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# taz.de -- Kultschnaps aus Berlin: Smells Like Teen Spirit
> Mit dem Pfefferminzlikör „Berliner Luft“ haben sich schon DDR-Funktionä…
> besoffen. Vor der Pleite gerettet hat den Hersteller das Berliner
> Party-Publikum.
Bild: Vom Funktionärsfusel zum Partygesöff: Eine Flasche „Berliner Luft“
Dieser Schnaps, das mal vorweg, ist schon ein bisschen brutal. Dieser
leicht stechende Geruch nach Zahnpasta und Pfefferminzkaugummi – eine
Vorliebe für Mundwasser könnte zum Konsum animieren.
„Wissen Sie, wie mein Sohn und seine Freunde den im Club bestellen?“, fragt
Erlfried Baatz, der Mann, dessen Firma diesen Pfefferminzlikör mit den, nun
ja, pfefferminzgrünen Etiketten braut. Als „Berliner Luft“ steht die
0,2-Liter-Portionsflasche neben Wodka, Korn und Tictacs kurz vor der
Supermarktkasse. Also, wie bestellt man den korrekt im Club? „Einmal Zähne
putzen!“, strahlt Baatz, geschäftsführender Gesellschafter der Firma
Schilkin.
Gebraut wird der „Pfeffi“, wie man ihn lässig verknappen darf, im
Hellersdorfer Ortsteil Kaulsdorf. Dort besitzt Schilkin draußen vor dem
alten Dorfanger eine beinahe heimelig anmutende Gutshofanlage. Ungefähr
alle zehn Tage zirkelt hier ein Tankwagen auf den Innenhof zwischen die
alten Backsteingebäude und löscht eine Ladung von rund 30.000 Litern
Alkohol. Jeden Morgen kommt ein Lkw Zuckernachschub für das Lager: In der
0,7-Liter-Flasche Berliner Luft zu 6,50 Euro sind etwas mehr als 100 Gramm
weißer Zucker. Außerdem Pfefferminzöl und nur 18-prozentiger Alkohol.
Weshalb dieser Schnaps auch eigentlich ein Likör ist.
Die Leute stehen jedenfalls drauf. Rund 5,5 Millionen Flaschen
Pfefferminzlikör wurden in Deutschland laut Baatz im vergangenen Jahr
verkauft. Rund zwei Drittel davon seien in Kaulsdorf produziert worden. 75
Prozent ihres Umsatzes mache die Firma mit dem klaren Likör, die
Wodka-Hausmarke sei da nur noch die Nummer zwei. Den kleinen Rest des
Umsatzes machen diverse Obst- und Kräuterliköre aus, die hier ebenfalls
produziert werden, und ein Weinbrandverschnitt. Aber es ist der Kaulsdorfer
Pfeffi, der boomt: und zwar nicht bei den TrinkerInnen an der
Bushaltestelle, sondern beim jungen, internationalen Club-Publikum.
Ungefähr 2011 sei das losgegangen, sagt Baatz. Warum gerade dann, ist nicht
ganz klar. „Aber wir profitieren absolut von der Marke Berlin.“
## Sogar der Leim ist vegan
Berlin ist hip, sein Schnaps ist es also auch. Vielleicht ein durchaus
interessantes Missverständnis: Bevor hier ein Marketingstratege irgendwie
die Zielgruppe austüfteln konnte, ist die praktischerweise von selbst aufs
Produkt gekommen.
Inzwischen exportiere die Firma in die Schweiz und nach Österreich, sagt
Baatz und klingt dabei selbst ein bisschen erstaunt über diese jungen
Leute, die plötzlich auf das klebrige Zeug abfahren, mit dem sich schon in
der DDR die Funktionäre besoffen. Aber klar: „Die fahren wieder nach Hause
und fragen dann dort in ihren Clubs nach der Berliner Luft.“
Und an die Zielgruppe, die da plötzlich über einen kam, hat man sich
mittlerweile angepasst: Auf der Rückseite der Etiketten steht inzwischen
der Hinweis „Glutenfrei. Laktosefrei. Vegan“. Letzteres gilt inzwischen
sogar für den Leim der Etiketten. „Wir hatten da verstärkt Anfragen“, sagt
Baatz.
Im Besucherraum des Verwaltungsgebäudes trifft man auf die Vergangenheit
der Berliner Luft, bevor sie hip wurde – also sowohl die Stadtluft wie der
Likör. Da steht eine beunruhigend hässliche DDR-Schrankwand, gestrichen im
unvermeidlichen Firmengrün. Man kann es übrigens nicht kopieren, dieses
Grün: „Eine Sonderfarbe. Wenn Sie das Etikett auf den Farbkopierer legen,
kriegen Sie bloß Blau oder ein anderes Grün“, sagt Baatz stolz. Soll
heißen: So wichtig ist die Marke inzwischen für das Unternehmen.
In den Glasvitrinen an der Längsseite des Raums stehen alte Flaschen mit
Marken, die mal wichtig waren: Der Goldbrand zum Beispiel, ein
Weinbrandverschnitt, der quasi mit den Eckkneipen stirbt. Die Firma stellt
ihn noch her, aber wenn die Berliner Luft so was wie der Goldesel des
Unternehmens ist, dann ist der Goldbrand das Schmuddelkind. Denn der
Futschi, ein unguter Eckkneipenmix aus Cola und „Goldbrand“, wartet noch
auf seine neue Zielgruppe.
Auf dem Stuhl gegenüber dem Schrankwandungetüm lehnt sich Verkaufsleiter
Hans-Jörg Ullrich zurück und spult die durchaus faszinierende Geschichte
dieser Likörfabrik herunter. Da gab es den Firmengründer Apollon
Fjodorowitsch Schilkin, der noch den letzten russischen Zarenhof mit seinem
Wodka belieferte. Nach der Oktoberrevolution floh der Fabrikant vor der
Enteignung durch die Bolschewiken nach Berlin. Ullrich erzählt von dem
„genialen Einfall“, den der Sohn des alten Schilkin gehabt hatte, als er
sich den Namen „Berliner Luft“ in den 50er Jahren für seinen klaren
Pfefferminzlikör patentieren ließ.
## 14 Mark im Delikat
Warum eigentlich der Name? Na, sagt Geschäftsführer Baatz verdutzt. Ob man
denn nicht das Lied von Paul Lincke kenne, und singt: „Das ist die Berliner
Luft, Luft, Luft …“ Im Übrigen gebe es in der Bibliothek der Freien
Universität einen alten Wälzer aus der Zeit der Weimarer Republik, da gehe
es um die Ausbildung von Ingenieuren. Und da tauche der Name „Berliner
Luft“ für einen klaren Pfefferminzlikör auch schon auf. Er muss furchtbar
geschmeckt haben: 400 Gramm Zucker auf einen Liter Alkohol sollten die
angehenden Destillateure verwenden.
Dann erzählt Verkaufsleiter Ullrich von der Zeit, aus der die Schrankwand
stammt. Mit Verspätung ereilte die Eigentümerfamilie nämlich doch noch die
Enteignung – 1972 wird die Firma zum volkseigenen Betrieb der DDR. Damals
habe die Firma eine eigene Maurerbrigade gehabt, einen Fuhrpark, eine
Betriebskantine, sagt Ullrich. Und die Flasche Berliner Luft kostete 14
Mark im Delikat-Laden, dem Deli des Ostens. Das sei viel Geld gewesen in
einem Land, in dem man für ein Brötchen nur 5 Pfennig bezahlte, sagt
Ullrich. Eher was für die Bonzen also. Aber die Leute hätten damals ja
ohnehin getrunken wie die Kesselflicker: 13 Liter Alkohol pro Kopf und
Jahr, will Baatz wissen, im Westen sei es nur halb so viel gewesen. Alles
in allem: goldene Zeiten für die Kaulsdorfer Schnapsbrenner.
Dann kam die Wende, von 200 MitarbeiterInnen musste man 150 entlassen. Die
Maurerbrigade und der Fuhrpark verschwanden als Erste. Aber immerhin, sagt
Ullrich: „Genau die gleichen Leute“, die den Sohn des Firmengründers
enteigneten, „haben ihm nach der Wende sein Eigentum wieder zurückgegeben.“
## Pfeffi-Luft den ganzen Tag
Leider war der Kapitalismus dann aber auch nicht ganz ungefährlich: Man
habe sich vor ein paar Jahren verspekuliert, erklärt Ullrich, und auf die
Produktion von Eigenmarken der Supermärkte gesetzt. Doch die geringen
Gewinnmargen bei gleichzeitig steigenden Rohstoffpreisen waren
existenzgefährdend: Gerade noch so habe man die Insolvenz abwenden können.
Denn dann kamen ja zum Glück die Clubgänger. Rund 45 MitarbeiterInnen
beschäftigt die Firma heute, vor allem in der Abfüllung und der Produktion.
Dort ist es laut und riecht wie im Inneren einer Pfeffi-Flasche: 10.000
Flaschen pro Stunde rattern über die Anlage, je sechs passen in einen
Karton. Bevor die Kartons auf Paletten gestapelt werden, werden sie
gewogen. Wenn mehr als ein Schnapsglas voll fehlt, schlägt die Maschine
Alarm. Hat man eigentlich noch Lust auf Pfefferminzschnaps, wenn man hier
den ganzen Tag Pfeffi-Luft atmet? Na ja, geht so, sagt ein Mitarbeiter.
Ein Drittel der Flaschen bleibt in Berlin, zwei Drittel gehen ins übrige
Bundesgebiet. Im Westen möge man übrigens gerne den Pfeffi mit
Schokoladenzusatz, sagt Baatz.
Wenn man vom Verwaltungsgebäude einmal quer über den unebenen Hof geht,
kommt man ins Branntweinlager und in die „Herstellung II“, wo eine leise
brummende Maschine alle Trübstoffe aus dem Likör filtert. „Smells Like Teen
Spirit“ von Nirvana läuft irgendwo im Hintergrund. Ja, die jungen Leute.
Wer hätte das gedacht, dass die einen Pfefferminzlikör aus der DDR retten
würden.
17 Jul 2018
## AUTOREN
Anna Klöpper
## TAGS
Alkohol
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Eigentlich gibt es dafür in der seit jeher stinkenden Stadt keinen Grund.
Oder doch?
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