# taz.de -- Die Wahrheit: Heller als die allerhellste Sonne | |
> Das legendäre Wahrheit-Dramolett spielt sich dieser Tage am Pariser Hofe | |
> ab. Zu Gast bei Emmanuel Jean-Michel Frédéric Macron. | |
Die Kuppel des Panthéon strahlt hell in der Morgensonne. Der Innenraum ist | |
erfüllt von einem goldenen, sanften Flimmern, das Foucault’ sche Pendel | |
schwingt beruhigend hin und zurück, hin und zurück. Auf einem Triclinium | |
liegt Emmanuel Macron, die Augen halb geschlossen, und fischt in einer | |
Silberschüssel M&Ms. Ein Seidenumhang umspielt seine Figur, im Hintergrund | |
ein Streicherquartett. An Macrons Hals hängt die Karlspreis-Medaille vom | |
Donnerstag, an seiner Brust prangt der Order of the British Empire, und | |
auch das Großkreuz des Erlöser-Ordens. Die Chansonnière Zaz trägt ein | |
trikolores Handtuch auf dem Kopf, hat die Fingernägel blutrot lackiert. Sie | |
wendet sich zum Publikum. Drei Knöpfe fehlen an ihrer Bluse. | |
Zaz: Lange hat das Land gedarbt, zu lange. Die Leichtigkeit war verloren | |
gegangen, die Zukunft lag düster vor uns. Bis jetzt; jetzt ist Frankreich | |
wieder auf dem Weg in eine glorreiche Zeit. Zu meiner unaussprechlichen | |
Freude erfahre ich, dass einige der höchsten Götter schon unterwegs sind | |
und auch hier im Panthéon erwartet werden dürfen. Der Himmel soll sehr | |
beunruhigt sein wegen der vielen Loblieder, die zu ihm aufsteigen. Und alle | |
gelten sie diesem Mann: Emmanuel Macron, unser aller neuer Erlöser. | |
Rechts öffnet sich eine Tür, es treten hervor einige Geistesgrößen der | |
französischen, der deutschen Gesellschaft: Jürgen Habermas, Bernard | |
Henri-Lévy, Peter Sloterdijk, Alain Finkielkraut. Sie küssen Macron die | |
Ringhand und defilieren dann weiter, links hinten ins Bühnenbild, wo sie, | |
sich sachte wiegend, Aufstellung nehmen. Leiser Trommelwirbel setzt ein, | |
ein wenig Nebel breitet sich über dem Marmorboden aus. Es erscheint Charles | |
de Gaulle, in sandbeiger Uniform, das Käppi passgenau auf die Frisur | |
gedrückt, wendet er sich zum Publikum. Aus Robespierres tiefen Magenfalten | |
rieselt der Sand; Napoléon Bonaparte, ein Baguette unter dem Arm und in | |
blau-weißem Ringelshirt, saugt im eingerissenen Mundwinkel an einer Gitane. | |
de Gaulle: Werden wir hier erwartet? | |
Zaz: Seit Langem. Aber nur ich wusste, dass ihr kommt. | |
Robespierre (zeigt mit dem Daumen auf den sich räkelnden Macron): Da ist | |
er. | |
Napoléon: Er sieht überhaupt nicht aus wie ich. | |
Robespierre: Sein Glück. | |
Napoléon: Was? | |
Robespierre: Du hättest nicht mit drei mit dem Rauchen beginnen sollen. | |
de Gaulle: Ist gut jetzt. Wir haben einen Auftrag. Wir können noch gute | |
Franzosen finden, jeden Augenblick. Wir dürfen es uns nicht zu leicht | |
machen. | |
Das Wackeln und Schunkeln der Intellektuellen wird heftiger, Henri-Lévy | |
schließt genießerisch die Augen, Habermas tropft ein wenig Speichel aufs | |
Revers. | |
Robespierre: Aber wissen wir denn, was das ist, ein guter Franzose? | |
Napoléon: Also ich schon mal nicht. | |
de Gaulle: Er hat die Macht der Gewerkschaften gebrochen, er hat die alten | |
Parteien zerstört, er ist hart zu seinem Volk, aber gerecht. | |
Robespierre: Unter der Woche isst er nur Steak frites, am Wochenende | |
Jakobsmuscheln. | |
Napoléon: Er hat die Extremisten in die Schranken gewiesen, und nun schickt | |
er sich an, Europa neu zu gestalten. | |
Robespierre: Allerdings sieht er nicht so aus, als tränke er Rotwein. | |
Alle drei schauen zu Macron, der sich versonnen am Brusthaar kratzt. | |
de Gaulle: Naja. | |
Robespierre: Aber schaut, zu seinen Füßen, an seiner Brust: Die Deutschen | |
ehren ihn als großen Europäer! Und auch die Engländer überschütten ihn mit | |
Liebe! | |
Napoléon: Was? | |
Robespierre: England hat gar all seine Ambitionen auf dem kontinentalen | |
Europa aufgegeben! | |
Napoléon: Was? | |
Robespierre (mit mokantem Seitenblick): Und er will den Code Civil | |
verzeitgemäßen! | |
Napoléon: Okay, ich geh jetzt. | |
Links öffnet sich eine Tür, es treten hervor Angela Merkel, unsanft von | |
Donald Trump zur Seite gestoßen, und, im Hintergrund herumdrucksend, | |
Theresa May. Trump stürmt auf Macron zu, der unwillkürlich zurückschrickt, | |
um ihm dann die geballte Faust entgegenzuhalten. Trump zögert, schreit | |
„atomic fist bump“ und schlägt dann aber mit voller Kraft dagegen. Angela | |
Merkel lächelt und nickt huldvoll, Theresa May winkt, die Hand auf | |
Schulterhöhe, mit ihren Fingerchen. Sie nehmen links von Macron | |
Aufstellung. | |
de Gaulle: Haben sie die Bilder gesehen, als er in Amerika war? | |
Robespierre: Das war unwürdig. | |
Napoléon: Aber notwendig. | |
Robespierre: Und erfolglos. Schwach, der Beste von ihnen. Nichts | |
Durchschlagendes! | |
de Gaulle: Wenig, wenig. Alles natürlich von Herzen, aber es sieht nach | |
nichts aus. | |
Napoléon: Er müsste doch wenigstens … | |
Zaz: Verlangt, ich bitte Euch, nicht zu viel von ihm! Frankreich, es ist | |
kein großes Land mehr, es ist nur noch ein Schatten seiner Geschichte. Und, | |
wen wundert’s?, es ist ein provinzielles Land geworden. Das wichtigste | |
kulturelle Ereignis? Es ist mittlerweile die Lese des Beaujolais. | |
de Gaulle: Verwirrtes, nur Verwirrtes! Sollen wir einsehen, dass | |
Frankreichs Bedeutung langsam versandet? | |
Robespierre: Niemals! | |
Napoléon: Da liegt er, der Glanz der Republik, das Jupiterhaupt, die | |
Zukunft Europas! | |
Zaz: Und was, wenn nicht? | |
Alle drei: | |
Und lasset, da die Suche nun vorbei, | |
Uns fahren schnell hinan, | |
gepriesen sei, gepriesen sei, | |
Macron, Frankreichs erster Mann. | |
Lächelnd und winkend verschwinden sie oben. Zaz seufzt. Von draußen ertönt | |
weit weg Gebrüll, es klirrt und kracht. Ferne Stimmen intonieren | |
Revolutionslieder, hin und wieder eine Explosion, dann Gelächter. Die | |
Stimmen werden deutlicher, einzelne Wortfetzen sind hörbar: „Aristokraten … | |
Laterne … Auf geht’s beim Schichtl!“. Zwischendurch vernimmt man | |
Regierungsvorsteher Édouard Philippe, wie er versucht, zu seinen „Lieben | |
Mitbürgern“ zu sprechen. Macron gähnt und beißt dann herzhaft in ein Stück | |
Brioche. Die Chansonnière hebt an. | |
Zaz: Die Franzosen sind aufgewacht. Draußen hauen sie ganz Paris entzwei. | |
Nicht alle unter ihnen möchten darben für Frankreichs goldene, nein güldene | |
Zukunft. So sind sie eben nun mal geworden: Der Barsch auf dem Tisch ist | |
ihnen wichtiger als der Arsch im Élysée. Aus diesem Volk kann gar gar | |
nichts werden, es ist gar zu kurzsichtig, gar zu wehleidig, gar zu | |
genusssüchtig. Dafür haben wir die beste Küche der Welt, immerhin. | |
Zaz nimmt einen silbrig leuchtenden Dudelsack, setzt ihn an, sieht | |
nachdenklich ins Publikum. Dann spielt sie, die Augen dabei halb | |
geschlossen, Beethovens „Ode an die Freude“. Nachdenklich ist ihre filigran | |
sich kräuselnde Stirn in Falten gelegt, während der schwarze Vorhang fällt. | |
12 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Frederic Valin | |
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