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# taz.de -- Chinesen in Vietnam: Urlaubsreif und chauvinistisch
> Sie beanspruchen Strände, Sonderzonen, sogar ein ganzes Meer – viele in
> Vietnam nervt die Präsenz der Chinesen. Doch die Regierung unterdrückt
> alle Kritik.
Bild: Viele der neuen Hochhäuser stehen noch leer – Am Strand von Da Nang
Da Nang/Hanoi taz | Die Gruppe Chinesen, die im Mai in der vietnamesischen
Stadt Cam Ranh gelandet war, hatte sich den Beginn des Urlaubs
möglicherweise anders vorgestellt. Kaum hatten die Touristen am Flughafen
die Passkontrolle hinter sich, zogen sie ihre Jacken aus. Darunter trugen
sie weiße T-Shirts mit den Konturen der chinesischen Grenzen. Auf der Karte
war in Rot die sogenannte Neun-Striche-Linie eingezeichnet – die Umrisse
jener Zone, die Peking im Südchinesischen Meer für sich beansprucht.
Anrainerstaaten wie Vietnam und die Philippinen wehren sich seit Jahren
lautstark gegen die Expansionsgelüste Chinas. Durch das Gewässer läuft eine
der wichtigsten Frachtrouten der Welt, mit einem jährlichen Handelsvolumen
von rund 5 Billionen US-Dollar. Das 3,6 Millionen Quadratkilometer große
Südchinesische Meer hat zudem entscheidende strategische Bedeutung – nicht
zuletzt für die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten.
War es ein bewusster Versuch eines „Imperialismus per T-Shirt“ durch
chinesische Touristen, wie ein Kritiker meinte? Die vietnamesischen
Grenzbeamten zeigten jedenfalls wenig Verständnis. Erst nach der
Beschlagnahme der Shirts wurden die Chinesen ins Land gelassen. So wie ihre
vier Millionen Landsleute, die pro Jahr zum Urlaub nach Vietnam reisen.
Inzwischen stammen etwa 30 Prozent aller ausländischen Touristen aus China
– ein Wirtschaftsfaktor, auf den Hanoi, trotz gelegentlicher
Provokationen, nicht verzichten möchte.
China und Vietnam teilen sich eine 1.281 Kilometer lange Grenze. Doch die
Nachbarn sind aber keineswegs in kommunistischer Bruderschaft verbunden.
Zwar ist vor allem im Norden von Vietnam, in der gebirgigen Region Sapa,
die unmittelbare Nähe Chinas zu erkennen – in den Gesichtern der Menschen
der einst aus China eingewanderten Minderheitenvölker. Doch gerade in
dieser Region ist die gemeinsame Vergangenheit auch von Konflikten
gezeichnet: China hatte Vietnam einst kolonialisiert und es ist erst
vierzig Jahre her, seitdem sich die beiden Länder einen erbitterten
Grenzkrieg geliefert hatten.
## Smartphones, Krabben und Ferkel
Wirtschaftlich scheinen sich die Nachbarn aber versöhnt zu haben. Der
bilaterale Handel zwischen Hanoi und Peking jagt von Rekord zu Rekord. In
diesem Jahr soll der Gesamtwert des Waren- und Dienstleistungsverkehrs auf
ein Hoch von 100 Milliarden US-Dollar klettern, rechnen Experten. Im
letzten Jahr waren es bereits 22 Milliarden mehr als 2016. Vietnam
profitiert am stärksten von der Entwicklung. Im letzten Jahr stieg der Wert
der Exporte von Vietnam ins Nachbarland um 61,5 Prozent auf über 35
Milliarden US Dollar. Der Handel mit China macht inzwischen 22 Prozent
aller vietnamesischen Ein- und Ausfuhren aus. Smartphones sind das
wichtigste Exportprodukt. Auch Tonnen von Krabben und anderen
Meeresfrüchten werden jeden Tag zum Nachbarn verschifft. Und Ferkel:
Tausende von Schweinchen reisen jede Woche auf Lastwagen über die Grenze.
Aber trotz der positiven Entwicklung bleiben die Vietnamesen den Nachbarn
im Norden gegenüber skeptisch. Und seitdem China begonnen hat, auf einigen
der Inseln im Südchinesischen Meer militärische Infrastruktur aufzubauen,
wird in Vietnam die Frustration über den mächtigen Nachbarn zunehmend auch
im Alltag spürbar.
Auch der Taxifahrer Duong sei „empört“ über das Verhalten Pekings im
Südchinesischen Meer, wie er offen sagt. Chinesen seien allerdings auch
seine Kunden, räumt er ein. „Aber Koreaner mag ich lieber.“ Der 49-Jährige
wartet am Strand von Da Nang auf Fahrgäste, einem der touristisch
wichtigsten Orte an der vietnamesischen Küste. Tausende von Urlaubern aus
Korea, Thailand und China räkeln sich gemeinsam mit Einheimischen am
Strand. Die Promenade wird von Hotel-Neubauten dominiert.
## Hoffnung auf den „Chinaboom“
Viele der neuen Gebäude sind allerdings fast leer. Nur die leuchtend roten
chinesischen Schriftzeichen flackern in der Nacht wie Symbole der Hoffnung
auf den „Chinaboom“. Dieser habe für Vietnam nämlich erst begonnen, glaubt
der Geldwechsler und Gelegenheits-Immobilienmakler Hung, Goldkette am Hals
und Zigarette im Mundwinkel. Die Mittelschicht in China wachse jedes Jahr
um Millionen, erzählt er. Millionen Menschen, die es sich zum ersten Mal
leisten können, in Urlaub zu fahren. „Zu uns an den Strand von Da Nang“,
lacht Hung.
Die Hotelangestellte Kim-Ly ist deutlich weniger enthusiastisch. Wenn es
nach der 34-Jährigen geht, könnten die Chinesen alle zu Hause bleiben. „Die
übernehmen unser Land“, klagt sie. Kritisieren wolle sie die Touristen zwar
nicht, „von denen ich ja auch profitiere“. Sie sei jedoch „total empört,…
wütend“ über Pläne der vietnamesischen Regierung, an drei Orten des Landes
weitere „besondere Wirtschaftszonen“ einzurichten, sogenannte SEZs.
Hanoi will aus jeder dieser Anlagen eine Art „Mini-Singapur“ machen:
Investoren würden nicht nur attraktive Anreize und günstige Zoll- und
Handelsbedingungen winken. Sie könnten das Land für 99 Jahre pachten, statt
70 Jahre, wie in den bisherigen 18 SEZs in Vietnam. Es ist offensichtlich,
dass diese Zonen nur für die Chinesen gebaut werden“, sagt Kim-Ly. Denn
China werde von Hanoi als Handelspartner favorisiert.
## „Die Regierung verschleudert unseren Boden“
Schon heute ist Peking mit Direktinvestitionen im Gesamtwert von mehr als
21 Milliarden US-Dollar einer der wichtigsten ausländischen Anleger in
Vietnam. „Die Regierung verkauft unseren Boden zum Schleuderpreis an den
billigsten Bieter. Das ist unakzeptabel“, klagt Kim-Ly. Die Frustration
treibt ihr die Tränen in die Augen.
Die Frau ist mit ihrer Empörung nicht allein. Seit Juni ist es in
verschiedenen Städten zu Demonstrationen gegen die Pläne gekommen –
ungewöhnlich in einem Land, in dem Proteste kaum vorkommen und noch
seltener von der Regierung toleriert werden. Hunderte Demonstranten seien
festgenommen worden, weitere wurden von der Polizei brutal misshandelt, hat
die Organisation Human Rights Watch gemeldet. Die Proteste zeigten aber
Wirkung. Der Beschluss im Parlament über das Gesetz zur Schaffung der SEZs
wurde vorerst aufgeschoben. Um die Stimmung zu entschärfen, versprach
Premierminister Nguyen Xuan Phuc, die Pachtzeit von 99 Jahren zu
reduzieren. Auf wie viele Jahre, sagte er allerdings nicht.
Für Kommentatoren geht es bei den Demonstrationen aber um weit mehr als nur
den vermeintlichen Griff Chinas nach vietnamesischem Land. Der unabhängige
Journalist Pham Chi Dung verglich die Proteste mit dem „Arabischen
Frühling“ – ein Zeichen für das tiefe Verlangen nach mehr Demokratie. Auch
der Politikanalyst Nguyen Phuong Ling glaubt nicht, dass es den
Demonstrierenden primär um die Expansion Chinas geht. „Es ist mehr ein
Zeichen der tiefen Frustration und Unzufriedenheit über die allgegenwärtige
Kontrolle der Obrigkeit“, sagt der Experte.
## Widerstand wird erstickt
Derweil arbeitet die Regierung in Hanoi daran, die Möglichkeiten weiter zu
beschränken, wie Bürger Widerstand mobilisieren und sich kritisch äußern
können. Ein neues Gesetz soll die Nutzung digitaler Kommunikation drastisch
einschränken und eine fast grenzenlose Überwachung erlauben. Alle
Kommentare in sozialen Medien würden zensiert, melden Medien.
Besonders besorgniserregend für ausländische Unternehmen: Daten sollen
künftig in Vietnam gespeichert werden müssen. „Das Ziel der neuen Gesetze
ist nicht nur, die Sicherheit von Datennetzwerken zu schützen, sondern das
Machtmonopol der kommunistischen Partei“, so Brad Adams, Asien-Direktor von
Human Rights Watch.
Nur auf Flughäfen scheinen Meinungsäußerungen nicht allzu stark
eingeschränkt zu werden – jedenfalls, wenn sie von Offiziellen stammen. Als
am Kontrollschalter in Ho-Chi-Minh-Stadt einer Gruppe von Chinesen nach dem
Abstempeln die Reisepässe zurückgegeben wurde, hat einer der Besucher eine
böse Überraschung erlebt. Die Stelle, wo im Pass die Karte Chinas die
„Neun-Striche-Linie“ zeigt, habe der vietnamesische Zollbeamte zweimal mit
einer Bemerkung überschrieben: „F… you!“
8 Aug 2018
## AUTOREN
Urs Wälterlin
## TAGS
China
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