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# taz.de -- „Zeit“ und Ex-Bundesrichter trennen sich: Unrecht für Fischer
> Thomas Fischer und die „Zeit“ gehen fortan getrennte Wege. Seine Kolumnen
> polarisierten, doch sein Weggang ist ein großer publizistischer Verlust.
Bild: Ist manchen Berufsschreibern intellektuell überlegen
Sogar das Gratis-Abo hat man Thomas Fischer gekündigt. Die Zeit und der
ehemalige Bundesrichter, das war einmal. Nach einer Auseinandersetzung über
die Berichterstattung des Zeit Magazins zu den Missbrauchsvorwürfen gegen
Dieter Wedel hat die Hamburger Wochenzeitung laut Medienberichten den
Kolumnisten Fischer vor die Tür gesetzt. Das ist ein publizistischer
Verlust.
Fischer, den Journalisten gern als „streitbar“ bezeichnen – wohl weil er
pointiert argumentiert –, schrieb drei Jahre lang höchst erfolgreich die
Kolumne „[1][Fischer im Recht]“ auf Zeit Online, in der er seine Gedanken
zu rechtspolitischen Fragestellungen niederschrieb. Nach seiner
Pensionierung 2017 beendete Fischer seine Kolumne, schrieb aber weiterhin
regelmäßig für die Zeit.
Wer wollte, konnte viel aus Fischers Texten lernen. Von Rechtsphilosophie
über Strafrechtsgeschichte bis hin zur praktischen Erkenntnis, dass es
sinnvoller ist, Geldstrafen in Tagessätzen und nicht in Beträgen anzugeben.
Dass das Mordurteil im Berliner „Raserprozess“ keinen Bestand haben könnte,
[2][deutete Fischer] bereits im März 2017 an – und kokettierte mit dem
hiesigen Automobilfetischismus sowie der alltäglichen Raserei vieler
Deutscher. Außerdem verurteilte er die Hetze gegen Flüchtlinge nach den
Geschehnissen in der Kölner Silvesternacht 2015 [3][deutlich].
Man konnte sich an den intellektuell herausfordernden und stilistisch
herausragenden Kolumnen erfreuen – oder aber sich über eine Handvoll
misslicher Zitate in der Diskussion über die Verschärfung des
Sexualstrafrechts aufregen. Obwohl Fischer gefühlt mehr als 90 Prozent
seiner Texte über andere Strafrechtsthemen schrieb, interessierten sich
seine Kritiker hauptsächlich für seine Äußerungen über [4][Gina-Lisa
Lohfink] und Carolin Emcke.
Für den deutschen Journalismus war Fischer ein Störfeuer. Schon durch die
Gestaltung seiner Texte hinterfragte er die Arbeitsweise der Branche. Jedem
Zeitungsvolontär wird beigebracht, dass Texte nicht unnötig lang sein
dürfen, um den Leser nicht zu langweilen. Fischer schrieb regelmäßig mehr
als 20.000 Zeichen und wurde dennoch von seinen Lesern geliebt. Bei
öffentlichen Veranstaltungen füllte der Bundesrichter Hallen. In seinen
Texten bewegt er sich intellektuell und ästhetisch auf einem höheren Niveau
als so mancher Berufsschreiber.
Fischer kritisierte auch, dass Journalisten Urteile kommentieren, deren
schriftliche Begründung noch gar nicht vorliegt. Über das Ergebnis von
Strafprozessen erst Monate später zu berichten, erscheint aus
journalistischer Perspektive intuitiv so abwegig, dass ohne Fischer wohl
kaum jemand länger darüber nachgedacht hätte. Das war des Bundesrichters
Stärke. Vermeintlich intuitive Wahrheiten und Selbstgerechtigkeit zu
hinterfragen. Wo er es für sinnvoll erachtete, griff er Journalisten auch
persönlich an. Das könnte ihm nun zum Verhängnis geworden sein.
Im Januar nahm Fischer Anstoß an [5][der Berichterstattung] des Zeit
Magazins zu den Vorwürfen gegen Dieter Wedel. Nachdem die Zeit [6][eine
Replik] Fischers nicht abdrucken wollte, ging er zum Branchenportal Meedia,
das schreibt zumindest der Spiegel. Daraufhin trennte die Zeit sich von
Fischer. Sein Verhalten sei „illoyal gegenüber unseren eigenen Reportern“
gewesen, sagte die stellvertretende Chefredakteurin der Zeit, Sabine
Rückert, der Süddeutschen Zeitung.
Es ist natürlich das gute Recht der Zeit, einen Text, der die eigene
Redaktion angreift, nicht zu drucken. Die Zusammenarbeit mit einem Autor zu
beenden ist ebenfalls legitim. Genauso legitim ist aber Fischers Kritik an
der Wedel-Berichterstattung. Der ehemalige Bundesrichter zitiert Interviews
der Redakteurinnen, in denen diese von „erdrückenden“ Beweisen gegen Wedel
sprechen. „Die Verwendung des Wortes ‚erdrückend‘ simuliert die
Terminologie von staatlich-strafrechtlichen Verfahren“, schreibt Fischer.
## Aus Leserperspektive bedauerlich
Damit begaben sich die Autorinnen quasi auf Fischers Terrain. „Wenn man
meint, die Beweislage darstellen, auswerten und beurteilen zu sollen, als
sei man Mitglied eines Gerichts, dann müsste man sich an die Regeln halten,
die für solche Untersuchungen gelten“, schrieb Fischer. Also tat der
erfahrene Revisionsrichter das, was er seit Jahren von Berufswegen tat. Er
studierte das vermeintliche Urteil (Die Wedel-Story des Zeit Magazins) und
suchte nach offenen Fragen in den Aussagen von Wedels möglichen Opfern und
den Journalistinnen. Er fand einige.
Nun denn, die Zeit und Thomas Fischer gehen ab jetzt getrennte Wege – aus
Leserperspektive bedauerlich. Es bleibt zu hoffen, dass Fischer bald auch
außerhalb der Branchenportale wieder als Kolumnist tätig wird. Liebe
Medienunternehmen: Greift zu!
27 Mar 2018
## LINKS
[1] http://www.zeit.de/serie/fischer-im-recht
[2] http://www.zeit.de/gesellschaft/2017-03/sicherheit-raser-moerder-kommissare…
[3] http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-01/sexmob-koeln-kriminal…
[4] /Prozess-um-angebliche-Vergewaltigung/!5332458
[5] http://www.zeit.de/zeit-magazin/2018/02/dieter-wedel-regisseur-sexuelle-ueb…
[6] http://meedia.de/2018/01/29/das-sternchen-system-thomas-fischers-zeit-kriti…
## AUTOREN
Jörg Wimalasena
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