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# taz.de -- Linker Judenhass in Großbritannien: Jeremy und der Antisemitismus
> Die britische Labour-Partei sucht nach einem Umgang mit internen
> judenfeindlichen Stimmen. Klare Schritte fehlen bislang.
Bild: Schweigsam, wenn es um linken Antisemitismus geht: Jeremy Corbyn
London taz | Sam Braun war über dreißig Jahre lang aktives Labour-Mitglied,
eingetreten ist er 1987 mit 16. „Mein Vater floh aus Südafrika wegen der
Apartheid“, erzählt der Ostlondoner. „Er war in offener Opposition. Das und
mein jüdischer Hintergrund brachten mich zur Sozialdemokratie.“ Braun
wollte etwas gegen die Einschränkungen in Großbritannien tun,
beispielsweise gegen die Gesetze, die seinen schwulen Freunden das Leben
schwer machten.
Vor wenigen Wochen ist Sam Braun aus der Labour-Partei ausgetreten. Der
Grund: der Antisemitismus unter den Genossen. Das Thema zieht immer größere
Kreise und dominiert mittlerweile die öffentliche Debatte über Labour unter
dem Parteivorsitzenden Jeremy Corbyn.
Schon vor 15 Jahren bemerkte er diesen Antisemitismus, sagt Braun.
Labour-Abgeordnete solidarisierten sich mit Islamisten und
Holocaustleugnern, andere gaben Verschwörungstheorien wieder. Es waren vor
allem weiße Männer aus der Mittelschicht. „Manchmal dachte ich, vielleicht
bin ich als Jude einfach zu paranoid. Man erklärte mir immer wieder, diese
Stimmen seien marginal.“
Einer der Labour-Abgeordneten, der ihm damals auffiel, war Jeremy Corbyn,
damals noch ein Hinterbänkler im Unterhaus. Er benutzte sein Mandat, um
„nichtkonventionelle Außenpolitik zu betreiben“, wie Tamara Ehren, eine
bekannte Menschenrechtlerin aus Nordlondon, berichtet. Auch sie ist Jüdin.
Corbyn war für Ehren mal „ein junger, enthusiastischer und bewundernswerter
Mann“, wegen ihm trat sie Anfang der 1980er in die Partei ein. Und sie will
sie jetzt auch nicht verlassen.
## Ein Genosse schimpft wütend auf Israelis
Wie angespannt die Situation derzeit in der Partei ist, zeigt sich auch
daran, dass sowohl Ehren als auch Braun darum gebeten haben, in diesem Text
unter einem anderen Namen zu erscheinen. Braun will bald einen Job in einem
bekannten Wohlfahrtsverein antreten und den mit seinen Aussagen „nicht
vorbelasten“. Tamara Ehren lässt sich in den nächsten Wochen als
Labour-Kandidatin aufstellen, man hat ihr geraten, „sich nicht mehr zu dem
Thema zu äußern“.
Ehren glaubte an Corbyn, als er nach der Wahlniederlage 2015 die
Parteiführung übernahm. Er stand für „die politische Neudefinition einer
linken Partei, die fast am Ende war“, sagt die Mittsechzigerin. „Labour
unter Blair sagte jahrelang, was erwartet wurde, nicht was gesagt werden
musste.“ Corbyn hingegen sei ehrlich und anständig. Aber trotz des
Enthusiasmus nahm auch Ehren, Tochter eines jüdischen
Holocaust-Flüchtlings, hier und da seltsame Ansichten in der eigenen Partei
wahr: Verschwörungstheorien als Erklärung für die Finanzkrise
beispielsweise.
Sie erzählt von einem Genossen, der wütend auf Israelis schimpfte. „Ich
erklärte ihm, dass er wohl die Aktionen der israelischen Regierung meinte
und nicht alle Israelis. Da gab er mir recht.“Labours Problem sei, so
Ehren, dass die Partei unter Corbyn so dramatisch gewachsen ist. Die
Parteizentrale könne auf solche Rhetorik nicht adäquat reagieren. Obwohl
das eigentlich ihre Aufgabe sei, findet Ehren.
Dave Rich hat im Jahr 2016 seine Doktorarbeit zum britischen Antisemitismus
als Buch herausgegeben („The Left’s Jewish Problem“). Auf dem Cover ist
unter anderem Jeremy Corbyn neben dem Londoner Ex-Bürgermeister Ken
Livingstone zu sehen, der wegen antisemitischer Bemerkungen eben erst von
der Partei ausgeschlossen wurde. Rich fasst zusammen: „Man kann durchaus
die Aktionen von Banken kritisieren oder systemische Mängel benennen. Das
Problem beginnt, wenn nach bestimmten Gruppen oder Personen gesucht wird,
die daran insgeheim beteiligt sein sollen.“
## „Ich wurde zum jüdischen Objekt“
Phil Rosenberg, Anfang 30, ist Labour-Stadtrat im Nordlondoner Bezirk
Kilburn und West Hampstead und hat antisemitische Vorurteile selber erlebt.
„Es gab da eine Serie auf Al-Dschasira über einen Vertreter der
israelischen Botschaft, der beim Versuch ertappt wurde, politische
Vertreter zu beeinflussen. In meinem Ortsverein kam es bald darauf zur
Forderung, der Einfluss ‚israelischen Geldes‘ solle untersucht werden“,
erinnert er sich.
Rosenberg wird bei den Kommunalwahlen Anfang Mai nicht mehr kandidieren.
Labour hat ihn vergrault. Immer wieder wurde seine Religionszugehörigkeit
thematisiert. Ein Parteimitglied schrieb in der Lokalzeitung, Rosenberg
verhalte sich „wie Goebbels“ – der Text wurde ausgerechnet am
internationalen Holocaust-Gedenktag veröffentlicht.
Immerhin wurde dieser Genosse suspendiert. Aber: „Bei sieben der letzten
neun Ortsvereinstreffen versuchte eine kleine Gruppe neuer Mitglieder,
Anträge zur Verurteilung Israels zu stellen, anstatt Stadtpolitik zu
diskutieren. Ich war nicht mehr der Labour-Vertreter, der außerdem Jude
ist, ich wurde zum jüdischen Objekt.“ Jetzt hängt Rosenberg die
Parteikarriere vorläufig an den Nagel.
Die Labour-Führung hat das Problem inzwischen erkannt. Auslöser war eine
Demonstration jüdischer Verbände vor dem Parlamentsgebäude in London am
Montag vergangener Woche. „Momentum“, die linke Basisbewegung hinter Jeremy
Corbyn innerhalb der Arbeiterpartei, gestand daraufhin ein: Das Problem mit
dem Antisemitismus sei größer und verbreiteter als bisher angenommen.
Corbyn erklärte sich bereit, jüdische Vertreter ohne Vorbedingung zu
treffen und über alle Themen zu sprechen. Ein später Blick in den eigenen
Spiegel?
## Corbyns Pessachfest-Besuch wurde zum Medienskandal
Mit Antisemitismus bei Labour setzt sich Peter Mason schon lange
auseinander. Der Vorsitzende des Jewish Labour Movement (JLM), das seit
1903 existiert, bietet seit etwa 18 Monaten ein Antisemitismus-Training für
Labour-Mitglieder an. „Es geht sowohl um die geschichtlichen Zusammenhänge
als auch um eine präzisere Wortwahl“, sagt Mason. Man erkläre dort
beispielsweise, dass Kritik an der israelischen Regierung auch für die
meisten Juden in Großbritannien völlig legitim sei. „Aber wenn die Kritik
dem Staat Israel das Existenzrecht abspricht oder alle Juden für Vorgänge
im Nahen Osten verantwortlich macht oder sie gar als unsichtbare Macht
versteht, ist die Grenze überschritten.“
JLM erhält antisemitische Hasspost – „ich persönlich weniger“, sagt Mas…
Der Hass würde sich vor allem frauenfeindlich äußern, sagt er und verweist
auf die Labour-Abgeordneten Ruth Smeeth, Luciana Berger und Louise Ellman,
alles JLM-Mitglieder. „Frust von Männern in schwachen Positionen, die sich
an Frauen auslassen“, kommentiert das Tamara Ehren.
Tamara Ehren ist seit einem Jahr Mitglied einer neueren Gruppe, der „Jewish
Voices for Labour“ (JVL). JVL hat sich gegen den Protest der jüdischen
Dachverbände vor dem Parlament positioniert. „Die werden von uns nicht als
repräsentativ angesehen“, sagt Ehren.
Ehren war auch eine derjenigen, die am vergangenen Montagabend am
Pessachfest der jüdischen linken Randgruppe Jewdas teilnahm, Corbyn war
auch da. Jewdas bezeichnet sich als „radikale Stimme für die alternative
Diaspora“.
Der Besuch Corbyns, als Zugehen auf die Juden gedacht, wurde zum
Medienskandal, als bekannt wurde, dass der offizielle Twitteraccount der
Gruppe erst im Dezember Israel als „dampfendes Schmutzwasser“ bezeichnet
hatte, das „abgeschafft“ gehöre.
## „Corbyn versteht Israel als globalen Pariastaat“
Tamara sieht das entspannter. Die Jewdas-Aktivisten seien meist sehr jung.
„Viele sind einfach nur zornige jüdische Studenten, die sich nicht
repräsentiert sehen, weder von jüdischen Gruppen noch von anderen. Sie
erleben diesen Guerilla-Krieg gegen Corbyn und beantworten ihn in den
sozialen Medien.“
David Hirsh, Soziologe am Goldsmiths College der Universität London und
seit mehr als zwei Jahrzehnten den Vorurteilen gegenüber Juden und Israel
auf der Spur, findet Corbyns Besuch bei Jewdas keineswegs unschuldig. „Der
jüdische Antizionismus ist in linken Kreisen oft wichtig“, sagt Hirsh:
Damit sichere man sich vor der Anschuldigung des Antisemitismus ab.
Für Hirsh steht Labour unter Corbyn im Trend von Donald Trump, dem Front
National, Ukip, Erdoğan und der AfD. Diese populistische Politik trägt
xenophobe Züge. Zentral für alles Böse sei Israel. Corbyn sei davon nicht
weit entfernt. Hirsh erwähnt dessen Besuche in Gaza bei Hamas-Funktionären,
den Einsatz für den iranischen Auslandssender Press TV und die Verbindungen
mit Holocaustleugnern, die sich hinter der palästinensischen Sache
verstecken. „Er will gegen den Antisemitismus vorgehen, aber er versteht
Israel als globalen Pariastaat – das ist nichts anderes als
institutioneller Rassismus.“
Diese Anschuldigung ist Hirsh wichtig, er schreibt darüber in seinem neuen
Buch „Contemporary Left Antisemitism“. „Früher wurden Antisemitismus und
Rassismus als Privathaltung verstanden. Doch inzwischen ist nachgewiesen,
dass beispielsweise die Polizei als Ganzes rassistisch agieren kann, auch
wenn ein einzelner Polizist keine Vorurteile gegen Schwarze hat.“
## Labour findet keine Antworten auf den Antisemitismus
Mit Antisemitismus verhalte es sich ähnlich. Diese Fragen seien wichtig,
weil Labour Regierungsverantwortung übernehmen will. Erst letzte Woche
musste die Leiterin der parteiinternen Schiedsstelle zurücktreten, weil sie
die Suspendierung eines Holocaustleugners als Labour-Kandidat bei den
Kommunalwahlen aufheben wollte.
Die Schüsse der israelischen Polizei auf Palästinenser letztes Wochenende
waren für Hirsh ein Schlüsselmoment. „Niemand kann behaupten, dass das zu
rechtfertigen war. Aber dann gibt es Leute, die sagen: Das sind die Taten
der Juden, Juden sind Kindermörder.“
Hirshs Meinung nach findet Labour hierauf keine echten Antworten. „Eine
neue linke Politik müsste sich auf den demokratischen Werten aufbauen, auf
Menschenrechten und Gleichberechtigung.“
Und wenn Labour das nicht schafft? Dann könnte es zu Gewalt auf den Straßen
kommen, warnen David Hirsh und der enttäuschte Labour-Aktivist Sam Braun
unabhängig voneinander. Ein ganz abwegiger Gedanke ist das nicht, wie der
Mord an der Labour-Abgeordneten Jo Cox auf offener Straße durch einen
Rechtsextremisten vor knapp zwei Jahren zeigt.
7 Apr 2018
## AUTOREN
Daniel Zylbersztajn
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