# taz.de -- Inhaftierter Journalist in der Türkei: „Verstörende Nachrichten… | |
> Nedim Türfent hat einen Brief aus dem Gefängnis geschrieben. Wie sieht er | |
> die kommenden Wahlen und die Lage der Journalisten in der Türkei? | |
Bild: Der kurdische Journalist ließ seinen Brief aus dem Gefängnis schmuggeln | |
Seit über zwei Jahren ist der Reporter im Gefängnis, davon 18 Monate in | |
Isolationshaft. Ende 2017 wurde er zu acht Jahren und neun Monaten Haft | |
verurteilt. Ein Kollege erzählt, dass Nedim Türfent nun mit zwölf weiteren | |
Insassen in einer Zelle eingesperrt ist. Er freut sich über Post, wenn sie | |
zu ihm durchkommt: Nedim Türfent, Yüksek Güvenlikli Kapali Ceza Infaz | |
Kurumu, A-49/Van | |
Liebe Leser*innen, | |
als ich mich 2012 frisch von der Uni bei der Dicle Nachrichtenagentur | |
(DIHA) bewarb, wurde mir beim Bewerbungsgespräch gesagt: „Wenn du in den | |
kurdischsprachigen Medien arbeiten willst, dann musst du wissen, dass du | |
aufgrund deiner Arbeit verhaftet oder noch mit viel Schlimmerem | |
konfrontiert sein wirst.“ Ich dachte: Die übertreiben. Wären diese | |
Warnungen doch nur leere Warnungen geblieben. Als ich damals anfing, erste | |
Texte zu schreiben, erreichten uns im Büro die Briefe von inhaftierten | |
Kolleg*innen, die im Rahmen der KCK-Verfahren gegen Journalist*innen (KCK | |
ist der politische Arm der als Terrororganisation eingestuften PKK, Anm. d. | |
Red.) eingesperrt wurden. Heute sind es meine Briefe, die hinter | |
Betonmauern und Eisengittern geschrieben werden. | |
Seit knapp einem Jahrhundert verkompliziert sich das Kurdenproblem. Mit dem | |
Einfrieren der Friedensprozesses (zwischen der türkischen Regierung und der | |
PKK, der 2015 abrupt endete, Anm. d. Red.) sind unzählige | |
Menschenrechtsvergehen in kurdischen Dörfern und Städten an der Grenze zum | |
Irak und zum Iran zu beklagen. Um diese Vergehen ans Licht zu bringen, bin | |
ich damals in meine Heimatstadt Gever (auf Türkisch Yüksekova) | |
zurückgekehrt. Wo Journalist*innen zum Ziel werden, kann man darauf wetten, | |
dass auch Wahrheiten verdeckt werden. Mit den hohen Sicherheitsauflagen | |
wurde auch die Lage für uns Journalist*innen immer schwieriger: Nicht nur | |
hatten wir mit Anklagen zu kämpfen, sondern wir wurden auch öffentlich | |
bedroht. | |
## Minenfeld | |
Hier als Journalist zu arbeiten, ist mindestens so gefährlich, wie auf | |
einem Minenfeld Blindekuh zu spielen. Ich trat auf eine solche Mine. „Ihr | |
werdet die Stärke des Türken noch spüren!“, rief eine Gruppe von maskierten | |
Sondereinsatzkräften, als sie kurdische Bauarbeiter bäuchlings | |
malträtierte. „Was hat euch dieser Staat getan?“, riefen sie. Ich | |
berichtete über diese Szene, teilte das Video mit der Öffentlichkeit und | |
wurde damit zum Ziel. | |
Auch wenn ich zuvor schon viele Male auf Recherche bedroht worden war, habe | |
ich weiter berichtet und an meiner Arbeit festgehalten. Von unzähligen | |
Twitteraccounts der Jitem (eine informelle Konterguerilla-Organisation des | |
türkischen Geheimdiensts, Anm. d. Red.), die für unaufgeklärte politische | |
Morde verantwortlich gemacht wird, erhielt ich öffentliche Morddrohungen: | |
„Wir schauen bei jedem Toten, ob du dabei bist.“ Anzeigen auf diese | |
Morddrohungen hin brachten nichts. Am 12. Mai 2016, als ich in einer Stadt, | |
in der eine Ausgangssperre verhängt worden war, über bewaffnete Kämpfe | |
berichtete, traten mich Polizeikräfte zu Boden und nahmen mich fest. | |
Auch wenn es anfangs verleugnet wurde, wurde durch öffentlichen Druck bald | |
bekannt, dass ich in Gewahrsam war. Am nächsten Tag kam ich in Haft und | |
wurde nach 13 Monaten ohne Anklageschrift vor Gericht gestellt. Es war ein | |
Pro-forma-Prozess: Alle Zeugenaussagen wurden vor Gericht zurückgezogen, | |
weil sie unter Druck entstanden waren. In meiner Anklageschrift gab es | |
nicht einen konkreten Beweis für die vorgebrachten Vorwürfe. Allein | |
aufgrund meiner journalistischen Tätigkeit bekam ich acht Jahre und neun | |
Monate Haft. Als Grund wurde angeführt, dass ich „verstörende Nachrichten“ | |
verbreiten würde. | |
In vielen Ansprachen betont Staatspräsident Erdoğan, dass „kein Journalist | |
wegen seiner Tätigkeit in Haft“ sei. Dennoch befinden sich derzeit mehr als | |
170 Journalist*innen in Haft. Indem sie als Kriminelle gebrandmarkt wurden, | |
wird auch ihre Arbeit diskreditiert. Mit dem Vorwurf, verstörende | |
Nachrichten zu verbreiten, wurde ich also zu einer komplett irren Strafhöhe | |
verdonnert. Ich ging in Revision. Am 31. Mai 2018 (dem Tag, als der Brief | |
geschrieben wurde, d. Red.) befinde ich mich seit 750 Tagen hinter Gittern. | |
Diese Eckdaten meiner Erlebnisse können kaum abbilden, was kurdische | |
Journalist*innen an Ungerechtigkeiten ertragen. | |
Nahezu alle kurdischen Medien wurden dichtgemacht. Nachdem Dutzende von | |
kurdischen Journalist*innen inhaftiert wurden, gab es dafür wieder etliche, | |
die weiterhin berichteten und sogar zwei Zeitungen gründeten. Auch diese | |
versuchte man per Zwangsverwalter auf Linie zu bringen und beschlagnahmte | |
ihre Druckerei. | |
## Wahlmanipulation | |
Aber wir sollten unsere Energie auf den Wahltag konzentrieren, vor allem, | |
was mögliche Wahlmanipulationen angeht. Die Regierungspartei hat eine | |
einzige Wahlstrategie: die HDP unter der Zehnprozenthürde zu halten. Nicht | |
dass ich etwas herbeireden möchte, aber es könnte sein, dass in den | |
kommenden Tagen Wahlbeobachter*innen oder Wahlhelfer*innen der HDP daran | |
gehindert werden, an dem Tag an den Wahlurnen zu stehen. | |
Wenn die HDP angesichts der aufgerüsteten Sicherheitskräfte oder mit | |
manipulierten Stimmzetteln unter den 10 Prozent bleiben sollte, kann das | |
oppositionelle Wahlbündnis sogar mit 45 Prozent aller Stimmen nicht mehr | |
viel ausrichten. Bei 9,9 Prozent für die HDP wandern die Stimmen zur | |
stärksten Partei, das würde 65 bis 70 Abgeordnete für die AKP bedeuten. Um | |
zu gewährleisten, dass sich der Wähler*innenwille wirklich an den Wahlurnen | |
abbildet, sind alle gefragt, die an die Demokratie glauben, um derlei | |
Manipulationen im Vorfeld und während der Wahl zu verhindern. | |
Uns inhaftierten kurdischen Journalist*innen gibt es Hoffnung, dass die | |
taz sich über Ländergrenzen hinweg solidarisch mit uns zeigt. Wir werden | |
nicht aufhören, als Journalist*innen zu arbeiten und sind bereit, den | |
Preis dafür zu zahlen. | |
Ich sende Ihnen aus der Ferne hoffnungsvolle und solidarische Grüße, Nedim | |
Türfent | |
Aus dem Türkischen von Ebru Taşdemir | |
22 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Nedim Türfent | |
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