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# taz.de -- Gerichtsurteil in Flensburg: Mord in den Dünen
> Zwei Deutsche töteten einen Geflüchteten wegen einer angeblicher
> Vergewaltigung. Das Landgericht Flensburg verurteilte beide Männer wegen
> Mordes.
Bild: Tatort Düne: Polizisten suchen die Leiche von Ceetin K.
NEUMÜNSTER taz | Sie waren Nachbarn, lockere Bekannte gewesen – aber an
einem Abend Ende April vergangenen Jahres brachten Maxim A., damals 26, und
Marvin H., damals 19 Jahre alt, Ceetin K. in den Dünen der Nordseeinsel
Amrum um. Der Grund der blutigen Tat: Die Deutschen glaubten, der
Geflüchtete habe die Freundin Maxim A.s vergewaltigt, die auch die
Schwester von Marvin H. ist.
Beide haben die Tat bei der Polizei gestanden. Marvin H. wiederholte das
Geständnis am Dienstag bei der Hauptverhandlung vor dem Landgericht
Flensburg. Das Gericht verurteilte beide Männer wegen Mordes: Maxim A. muss
eine lebenslange Strafe antreten. Marvin H., der als Heranwachsender gilt
und dem Entwicklungsdefizite bescheinigt wurden, erhielt nach dem
Jugendstrafrecht 7,5 Jahre Haft.
Damit folgte das Gericht fast dem Antrag der Staatsanwaltschaft, die auf
lebenslang und acht Jahre Jugendstrafe plädiert hatte. Ihre Verteidiger
hatten acht und fünf Jahre für Totschlag für richtig gehalten: Als die
Angeklagten mit Ceetin K. in die Dünen gingen, sei die Tötung nicht geplant
gewesen. Die Anwältin des Nebenklägers, des Bruder des Opfers, zeigte sich
zufrieden mit dem Urteil, das noch in einer Revision angefochten werden
könnte.
„Ob die Vergewaltigung stattgefunden hat oder nicht, kann offenbleiben“,
sagte die Richterin am Flensburger Landgericht. Nach den Aussagen und
Indizien, die das Gericht abschließend noch einmal zusammenfasste, war
Ceetin K. sehr wahrscheinlich unschuldig. Was es wohl gab, war ein „Flirt“
zwischen dem 1,80 Meter großen gebürtigen Iraker mit Dreitagebart und
auffälliger Tätowierung am Unterarm und der damaligen Freundin von Maxim A.
Der fand am 27. April Fotos seiner Freundin und dem Nachbarn auf dem
Smartphone der Frau, auf denen die beiden in „vertraulichen Posen“zu sehen
waren, wie die Richterin sagte. Auf die Vorwürfe A.s, seine Freundin habe
ihn betrogen, erzählte sie von der Vergewaltigung.
Ob sie damit leben könne, wenn Ceetin K. „weg sei“, so oder so ähnlich ha…
A. gefragt. Dass nur gemeint gewesen sei, dass der Mann von der Insel
verschwinde, hielt das Gericht für eine Schutzbehauptung.
A. verabredete sich mit Marvin H. Sie rauchten Hasch, aber nicht so viel,
dass es sie beeinträchtigte. A. berichtete H. von dem Vorwurf. Sie
verabredeten ein Zeichen, klingelten bei Ceetin K. und luden ihn zum
gemeinsamen Trinken ein. Ein paar Meter ab von einem Bohlenweg, der durch
Sand und Strandhafer führte, kreiste eine Jägermeister-Flasche, die Ceetin
K. gestiftet hatte.
Auf die Frage, ob K. Sex mit der Freundin gehabt habe, lächelte der
27-Jährige – unklar, ob das ein Eingeständnis oder Verlegenheit war. Darauf
hob A. den Daumen: Das verabredete Zeichen, auf das Opfer loszugehen. H.
schlug mit der Flasche auf ihn ein. Auch ein mitgebrachtes Messer kam zum
Einsatz, das wohl beide Männer benutzten, so das Ergebnis des Prozesses.
Später warfen sie Sand über den Toten. Am nächsten Tag kamen sie zurück,
gruben ein Loch und verscharrten den Leichnam.
## Eine Insel in Aufregung
Das Verschwinden des Geflüchteten hielt die Insel monatelang in Aufregung.
Ceetin K. war bestens integriert und auf sozialen Plattformen sehr aktiv.
Ab Ende April fehlte auf einmal jede Spur. Allerdings waren auch Maxim A.
und Marvin H. verschwunden, die Nachbarn aus dem Mehrfamilienhaus.
Anfangs ging die Polizei davon aus, dass die drei gemeinsam unterwegs
seien. Dann schien ein Unfall möglich, auch die Selbstmordthese stand im
Raum, wurde aber als unwahrscheinlich verworfen: „Der Flüchtling, dessen
Familie ebenfalls in Deutschland lebt, wird als fröhlicher,
unternehmungslustiger junger Mensch beschrieben, der für sich in
Nordfriesland eine Zukunft sah“, schrieb die lokale Tageszeitung Inselbote.
Dann allerdings tauchten Maxim A. und Marvin H. im Juli in Chemnitz wieder
auf, A. stammt aus der Stadt, H. ist Amrumer. Die Polizei begann zu
vermuten, „dass K. die Insel nie verlassen hat“, wie eine Polizeisprecherin
sagte. Mit Hunden und Hilfskräften wurden die Dünen bei Wittdün durchkämmt.
Schließlich gab Marvin. H. den entscheidenden Hinweis auf das Grab.
## Vieles sprach für vorsätzliches Handeln
Im Prozess sagte der junge Mann laut einem Zeitungsbericht, dass er darüber
nachgedacht habe, ob die Geschichte von der Vergewaltigung stimme. Wenn er
einen Unschuldigen auf dem Gewissen gehabt hätte, „wäre das noch schlimmer
gewesen, als es eh schon ist“, sagte er aus. Aber er habe die Geschichte
geglaubt, die Maxim A. ihm erzählte.
Da die Geständnisse vorlagen, hatte das Landgericht vor allem zu würdigen,
ob die Täter vorsätzlich handelten. Und dafür sprach einiges, wie die
Richterin zusammenfasste: So hatte Maxim A. ein Messer eingesteckt. Beide
hatten ihre Smartphones ausgeschaltet oder zuhause gelassen, um „keine
digitalen Spuren zu hinterlassen“, wie die Richterin sagte. „Wäre es nur um
eine Schlägerei gegangen, wäre,das Verwischen von Spuren nicht nötig
gewesen“. Auch das verabredete Zeichen – Daumen hoch – wertete sie als
Beweis für die Tötungsabsicht.
23 May 2018
## AUTOREN
Esther Geißlinger
## TAGS
Mord
Geflüchtete
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Rassismus
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