Übereinstimmung mit McRobbies | |
| Einschätzung des Modejournalismus: Die Vogue, und vor allem ihre | |
| Schwesterzeitschrift, die Teen Vogue, sind nach wie vor der „mehr oder | |
| weniger universelle Maßstab für Qualität“ – jetzt auch noch für politis… | |
| Berichterstattung. | |
| Teen Vogue ist nicht allein | |
| Teen Vogue hat über die „Black Lives Matter“-Bewegung berichtet. Sie hat | |
| eine Serie mit dem Hashtag #AskaNativeAmericanGirl gedruckt – | |
| einschließlich eines Interviews mit zwei Teenagern der Standing Rock Sioux, | |
| die gegen den Bau der Dakota-Access-Pipeline in ihrem Reservat | |
| demonstrierten. | |
| In der Teen Vogue erschienen Artikel, die das Recht junger Transmenschen | |
| verteidigen, in Schulen und an anderen öffentlichen Orten einen ihrer | |
| Gender-Identität gemäßen Zugang zu Toiletten zu bekommen. [2][Außerdem | |
| wurde ein Gespräch] zwischen Hari Nef, Schauspielerin und | |
| Transgender-Model, und dem schwulen Electro Pop Star Troye Sivan | |
| publiziert, in dem diese über Queerness und ihre Teilnahme an den | |
| Anti-Trump-Protesten sprachen. | |
| Teen Vogue, die mittlerweile nur noch online erscheint, mag zwar vorne | |
| sein, aber andere Zeitschriften sind ihr auf den Fersen – insbesondere im | |
| Hinblick auf die Berichterstattung über den Frauenstreik am Internationalen | |
| Frauentag, kurz nach Trumps Amtseinführung 2017. | |
| Glamour erklärte: „Der Streik ist viel mehr als nur eine Reaktion auf | |
| Trump: Die Initiatorinnen wollen die jahrzehntelange sozio-ökonomische | |
| Ungleichheit bekämpfen, indem sie marginalisierte Gruppen – arbeitende | |
| Frauen, women of colour, Frauen aus der Native-American-Community, | |
| Migrantinnen, muslimische, behinderte und lesbische, queere und | |
| Trans-Frauen – auffordern, sich zu versammeln und ihre Stimme zu erheben.“ | |
| Lächel-Streik | |
| Marie Claire schrieb, dass der Streik zum Teil vom sogenannten | |
| Bodega-Streik in New York City inspiriert war, als die jemenitische | |
| Community die von ihnen betriebenen kleinen Lebensmittelläden als Reaktion | |
| auf Trumps „immigration ban“ schloss. Sie druckte sogar Empfehlungen für | |
| ihre Leser*innen, wie sie am Streik teilnehmen könnten. | |
| [3][Das Magazin Elle wiederum publizierte einen Artikel], der einige der | |
| Schwierigkeiten eines Frauenstreiks klar machte, sobald die Bedeutung | |
| unbezahlter emotionaler Arbeit, die überproportional von Frauen geleistet | |
| wird, anerkannt wird. | |
| „Es ist einfach, nicht zur Arbeit und nicht mehr shoppen zu gehen, aber | |
| verbringen wir dann auch den Tag damit, Geburtstage bewusst zu vergessen | |
| und das Lächeln zu verweigern?“ (Ein „Lächel-Streik“ war in der Tat eine | |
| der vom Organisationsteam des Streiks vorgeschlagenen Aktionen.) Dieser | |
| Artikel zitierte auch eine lange Passage von Friedrich Engels zum | |
| Generalstreik, erwähnte Rosa Luxemburgs Text über den Massenstreik und | |
| beinhaltete einen Link zu einem PDF des 1975 publizierten Artikels der | |
| marxistischen Feministin Silvia Federici zur „Lohn für | |
| Hausarbeit“-Kampagne. | |
| Wie lässt sich die wachsende Aufmerksamkeit dieser Zeitschriften auf | |
| Politik, und insbesondere auf linke und progressive Politik erklären? | |
| Keine andere Option | |
| Erstens: Eine Antwort auf die digitale Herausforderung, der Printmedien | |
| seit einigen Jahrzehnten gegenüberstehen, war und ist die | |
| marktübergreifende Diversifizierung von Modezeitschriften und anderen | |
| Journalen. Die Modeberichterstattung der Tages- und Wochenzeitungen | |
| konkurriert schon lange mit Zeitschriften wie der Vogue, aber diese | |
| Zeitschriften treten nun auch selbst in Konkurrenz zu den politischen | |
| Nachrichten und Kommentaren anderer Medien, insbesondere online. | |
| Zweitens: Werbeeinnahmen haben schon immer den Modejournalismus | |
| unterstützt. Doch diese Einnahmen werden heute zunehmend durch Onlineklicks | |
| über sozialen Medien generiert – und damit von Leser*innen, die sich auch | |
| für Politik interessieren. Ob sie dann auch bei der Mode verweilen, ist | |
| zweitrangig. | |
| Drittens: Frauen und auch queere Menschen spielen eine führende Rolle im | |
| Widerstand gegen die reaktionäre Politik der Trump-Regierung und der | |
| Alt-Right-Bewegung – von „Black Lives Matter“ über den Widerstand gegen … | |
| Dakota-Access-Pipeline bis zum Tod von Heather Heyer während einer | |
| Protestveranstaltung gegen weiße Nationalisten in Charlottesville. Es ist | |
| also nur folgerichtig, dass Zeitschriften, die traditionell von Frauen und | |
| Mädchen gelesen werden (und mit deren Camp-Ästhetiken sich schwule Männer | |
| und andere identifiziert haben), diesen Protestbewegungen besondere | |
| Aufmerksamkeit schenken. | |
| Im Modejournalismus der späten 90er-Jahre habe sich, so McRobbie, im | |
| Vergleich zu den späten 60er Jahren wenig getan. Damals behauptete Roland | |
| Barthes in „Die Sprache der Mode“, die Mode würde sich von anderen | |
| „Modellen der Massenkultur“ – vom Film bis zur Literatur – durch eine | |
| „systematische Euphorie“ unterscheiden, aus der „alles ästhetisch oder | |
| moralisch Unangenehme“ oder der „Kontakt mit dem Bösen“ ausgeschlossen s… | |
| Genau das ist aber in so düsteren Zeiten wie heute für den Modejournalismus | |
| keine Option mehr. | |
| 9 Aug 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.vogue.com/article/naomi-klein-this-changes-everything-climate-c… | |
| [2] https://www.teenvogue.com/story/troye-sivan-cover-interview-coming-out-quee… | |
| [3] https://www.elle.com/culture/career-politics/a43109/women-strike-history-si… | |
| ## AUTOREN | |
| Ben Trott | |
| ## TAGS | |
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