# taz.de -- Bitcoins in Island: Goldrausch 4.0 | |
> Island ist ein Hotspot der Bitcoin-Herstellung, denn hier ist der Strom | |
> günstig. Auch deutsche Unternehmen mischen mit, geben aber wenig preis. | |
Bild: Hier wird die virtuelle Währung gescheffelt: Server-Raum der Bitcoin-Min… | |
Reykjavík taz | Es war Anfang Januar 2018, als der Kurs der Kryptowährung | |
Bitcoin begann, abzustürzen. Es dauerte nicht lange, bis Philip Salter mit | |
Mails und Anrufen überflutet wurde: Freunde, Bekannte und Unbekannte wurden | |
panisch, sie wollten wissen, was da gerade mit ihrem Geld passierte. | |
Salters Rat war simpel: „Einfach ruhig bleiben, durchatmen und nicht immer | |
auf den Computer starren. Wer Bitcoins besitzt, sollte diese einfach mal | |
unbeachtet liegen lassen“, so der 25-Jährige, der sich plötzlich wie ein | |
Anlageberater für die Kryptowährung fühlte. | |
Der Münchner ist Head of Operations von Genesis Mining. „Ich regle den | |
Betrieb des Datencenters“, sagt Salter. Das Unternehmen ist einer der | |
größten Bitcoin-Miner weltweit, nach eigenen Angaben hat es knapp zwei | |
Millionen Kunden. Genesis Mining ist in Hongkong gelistet und bietet | |
Rechenkapazitäten an, um Kryptoanlagen wie Bitcoin zu „schürfen“: Um die | |
digitale Währung herzustellen, muss ein Computer ein Rechenrätsel lösen. | |
Sobald er das geschafft hat, wird er mit einem Bitcoin belohnt. Im | |
Fachjargon spricht man vom Schürfen oder „Mining“. | |
Die erste Farm gründete Genesis Mining 2014 in Bosnien, seit Anfang 2017 | |
sind sie auf Island in Betrieb. Das Equipment damals sei „noch unerhört | |
schlecht“ gewesen, „heute entspricht es dem Standard“, sagt Salter, der | |
seit 2014 bei Genesis Mining arbeitet. „Ein Jahr im Kryptobusiness ist wie | |
zehn Jahre in der normalen Welt“, sagt der große, blonde Mann. Wie viele | |
Standorte Genesis Mining hat, will er wegen der Konkurrenz nicht verraten. | |
Nur so viel: Genesis Mining ist nicht auf allen Kontinenten vertreten. | |
Im Datencenter nahe der isländischen Hauptstadt Reykjavík arbeiten vier | |
Isländer. Zum Mitarbeiterstamm würden weltweit 200 Leute zählen – | |
überwiegend junge Leute, überwiegend männlich. Es sind Nerds wie Salter, | |
der im Gespräch immer wieder Fachbegriffe wie Peer-to-Peer-Technologie oder | |
Blockchain fallen lässt. Wer die Farm auf Island besichtigen will, wird von | |
Salter am Flughafen Keflavík abgeholt. Man habe Besuchern auch schon die | |
Augen verbunden, sagt Salter, um den Standort geheim zu halten. | |
## Zäune, Kameras und Wachpersonal | |
Am Ziel angekommen, gibt es keinen Hinweis auf das Unternehmen, lediglich | |
Zäune, Kameras und Wachpersonal. Von außen sind die zwei Hallen grau und | |
unscheinbar. Drinnen herrscht ohrenbetäubender Lärm, türmen sich meterhohe | |
Regale mit geschätzt 40.000 Grafikkarten. Deren Rechenleistung ist | |
vergleichbar mit der der größten Computer der Welt. Überall blinken Lichter | |
– es fühlt sich an wie in einem Science-Fiction-Film. Auch was Genesis | |
Mining hier untertags an Umsatz generiert, will Salter nicht sagen – die | |
Konkurrenz soll nicht darauf schließen können, wie groß die Farm ist. | |
Was paranoid klingen mag, hat handfeste Gründe. In der Welt der | |
Kryptowährungen gibt es viel begehrtes Diebesgut: Allein seit der | |
Markteinführung der dezentralen Währung 2009 sollen Hacker ein Drittel | |
aller Börsen schon einmal erfolgreich angegriffen haben, wie Forscher der | |
University of Tulsa 2016 herausgefunden haben. Und auch Island wird von | |
einer heftigen Diebstahlserie heimgesucht. | |
Dabei werden aber nicht die virtuellen Assets selbst, sondern die Rechner | |
gestohlen, mit denen Erstere sich schürfen lassen. In den vergangenen | |
Monaten wurde aus unterschiedlichen Rechenzentren Mining-Hardware im Wert | |
von mehreren Millionen Euro gestohlen. Die Beute wurde bisher nicht | |
gefunden, die Polizei hofft, der gestohlenen Hardware durch die Verfolgung | |
des Energieverbrauchs auf die Spur zu kommen. Denn um die begehrten | |
Kryptowährungen herzustellen, ist sehr viel Energie nötig. | |
Bitcoin-Farmen gibt es weltweit, „minen“ lässt sich eigentlich überall. | |
Dabei führen Computer Berechnungen aus, um weitere Einheiten der | |
Kryptoanlage digital zu „schürfen“. Die Rechner laufen dafür rund um die | |
Uhr und verbrauchen sehr viel Energie. Unter anderem deswegen boomt die | |
Technologie auf der nordeuropäischen Insel ganz besonders: „Deutschland | |
kann man wegen der zu hohen Strompreise komplett vergessen“, sagt Salter. | |
In Island sind die Stromkosten vergleichsweise gering: Laut Eurostat kostet | |
eine Kilowattstunde für Unternehmen 8 Cent. Das ist wesentlich günstiger | |
als in Deutschland, wo der Preis bei 15,2 Cent liegt. | |
Der Grund: Der kleine Inselstaat gewinnt seinen gesamten Strom aus | |
erneuerbaren Energien, der Großteil wird durch Wasserkraft und aus Erdwärme | |
erzeugt. Außerdem ist es durch die niedrigen Temperaturen und stetigen Wind | |
leichter, die Rechenzentren zu kühlen. Wie hoch die Stromkosten für Genesis | |
Mining sind, will Salter nicht verraten. Die Preise sind Verhandlungssache | |
mit dem Stromanbieter. | |
Doch die Entwicklung setzt das Land auch unter Druck: Die dort ansässigen | |
Bitcoin-Produzenten werden in diesem Jahr mehr Energie verbrauchen als alle | |
isländischen Privathaushalte zusammen. Der jährliche Stromverbrauch der | |
rund 340.000 Einwohner liegt bei 700 Gigawattstunden, die Rechenzentren | |
kommen bald auf 840 Gigawattstunden, sagt der Sprecher des isländischen | |
Energieunternehmens Hitaveita Suðurnesja, Jóhann Snorri Sigurbergsson. Es | |
gebe eine hohe Anzahl von Kundenanfragen, so Sigurbergsson: „Wenn all diese | |
Projekte realisiert werden, haben wir nicht genug Energie.“ Eine Kritik, | |
die Salter etwas anders sieht: Es gebe ja genug Strom auf der Insel. Wegen | |
Bitcoin-Farmen würden nirgendwo die Lichter ausgehen. | |
Pro Tag können derzeit maximal 1.800 Bitcoins errechnet werden, so wurde es | |
in der der Währung zugrunde liegenden Software festgelegt. Je mehr Menschen | |
sich für Bitcoin interessieren, desto knapper wird also die Währung. Je | |
mehr Computer mitrechnen, desto kleiner ist die Chance jedes einzelnen | |
Rechners, Bitcoins zu gewinnen. Wer heute noch große Mengen schürfen will, | |
braucht somit riesige Rechnerparks. Ein immer härter werdender Wettkampf, | |
denn es gibt ein Limit von 20 Millionen Bitcoins weltweit – eine Zahl, die | |
ebenfalls im Basiscode festgelegt wurde. | |
Dennoch schürfen die Unternehmen fleißig weiter, der beispiellose Anstieg | |
des Bitcoin-Börsenkurses 2017 faszinierte Anleger weltweit: Innerhalb von | |
zwölf Monaten verfünfzehnfachte sich die Notierung – ungeachtet der | |
Warnungen zahlreicher Experten. Nur kurze Zeit später folgte schon der | |
Abwärtstrend beim Bitcoin-Kurs. Im März wurde die Marke von 8.000 US-Dollar | |
unterschritten. Am Montag gab die südkoreanische Krypto-Börse Coinrail | |
einen erneuten Hackerangriff bekannt, bei dem rund 30 Prozent der | |
gehandelten digitalen Münzen gestohlen wurden. Der Kurs der Bitcoin verlor | |
13 Prozent und fiel damit deutlich auf ein Zwei-Monats-Tief von 6.650 | |
Dollar. Ein historisch schlechtes Quartal für die junge Digitalwährung – im | |
Januar hatte der Kurs noch bei 17.000 US-Dollar gelegen. | |
## Notenbanker sehen Bitcoins skeptisch | |
Gründe dafür gibt es einige: Eine starke Überbewertung, zunehmende | |
Spekulationen. Wegen der zunehmenden Anzahl von Betrügern im Internet | |
verboten Google, Twitter und Facebook jüngst sogar Werbung für | |
Kryptowährungen. „Das ist großartig“, kommentiert Salter diesen Schritt. … | |
der Szene ist es nämlich nicht ungewöhnlich, dass sich jemand zu Hause eine | |
Webseite bastelt, Geld von Investoren einsackt – und verschwindet. Auch | |
deshalb begegnen Notenbanker Bitcoin mit Skepsis. | |
Der Chef der französischen Notenbank Banque de France, François Villeroy de | |
Galhau, sieht Kryptowährungen als „spekulatives Geldanlageobjekt, dessen | |
Wert extrem schwankt und das keine ökonomische Basis hat“. In den USA | |
warnte der Vizechef der US-Notenbank Fed, Randal Quarles, vor den Gefahren | |
von digitalem Geld; es sei völlig unklar, wie private Kryptowährungen ohne | |
den Rückhalt einer Notenbank in Krisenzeiten funktionieren würden. Auch die | |
EZB warnte vor Kryptowährungen. | |
„Das machen Banken gerne“, sagt Salter mit einem Lachen. „Dann geht näml… | |
der Preis von Bitcoin hinunter.“ Die Banken würden dann selbst | |
Kryptowährungen kaufen – „das ist Marktmanipulation“, behauptet Salter. | |
„Bitcoin ist die Lösung für dieses Problem. Was wäre denn, wenn Bitcoin vor | |
der EZB warnen würde?“ | |
Banken, so findet er, seien wichtig, sie würden viel Sinnvolles | |
vorantreiben, hätten „extrem viel Geld und Macht. Doch jeder Mensch und | |
jede Bank, die viel Macht bekommt, entwickelt früher oder später Probleme. | |
Jeder Mensch ist korrumpierbar und fehlbar“, findet Salter. „Krypto“ habe | |
dieses Problem nicht: Es gebe vordefinierte Regeln, bei Zuwiderhandeln | |
werde der User von der Netzgemeinde ausgestoßen, argumentiert Salter. „Man | |
muss Kryptowährungen nicht vertrauen, um sie zu benutzen.“ | |
13 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Cigdem Akyol | |
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