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# taz.de -- Prozess zu Kindesmissbrauch in Staufen: Ohne Worte
> Nahe Freiburg soll ein Junge jahrelang von seiner Mutter und ihrem Freund
> zur Vergewaltigung verkauft worden sein. Am Montag beginnt der Prozess.
Bild: Einer der Angeklagten vor Gericht
Staufen taz | Staufen, ein sonnenverwöhntes Städtchen südlich von Freiburg,
mit Burgruine und umgeben von Reben, verkörpert eigentlich das gute Leben.
Seit Anfang des Jahres steht es nun für einen der schlimmsten Fälle von
Kindesmissbrauch der Bundesrepublik. Zwei Jahre lang soll dort eine Mutter
und ihr einschlägig vorbestrafter Lebensgefährte einen heute neunjährigen
Jungen zur Vergewaltigung angeboten haben.
Die Täter reisten aus Norddeutschland, der Schweiz und Spanien an, bis die
Beamten im September letzten Jahres zugriffen. Erst da lagen die
notwendigen Beweise für das Pädophilennetzwerk auf dem Tisch. Aber schon
Monate davor wusste das Jugendamt und das Familiengericht, dass ein
bekannter Pädophiler bei dem Jungen in Staufen eingezogen ist. Geschehen
ist damals wenig.
Immerhin, die Justiz hat jetzt schnell gearbeitet. Drei der Vergewaltiger,
Kunden oder Freier mag man diese Männer kaum nennen, sind bereits
verurteilt, darunter auch ein Bundeswehrsoldat mit pädophilen Neigungen.
Ein Vierter, ein alleinstehender Maurer aus der Schweiz, steht derzeit in
Freiburg vor Gericht.
Vor der gleichen Kammer müssen sich ab Montag auch die Hauptbeschuldigten,
Berrit B., die Mutter des Jungen, und ihr 39 Jahre alter Lebensgefährte,
Christian L., verantworten. Während die Mutter hartnäckig zu den Vorwürfen
und Motiven schweigt, hat der zweite Haupttäter, der wegen
Kindesmissbrauchs vorbestrafte Christian L., bereits als Zeuge in den
anderen drei Verfahren seine Schuld gestanden.
Im laufenden Prozess gegen den Mann aus der Schweiz bekannte er als Zeuge:
„Dass ich der Haupttäter bin, ist absolut richtig.“ Finanzielles habe bei
den Einladung zum Missbrauch des Jungen nicht im Vordergrund gestanden,
sagte der Mann, der sich auch selbst an dem Kind vergangen hat. „Es
steckten auch sexuelle Motive dahinter.“ Seine umfassende Aussage will er
als Beitrag „zur Gerechtigkeit“ verstanden wissen. Ihm sei bewusst, dass er
„Riesenmist gebaut habe“.
## Geld und Spielsachen erhalten
Schon aus den bisherigen Verfahren ergibt sich ein abstoßendes Bild aus
Gewalt und psychischem Druck. Die Männer, von denen der Junge missbraucht
wurde, stellten sich dem Kind meist als Polizisten vor. Wenn er nicht
mitmache, müsse seine Mutter ins Gefängnis und er käme ins Heim, so die
grausame Drohung, um den Jungen gefügig zu machen. Dreimal soll allein der
Maurer aus der Schweiz den Jungen brutal vergewaltigt haben.
Insgesamt soll es in den zwei Jahren zu 60 Taten dieser Art gekommen sein.
Im Kinderzimmer, im Freien und in einem Container auf dem Staufener
Bahnhofsplatz. Taten die jedes Mal auch gefilmt und von dem Pärchen zum
Teil auch ins Netz gestellt wurden. Nicht in allen Fällen flossen dafür
große Summen. Während manche sogenannten Freier manchmal mehrere tausend
Euro bezahlten, soll der Schweizer laut Staatsanwaltschaft insgesamt nur 50
Euro bezahlt haben.
Ein anderer Verurteilter durfte sich gar umsonst an dem Jungen vergehen.
Als Belohnung soll der Junge, der oft gefesselt wurde, weil er sich gegen
seine Peiniger wehrte, Geld und Spielsachen erhalten haben. Im Fall des
Schweizers seien die Täter und das Opfer gemeinsam in ein Restaurant zum
Essen gegangen.
Es sind auch solche Tatdetails, die selbst hartgesottenen Ermittlern zu
schaffen machen. Sie sprechen vom schwersten Fall von Kindesmissbrauch in
Baden-Württemberg. Der Fall ist neben den brutalen Taten auch deshalb so
beklemmend, weil er bei besserem Informationsfluss zwischen Gerichten und
Jugendamt womöglich hätte verhindert werden können.
## Keine „validen Anzeichen“ für Missbrauch
Christian L., der wegen des Besitzes von Kinderpornografie und Missbrauch
eines 13-jährigen Mädchens bereits im Gefängnis gesessen hatte, war nur
gegen Auflagen frei gekommen. Unter anderem war ihm untersagt, sich Kindern
zu nähern. Der Mutter des Jungen und Christian L. war auch untersagt
worden, in eine gemeinsame Wohnung zu ziehen. Das Kind war vom Jugendamt
zeitweise in ein Kinderheim gebracht, dann aber wieder auf Beschluss des
Familiengerichts zur Mutter zurückgegeben worden. Auch als die zuständigen
Behörden erfuhren, dass Christian L. bei der Mutter und ihrem Sohn lebt,
geschah fünf Monate lang nichts. Es lagen keine „validen Anzeichen“ für
einen Missbrauch vor, erklärten Gericht und Jugendamt. Vor allem aber haben
„keine Fakten oder Vermutungen dafür vorgelegen, dass die Mutter des Jungen
in einen tatsächlich schon erfolgten Missbrauch des Kindes verwickelt war“.
Derzeit versucht eine Arbeitsgruppe der beteiligten Behörden und Gerichte
die Fehler in dem Fall zu analysieren und daraus Lehren für die Zukunft zu
ziehen. Ein Bericht wird nach Angaben des Oberlandesgerichts Karlsruhe Ende
Juli veröffentlicht.
Auch wenn der Staufener Fall in diesen Details einzigartig zu sein scheint,
lenkt er dennoch die Aufmerksamkeit auf die anhaltend hohe Zahl von
Missbrauchsfällen an Kindern in Deutschland. Laut Kriminalstatistik
erfasste die Polizei im vergangenen Jahr in Deutschland 13.539 Fälle von
Vergewaltigung und anderer sexueller Gewalt. Wegen über 16.000 Fällen von
Besitz von Kinderpornografie gehen die Ermittler jedoch von einer großen
Dunkelziffer aus. Holger Münch, Präsident der Bundeskriminalamts, sagt:
„Wir müssen davon ausgehen, dass viele Taten unentdeckt bleiben.“
## Hinweis des FBI
Um Ermittlungen in pädophilen Netzwerken im Internet zu erleichtern,
schreckt die Hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) nicht mehr
vor einer Maßnahme zurück, die bisher als Tabu galt: Wenn es nach ihr geht,
sollten Ermittler künftig selbst Kinderpornografie verschicken dürfen, um
sich im Darknet unerkannt Zugang zu pädophilen Kreisen verschaffen zu
können. Es gebe in jüngster Zeit Angebote von Opfern, die Bilder von ihren
Leiden für Ermittlungen zur Verfügung stellen wollen, sagte die
CDU-Politikerin. Sie halte das im Einzelfall für vertretbar.
Im Fall von Staufen führte ein Hinweis vom amerikanischen FBI die Ermittler
auf die Spur. Und eine ungewöhnliche Maßnahme jenseits des Cyberspace
förderte Beweise gegen Christian L. und Berrit T. zutage. Die Polizei
musste Wasser des Stadtsees von Staufen ablassen, um eine Festplatte mit
Bildern von den Taten sicherstellen zu können, die Christian L. dort
versenkt hatte.
10 Jun 2018
## AUTOREN
Benno Stieber
## TAGS
Kindesmissbrauch
sexueller Missbrauch
Zwangsprostitution
Kindesmissbrauch
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