# taz.de -- Buch über Frank Schirrmacher: Inspektor sucht Normalität | |
> Kann man im Rückblick mal etwas uneindeutiger auf den „FAZ“-Herausgeber | |
> Frank Schirrmacher schauen? Genau dazu lädt Michael Angele ein. | |
Bild: International ein gefragter Gesprächspartner: Frank Schirrmacher (Archiv… | |
Manche Blattmacher werden im eigenen Land zu wichtigen Stichwortgebern, | |
doch nur die wenigsten machen auch im Ausland von sich reden. Frank | |
Schirrmacher war einer von ihnen. Wenn es heute noch so etwas wie | |
„intellektuelle Macht in Deutschland“ gibt, schrieb Le Monde 1996 | |
ehrfürchtig, dann ist Frank Schirrmacher einer ihrer wichtigsten | |
Repräsentanten. | |
Mit 23 der erste Artikel in der FAZ, mit 29 Literaturchef und mit 34 | |
Herausgeber der maßgeblichen „konservativen“ Stimme in Deutschland. Wofür | |
steht der Feuilletonchef? Gegenüber den französischen Journalisten nannte | |
Schirrmacher zwei Eckpfeiler seiner Haltung: eine resolute Ablehnung von 68 | |
und den Wunsch nach nationaler Normalität. „Wir Deutsche“, so gab er zu | |
Protokoll, „träumen davon“, so zu werden wie „die Franzosen oder | |
Engländer“. | |
In die Finger kam mir die FAZ das erste Mal in den späten neunziger Jahren. | |
„Zeitung in der Schule“ hieß das Projekt, das dafür sorgte, dass jeden | |
Morgen ein gewaltiges Bündel – mehrere Dutzend Exemplare der FAZ – | |
geliefert wurde. Viele Ausgaben flatterten ungelesen über das Schulgelände, | |
andere lagen im Rektorat aus, ein angemessen gravitätisches Dekor, um sich | |
die „Zeitung für Deutschland“ zu Gemüte zu führen. | |
Ein Freund machte es sich zur beinahe täglichen Aufgabe, die FAZ von der | |
ersten bis zur letzten Seite zu lesen. An mitreden war, für mich | |
zumindest, nicht zu denken, geistig mitkommen war alles und, gerade was das | |
Feuilleton anging, schwer genug. Vielleicht lag es am Alter, vielleicht an | |
diesen „19. | |
Jahrhundert-‚Über-uns-liegt-ein-Hauch-von-Spätantike-wir-sind-das-Land-der | |
-Phäaken‘-Sätzen“ (Rembert Hüser), die doch zu unserem altsprachlichen | |
Internat passten wie der Arsch auf den Eimer. | |
## Viel Drama und noch mehr Kinkerlitzchen | |
Wir hatten damals keinen Schimmer von den Scherereien und Schlammschlachten | |
hinter den Kulissen, die Michael Angele ins Zentrum seines Buchs über Frank | |
Schirrmacher rückt. Es ist eher ein Sozio- als ein Psychogramm: Über | |
verborgene Motivationen wird zwar gelegentlich spekuliert, aber im | |
Wesentlichen geht es um Verhaltensweisen und Interaktionen im | |
Mikrokosmos Journalismus. | |
Es erwarten einen viel Drama und noch mehr Kinkerlitzchen aus der Boyzone. | |
Doch Schirrmachers Führungsstil war eben tatsächlich mitverantwortlich für | |
die großen Migrationsbewegungen des deutschen Männerfeuilletons: Den | |
Redakteuren, die gehen wollten oder mussten, stand ein Vielzahl von Autoren | |
gegenüber, die er zur FAZ holte. | |
Bedauerlicherweise verfehlen manche Spannungsbögen in Angeles Porträt ihre | |
Wirkung, weil das Textgerüst an gewissen Stellen eher notdürftig | |
zusammengeschraubt ist. Das tut dem Interesse am Buch allerdings keinen | |
Abbruch. Viele der geschilderten Begebenheiten – die | |
Einschüchterungsversuche oder das Ausbooten unliebsamer Kollegen, die aus | |
dem Textverkehr gezogen werden, ebenso wie die Begeisterungsfähigkeit und | |
die Anteilnahme, die sich ihres eigenen taktischen Kalküls nicht schämen – | |
sprechen ohnehin für sich. | |
Diese Welt ist faszinierend, aber sie ist zu klein, denke ich beim Lesen | |
immer wieder, und seither wohl noch kleiner geworden: Jede Veränderung | |
kommt als Reigen daher, es werden vor allem Plätze getauscht. Das | |
begünstigt Abhängigkeitsverhältnisse und üble Nachrede. Die bedrückendsten | |
Passagen des Buches lassen die Abgründe des Angestelltendaseins in den | |
Printmedien mehr als erahnen – dann vielleicht doch lieber prekär | |
ausschlafen. | |
## Von der Warte des Allgemeinen aus sprechend | |
Schirrmacher war international ein gefragter Gesprächspartner und lieferte | |
Korrespondenten zuverlässig O-Töne, die immer schon vom süßen Dasein als | |
Überschrift träumten. Die Themen hatte er ja oft genug publizistisch | |
begleitet und nicht selten sogar selbst lanciert. Und zwar nicht auf | |
irgendeine Weise: Die Einverleibung einer Problematik war für Schirrmacher | |
stets auch eine Entleibung, von der er aufgekratzt Zeugnis ablegt. Nicht | |
„ich“ sagend, sondern von der Warte des Allgemeinen aus sprechend. | |
Was im Rückblick frappiert, ist, wie aktiv Schirrmacher, dem, wie Urs | |
Widmer 1988 im Merkur lakonisch bemerkte, „die Gnade der späten Geburt | |
sogar die Schreckensjahre von 1968 erspart hat“, Geschichtspolitik | |
betrieben hat. Schirrmacher wollte die deutsche Vergangenheit des 20. | |
Jahrhunderts filmreif schreiben. Alles, was in Kino und Fernsehen Uniform | |
trug, wurde inspiziert. Als Fetisch sicher bedenkenswert, als Kriterium der | |
Vergangenheitsbewältigung ziemlich lächerlich. Wie viel Zeit und Platz für | |
filmische Nazi- und Widerstandsmemorabilia bei der FAZ aufgewendet wurde! | |
Bereits im Oktober 1987 schwadronierte Schirrmacher von einem „Epos aus der | |
Nazi-Zeit“, auf das er vergeblich warte. Als 1993 Helmut Kohl und François | |
Mitterrand am Jahrestag des Hitler-Attentats vom 20. Juli bei Ernst Jünger | |
– der Frankreich in mehr als einer Hinsicht für sich einzunehmen wusste – | |
vorbeischauten, entwickelte Schirrmacher dafür nachträglich ein geradezu | |
hymnisches Skript. Die Idee des auf die Leinwand gebannten | |
Offizierswiderstands ließ ihn, immer auf der Suche nach „historischer | |
Verdichtung“, nicht mehr los. | |
## Tom Cruise verdient eine Chance | |
Die Stationen, die sie durchläuft, fügen sich zu einem eigenwilligen | |
Fünfakter. Zunächst die Begegnung mit Jo Baiers Fernsehfilm | |
„Stauffenberg“(2004). Vor dem Fernseher sitzend (oder irre ich mich?), | |
schreitet Schirrmacher das Set ab und begutachtet die Kulissen: Zu seiner | |
Zufriedenheit stellt er fest, dass „Hitlers Lagebaracke und überhaupt das | |
im ostpreußischen Sumpfgebiet liegende Führerhauptquartier bis hin zu den | |
Mücken sehr genau rekonstruiert“ sind. Aber doch fehlt hier etwas, moniert | |
Schirrmacher, die symbolische Dimension bleibt im Film unterentwickelt. | |
Unverzeihlich: Dieser Stauffenberg zitiert nur einmal Stefan George, dessen | |
Gedichte auch Schirrmacher ziemlich verstrahlt haben. | |
Als 2007 durchsickert, dass Tom Cruise in einer US-Produktion den | |
gescheiterten Tyrannenmörder spielen wird, erlebt Schirrmacher im zweiten | |
Teil des Stücks ein Wechselbad der Gefühle. Cruise, der Scientologe, ist | |
einer dubiosen Sekte verfallen. Der Schock weicht bald der Einsicht: Auch | |
der George-Kreis stünde heute als Sekte unter Beobachtung, und deshalb | |
verdient Cruise eine Chance. Dritter Teil: Schirrmacher findet sich am | |
Drehort ein. Die Wahl des Hauptdarstellers entpuppt sich als Glücksgriff. | |
So ähnlich sieht Cruise Stauffenberg, dass den Journalisten „eine Ahnung | |
von der möglichen Wirkung“ dieses Films streift. Dazu wird ihm „eine | |
wirklich unfassbare und unvergessliche Torte serviert“. | |
Der vierte Akt: „Operation Walküre“ ist in den Kinos angelaufen, das | |
Phänomen hat sich zu einem „globalisierten 20. Juli“ ausgewachsen. Auch die | |
Sprache beginnt sich zu verändern, Schirrmacher notiert: „ ‚Hitlercide‘, | |
frei übersetzt ‚Hitlermord‘, ist eine der neuesten amerikanischen | |
Vokabeln“, ein deutlicher Beleg dafür, „dass der 20. Juli 1944 in der | |
Populärkultur angekommen ist“. Es ist freilich ein Mord, der nie | |
stattgefunden hat, aber „Debatten über Einzelfragen historischer | |
Authentizität“ erscheinen da längst „unangemessen“. | |
## Was trieb Schirrmacher an? | |
Fünfter Akt und Schluss: „Der Burda-Verlag hat beschlossen, Tom Cruise den | |
‚Bambi Courage‘ zu verleihen. Den Bambi für Mut. Auch das ist eine mutige | |
Entscheidung, ich finde, sie ist richtig, ja zwingend.“ | |
Es kam durchaus vor, dass Schirrmachers unbändiger Drang, Themen | |
aufzubauschen und sie über Wochen im Gespräch zu halten, einen Mehrwert | |
erzeugte und einen Debattenstand markierte, hinter den es kein Zurück mehr | |
gab. Als Thilo Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“ 2010 Furore machte, | |
fuhr Schirrmacher zweigleisig. Einerseits kontextualisierte er die Thesen | |
des Autors und konnte gerade dadurch all die blinden Flecken, das bewusste | |
Ausblenden, die politischen Vorannahmen, das stillschweigende Anknüpfen an | |
fragwürdige Mutmaßungen zum Verhältnis zwischen Erbgut und Intelligenz | |
aufdecken. Andererseits ging er mit jenen politischen Verantwortlichen ins | |
Gericht, die es für einen Ausweis politischer Rechtschaffenheit hielten, | |
das Buch über den Vorabdruck hinaus gar nicht erst gelesen zu haben. | |
Sarrazins Positionen wurden in der FAZ konsequent auseinandergenommen, | |
ohne den ehemaligen Bundesbanker zu dämonisieren – kein ganz einfaches | |
Unterfangen, aber eines, das der Selbstviktimisierung, die seit einigen | |
Jahren nicht zuletzt im konservativen Spektrum grassiert, enge Grenzen | |
zieht. | |
Dass nach der Lektüre von Angeles Buch nicht weniger, sondern mehr | |
Unklarheit darüber herrscht, wer Schirrmacher war und was ihn eigentlich | |
antrieb, ist nicht das geringste Verdienst dieses Porträts einer | |
öffentlichen Person, die zu Lebzeiten selbst einiges dazu beitrug, dass man | |
sich ein täuschend deutliches, vorschnell erstarrtes Bild von ihr machte. | |
2 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Danilo Scholz | |
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