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# taz.de -- Sikhs in Berlin: „Wir sind vorsichtig“
> Sikhs mit Turban werden oft Opfer rassistischer Beleidigungen. Um über
> ihre Religion aufzuklären, veranstaltet die Gemeinde am Samstag einen
> Turban-Tag.
Bild: „Viele glauben, dass ein Mann mit einem Turban und langen Bart automati…
taz: Frau Kaur, Herr Singh, die Religionsgemeinschaft der Sikhs in Berlin
ist mit rund 1.500 AnhängerInnen sehr klein. Haben Sie Probleme mit
Diskriminierung?
Ranjit Paul Kaur: Zum Glück nicht wirklich.
Amarjeet Singh: Bislang hatten wir keine großen Probleme. Die meisten Sikhs
in Berlin sind gebildete Fachkräfte oder IT-Spezialisten und haben nette
Kollegen. Sie leben in einem gebildeten und aufgeschlossenen Umfeld. Ein
bisschen anders ist es bei denen, die auf dem Land wohnen und auf Märkten
oder in Restaurants arbeiten. Wenn die am Sonntag in die Gemeinde kommen,
erzählen sie schon von rassistischen Beleidigungen.
Woran machen Sie das fest?
Singh: Viele glauben, dass ein Mann mit einem Turban und langen Bart
automatisch ein Taliban oder sogar ein Anhänger von Osama Bin Laden ist.
Seit dem 11. September werden auch Sikhs angegriffen. In den Vereinigten
Staaten wurde im Staat Wisconsin ein Sikh-Tempel überfallen. Sechs Menschen
sind gestorben, viele wurden verletzt. Es war eine Hasstat gegen Muslime
und Sikhs gleichermaßen.
Stellen Sie sich deswegen am 28. April auf den Potsdamer Platz und
veranstalten einen „Turban-Tag“?
Singh: Den Turban-Tag wollen wir schon seit einem Jahr veranstalten.
Trotzdem hat der antisemitische Vorfall im Prenzlauer Berg gezeigt: Nur
wegen einer Kopfbedeckung wird da jemand geschlagen, geprügelt und
überfallen. Mit dem Turban-Tag wollen wir die Menschen darüber aufklären,
was ein Turban ist und was ein Sikh. Und das man keine Angst davor haben
muss. Nur weil jemand Turban trägt, ist er noch lange kein Islamist.
Kaur: Wir glauben daran, dass man Vorurteile nur abbauen kann, indem man
miteinander spricht. „Warum macht ihr das?“, ist eine Frage, die man als
Religionsgemeinschaft beantworten muss. Nur so kann man der irrationalen
Angst entgegenwirken. Wissen ist die beste Medizin gegen Vorurteile.
Fühlen Sie sich sicherer durch Ihre Aufklärungsarbeit?
Kaur: In Berlin ist uns noch nichts Schlimmes passiert. Aber wir sind
vorsichtig. Viele unserer Gemeindemitglieder haben kleine Kinder. Damit
andere Kinder und Eltern verstehen, warum die einen Patka tragen – den
kleinen Bruder des Turbans – gehen wir mittlerweile auch in Schulen und
stellen uns dort vor.
Können Sie mir kurz den Ort vorstellen, an dem wir hier zusammen sitzen?
Kaur: Wir sind hier in unserer Gebetsstätte Gurduwara, dem „Tor zum Guru“.
Als Sikhs kommen hier 400 Gemeindemitglieder zusammen, um aus unserem
heiligen Buch zu lesen und danach zu beten. Das ist das Wichtigste für uns
und nicht, wie es hier aussieht. Eine Sikh-Gebetsstätte kann überall sein,
auch in einem einfachen Haus.
Singh: (lacht) Dieses hier war früher eine Malerwerkstatt und richtig
dreckig. Unsere jungen Männer haben es dann aber in nicht einmal drei
Monaten renoviert. Das war großartig. Bei uns Sikhs wird die Arbeit mit den
eigenen Händen sehr geschätzt.
An was glauben Sikhs?
Kaur: An den einen Gott. In unserem heiligen Buch steht geschrieben, dass
es am Anfang einen Lichtgott gab, auf dem jede Schöpfung beruht. Für uns
sind alle Menschen gleich, unabhängig von ihrer Hautfarbe, ihrem Geschlecht
oder ihrer Herkunft. Das Kastensystem lehnen wir ab. Um das zu
symbolisieren, sitzen wir alle auf dem Boden und essen das Gleiche. In der
Gemeinde kochen wir immer vegetarisch, Fleisch ist aber nicht verboten.
Suchtmittel wie Tabak oder Alkohol allerdings schon.
Das sind ja schon ein paar Regeln.
Kaur: Die Sikh-Religion basiert auf drei Grundsätzen. Man soll immer im
Gottesnamen meditieren, seinen Lebensunterhalt selbst verdienen und an
Bedürftige spenden. Selbstlosigkeit ist das Höchste, was ein Sikh tun kann,
um sich von Sünden zu reinigen. Zum Beispiel heute: Da kochen unsere jungen
Gemeindemitglieder für die Bedürftigen. Ein Anderer hat für die ganze
Gemeinde ein Jahr lang Mails und Briefe an den Bezirk geschrieben, damit
wir den Turban-Tag veranstalten können.
Wie lange dauert es eigentlich, einen Turban zu binden?
Singh: (lacht) Ich brauche dafür vielleicht vier Minuten. Ich bin aber auch
schon 80 Jahre alt. Jemand, der damit anfängt, braucht eher 20 Minuten.
Haben Stoff und Farbe des Turbans eine Bedeutung?
Singh: Als Stoff verwenden wir einen leichten Baumwollstoff. Die Farbe hat
keine Bedeutung.
Kaur: Nur Blau und Orange sind eine Ausnahme. Sie findet man in jeder
Sikh-Gebetsstätte, oft in der Dekoration, immer aber in unserer Flagge.
Blau steht für Reinheit, Orange für Tapferkeit.
Singh: Als ich 1963 als junger Ingenieur nach Deutschland kam, trug ich
Turbane in allen möglichen Farben. Bei uns in Indien gibt es ja ganz andere
Vorstellungen davon, was farblich so zusammenpasst, nämlich fast alles! In
Deutschland sagte man mir aber: Herr Singh, Ihr Turban passt nicht zur
Krawatte. Ich dachte dann: Das lerne ich doch nie, was für euch
zusammenpasst und was nicht! Seitdem trage ich überwiegend Weiß.
In New York hat die Sikh-Gemeinde an ihrem Turban-Tag über 9.000 Turbane
gebunden. Schaffen Sie das auch?
Singh: (lacht) Ja, Ranjit, schaffen wir das?
Kaur: Einige Hundert schon.
27 Apr 2018
## AUTOREN
Katharina Meyer zu Eppendorf
## TAGS
Sikhs
Religion
Prävention
Kopftuch
Indien
Sikhs
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