# taz.de -- Windtunnel im Selbstversuch: Mal total abheben | |
> Schon geil: Fliegen ist gar nicht so leicht, wie es aussieht. Unser Autor | |
> muss das im gläsernen Windtunnel in Schönefeld feststellen. | |
Bild: taz-Autoren sind gar nicht so abgehoben – selbst wenn das eigentlich de… | |
BERLIN taz | Eigentlich sollten hier ganz tief unten im Berliner Süden | |
inzwischen Straßenbahnen bis zum Willy-Brandt-Flughafen fahren, damit | |
Menschen von dort aus – im besten Fall – ihren wohlverdienten Urlaub am BER | |
antreten können. Stattdessen ist an der vorletzten Station vor dem | |
Flughafen nur ein großes Schild, das nicht verrät, wo man sich befindet. | |
Aber auch wenn der neue Flughafen noch nicht fertig ist, kann man hier, | |
etwa 300 Meter von der Haltestelle Waßmannsdorf entfernt, schon abheben. | |
Denn schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite steht die Hurricane | |
Factory. In einem unscheinbaren grau-roten Gebäude, das an einer Landstraße | |
liegt, an der Kühe grasen, befindet sich der größte Windtunnel | |
Deutschlands. Der XXL-Windtunnel. Und dort sitze ich nun, ein paar Tage | |
nachdem ich einen Termin vereinbart habe. Die Vorfreude ist inzwischen | |
einem mulmigen Gefühl gewichen. | |
„Wo ist denn der XXL-Windtunnel?“, frage ich an der Anmeldung. „Direkt | |
hinter Ihnen“, erwidert die Dame an der Rezeption freundlich. | |
Da, wo sie dabei hindeutet, reckt sich ein kolossaler Glastunnel mitten im | |
Raum senkrecht nach oben. Wie ich später erfahre, wird er von insgesamt | |
sechs Turbinen angetrieben, die durchschnittliche Power einer Turbine | |
erreicht fast 400 PS. Der Durchmesser des Tunnels beträgt 5,5 Meter, die | |
Höhe 6 Meter. | |
## Tunnelförmige Angst | |
Was im ersten Moment nicht viel klingt, entlockt mir doch ein kleines | |
„Wow“. Ich setze mich auf eine Sitzbank gegenüber, weil mir versprochen | |
wird, dass gleich ein paar Sportflieger ihr Aufwärmtraining in dem Tunnel | |
absolvieren. Insgeheim hoffe ich, dass ich mir ein paar Tricks abgucken | |
kann. Ähnlich ehrfürchtig wie ich laufen zwei ältere Damen am Tunnel | |
vorbei. „Wir wollen gar nicht fliegen!“, versichern sie auf Nachfrage eines | |
Mitarbeiters. Stattdessen nehmen sie im Café Platz und begutachten das | |
Mittagsmenü. | |
Und während sie vermutlich darüber nachdenken, was sie bestellen möchten, | |
sitze ich vor der gestaltgewordenen Angst namens XXL-Windtunnel und bewerte | |
vor meinem geistigen Auge alle möglichen Ausreden, die mir durch den Kopf | |
schießen, nach ihrer Glaubwürdigkeit – Kopfschmerzen oder vielleicht doch | |
ein Magenvirus? | |
Aber gerade, als ich mich für chronische Migräne entscheide, nähert sich | |
mir der Mann, der in der nächsten Stunde über mein Leben entscheiden wird. | |
„Hey, ich bin der Basti!“, sagt er mit einem freundlichen Lächeln. Er trä… | |
eine rote Cap, sein schwarzer Plastikanzug für den Windtunnel baumelt | |
lässig an seinen Hüften. Basti Robak heißt er mit vollem Namen. Seit einem | |
Jahr arbeitet er in der Hurricane Factory und ist auch noch | |
Fallschirmspringer. | |
„Du gehst dich jetzt mal umziehen, und dann zeige ich dir, wie du dich in | |
dem Windtunnel bewegen musst.“ Ein paar Minuten später sitze ich beinahe | |
bewegungsunfähig in dem gleichen schwarzen Plastikanzug – Basti hat mir | |
versichert, dass der möglichst eng anliegen muss – vor meinem Trainer, der | |
bäuchlings auf einem kleinen schwarzen Hocker vor mir liegt, und lasse mir | |
erklären, wie ich mich im Windtunnel zu bewegen habe: „Die Arme immer schön | |
im 90-Grad-Abstand vom Körper halten, die Hände zeigen nach unten, der Kopf | |
nach oben, und bloß nicht hektisch werden, sonst verlierst du die | |
Kontrolle.“ Basti streckt die Füße nach oben: „Die Hüfte nach unten, die | |
Beine leicht angewinkelt ausstrecken.“ Kann ja so schwer nicht sein, denke | |
ich. Später werde ich alles falsch machen. | |
Doch zunächst sitze ich nach meiner Instruktion etwas selbstsicherer erneut | |
vor dem Windtunnel. Die beiden älteren Damen sind inzwischen beim Kuchen | |
angekommen. Aus dem Kommandoraum signalisiert mir Basti, zu ihm zu kommen. | |
Ich ziehe zur Sicherheit noch einmal die Schnürsenkel an meinen Schuhen | |
fest. Bevor ich in den Vorraum des Windtunnels treten darf, muss ich | |
Schutzbrille und Schutzhelm aufsetzen. Kurz danach halte ich zaghaft meine | |
Hand in den Luftstrom im Tunnel – wie ein Fallschirmspringer, der sich | |
nicht traut zu springen. Dann, plötzlich, ergriffen von einer Mischung aus | |
Tapferkeit und dem auffordernden Blick Bastis, traue ich mich doch. | |
Vergessen sind die Kopfschmerzen und das Magenvirus. Ein Schritt in den | |
Tunnel hinein, und ich schwebe. | |
## Fliegen nur mit Körperspannung | |
Mich in die richtige Flugposition zu begeben, die mir vorher so anschaulich | |
erklärt wurde, versuche ich jedoch vergeblich. Einen Moment später befinde | |
ich mich schon mit dem Rücken zum Wind. Basti packt mich kurzerhand am | |
Anzug und versucht mir dabei zu helfen, die richtige Position | |
wiederzufinden. Immer wieder macht er mir Zeichen, wie ich meine Position | |
verbessern könne. Ich versuche nachzumachen, was er mir zeigt, scheitere | |
aber kläglich. | |
Und während ich immer hektischer werde, ist der erste der jeweils | |
anderthalbminütigen Flugversuche schon vorbei. Ich werde zurück zum Ausgang | |
bugsiert, packe fest zu und lasse mich nach draußen plumpsen. „Sorry!“, | |
rufe ich in Richtung Basti. Als Antwort erhalte ich ein „Daumen hoch“ und | |
die Erklärung, ich müsse Körperspannung aufbauen, um meine Flugposition | |
halten zu können. | |
„Beim zweiten Eintritt in den Tunnel“, hat Basti mir bereits vorher | |
erklärt, „werde ich mit dir Taxi fahren.“ Das heißt, dass er mit mir | |
zusammen im Windtunnel schnell von oben nach unten rast. Ich bin nach der | |
ersten Runde eher skeptisch, ob ich wirklich den nächsten Schritt wagen | |
soll. | |
Doch der zweite Einstieg in den Tunnel klappt etwas geschmeidiger. Basti | |
packt mich an der Schulter und den Beinen, und noch bevor ich reagieren | |
kann, sausen wir nach oben und schon wieder nach unten. | |
Zum Glück, denke ich, hast du nichts gesagt. Denn es ist atemberaubend. | |
Okay, atemberaubend und anstrengend, Ehrfurcht und Adrenalin. Ich habe das | |
Gefühl, auf einer riesigen Achterbahn zu sitzen. Etwa dreimal machen wir | |
das, und dann ist auch die zweite Flugrunde vorbei. Langsam trete ich nach | |
draußen, meine Beine fühlen sich an wie Pudding. „Geil“, sage ich, und | |
Basti streckt seine Hand zum High Five aus. Trotzdem bin ich froh, aus dem | |
Plastikanzug herauszukönnen. „Wenn du magst“, sagt Basti noch, „können … | |
noch mal in den Tunnel.“ Ich lehne dankend ab. Ich brauche jetzt auch erst | |
mal Kuchen. | |
31 Jul 2018 | |
## AUTOREN | |
Serdar Arslan | |
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