# taz.de -- WM-Favorit Belgien: Pommes am Ball | |
> Gegen Brasilien kann Belgien selbstbewusst aufspielen. Das Team vereint | |
> mehr als nur Flamen und Wallonen: Es steht für ein Europa im Kleinen. | |
Bild: Für jedes Klischee zu haben: Fans von Belgien | |
Schon das erste Spiel war überzeugend. Nur zu gut kannten die Belgier das | |
wichtigste Gesetz im Fußball: Geld schießt Tore. Und wer dann [1][gegen die | |
Finanzmacht Panama 3:0 gewinnt], muss ein Titelanwärter sein. | |
Jenseits solcher Kalauer hat das Elf-Millionen-Land tatsächlich einen Kader | |
voller Könner. Eden Hazard, der schlangengleiche Dribbelkönig. Romelu | |
Lukaku, der schwarze Schrank als Mittelstürmer mit bislang fünf WM-Toren. | |
Kevin De Bruyne, der Mittelfeldmotor zwischen Schlamperei und Genialität. | |
Thibaut Courtois, Chelseas Riese im Tor. Oder Abwehrchef Vincent Kompany, | |
lange beim HSV und trotzdem gut. | |
Belgien, jenseits des Fußballs gern als gesichtsloses Königreich | |
Absurdistan verspottet, war schon oft Geheimfavorit bei WMs und EMs. Doch | |
kein Trainer konnte aus den Einzelgrößen ein Team formen. Und so kennt man | |
die Gesichter alle auch weinend und deprimiert vom Platz schleichen – mal | |
gegen Argentinien (Viertelfinale WM 2014), gegen Wales (Viertelfinale EM | |
2016) und am Montag fast gegen Japan. Auch in Russland denkt man bei allen | |
tollen Aktionen die Trauer schon mit. | |
„Die Kinder von damals haben sich zu großen Stars entwickelt“, sagt indes | |
ihr [2][Trainer Roberto Martínez], 44, ein Katalane, der an Louis de Funès | |
erinnert und zuvor sieben Jahre in der englischen Premier League arbeitete. | |
Richtig überrascht habe ihn bei seinen Kickern „ein Stolz wie sonst nur in | |
Südamerika, sich anzutreffen und sein Land repräsentieren zu dürfen“, sagte | |
er. „Mich hat immer fasziniert, wie ein kleines Land eine solche Menge von | |
hochtalentierten Fußballern hervorbringen kann, die offen im Geist sind.“ | |
Der Spielort Kasan gilt als Elefantengrab: Dort soll am Freitagabend nach | |
Messis Argentinien und dem Scheinriesen Deutschland auch Rekordweltmeister | |
Brasilien enden. | |
## Große Titel fehlen | |
Das kleine Belgien hat im Fußball einige Duftmarken hinterlassen. Seine | |
Trainer haben in den siebziger Jahren die Abseitsfalle erfunden. Der erste | |
Millionentransfer in die Fußballbundesliga war ein Belgier: Stürmer Roger | |
van Gool, der 1976 vom FC Brügge nach Köln wechselte. Jean-Marc Bosman hat | |
1995 mit seiner Klage vor dem Europäischen Gerichtshof das Transfersystem | |
aus den Angeln gehoben. Der RSC Anderlecht hat 34 Landesmeistertitel | |
gewonnen – da wirkt der Münchner FC Hollywood ganz bescheiden mit seinen | |
paarundzwanzig Titeln. | |
EM- oder WM-Titel fehlen den Belgiern, es gab nur den, na ja, Olympiasieg | |
1920 und drei Europapokalgewinne in den Achtzigern – durch Anderlecht und | |
KV Mechelen. | |
Fußball-Amtssprache ist verblüffenderweise eine Fremdsprache: Auf den | |
Trikots steht englisch Belgium, das Team heißt offiziell Red Devils, der | |
Verband hat die Netzadresse belgianfootball.be. Die Fans feuern die Elf mit | |
„Belgium, Belgium …“ an. Vorstellbar, dass der DFB German Football | |
Association hieße, die Fans „Germany“ riefen? Belgiens Spieler twittern auf | |
Englisch, die Kabinensprache ist seit jeher Englisch (passend derzeit, weil | |
Trainer Martínez weder Niederländisch noch Französisch kann). | |
## Showroom für Talente | |
Das alles passt zu diesem unterschätzten EU-Kernland: integrativ, Kulturen | |
zusammenbringend, europäisch vorbildlich. Der Brüsseler Schriftsteller | |
Geert van Istendael sagte einmal: „Europa muss belgisch werden, oder es | |
wird untergehen.“ Er meint das ständige Ringen und Zusammenraufen von | |
Flamen und Wallonen. „Belgien ist wie Europa im Kleinen, wie eine | |
Märklin-Eisenbahn.“ | |
Neun der dreiundzwanzig WM-Spieler haben außereuropäische Wurzeln – von | |
Martinique über den Kongo bis Marokko. Das verwundert nicht in einem Land, | |
in dessen Hauptstadt Brüssel der häufigste Vorname männlicher Neugeborener | |
derzeit Mohammed ist. | |
Die belgische Liga, werbebenannt mit einer Biermarke, ist eine der ältesten | |
der Welt (seit 1895), aber ein Zwerg an Wirtschaftskraft und mit | |
mehrheitlich weniger als 10.000 ZuschauerInnen im Schnitt. Die Liga gilt | |
als Showroom für Talente, nach denen Europas Großklubs ihre Krakenarme | |
ausstrecken. | |
Nur einer im belgischen Kader spielt daheim, [3][elf allein bei den sechs | |
großen Klubs in England]. Gerade einmal zehn WM-Spieler anderer Länder | |
verdienen ihr Geld in Belgien. Die KAS Eupen ist in Belgiens erster Liga | |
sogar so etwas wie exterritoriales Gebiet: Der Klub gehört dem Emir von | |
Katar, der hier afrikanische Talente an Europas Ligen heranführen lässt und | |
junge Katarer (oder Afrikaner mit plötzlichen katarischen Urgroßmüttern) | |
auf die Heimat-WM 2022 vorbereitet. | |
## Fanliebling Schwarz-Gelb-Rot | |
Und doch ist die Liga so wichtig, dass Martínez und Co-Trainer Thierry | |
Henry, Weltmeister mit Frankreich 1998, sich über Monate immer wieder in | |
den Stadien blicken ließen, bei Spielen wie Beveren vs. Lokeren oder | |
Mouscron vs. Zulte-Waregem. Sie wollten die Kultur aufsaugen und verstehen, | |
haben sie gesagt. Dieses Heimatinteresse rechnen ihnen die Belgier hoch an. | |
Plötzlich ist Schwarz-Gelb-Rot, der scheinbare Underdog, neuer Fanliebling. | |
Es gibt Apps und Anleitungen, wie man die deutsche Farbenreihe am | |
einfachsten auf belgisch umbastelt. Im Aachener Grenzland zerschneiden | |
Kinder ihre Fahnen und kleben die Stücke neu zusammen. Man lacht mit den | |
Holländern, die sagen: War doch besser, erst gar nicht hinzufahren, als so | |
sich zu blamieren wie ihr Duitsen. Dann jetzt vereint Belgium adoptieren. | |
Und die Ostbelgier, zwei Mal in den Kriegen zwangseingedeutscht, schenkten | |
der Welt den schönsten Kommentar, gleich nach der Mexiko-Niederlage: „Die | |
Deutschen sind wieder mal unvorbereitet nach Russland gezogen.“ | |
6 Jul 2018 | |
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## AUTOREN | |
Bernd Müllender | |
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